Die Flugtagkatastrophe von Ramstein ist 30 Jahre her. Viele Opfer und Hinterbliebene leiden bis heute. Am Jahrestag ist es oft besonders schlimm. Dieses Jahr kommen mehr als sonst an die Absturzstelle.
Von Birgit Reichert (Text) und Oliver Dietze (Foto)
Marc-David Jung war vier Jahre alt, als der brennende Kampfjet ganz in seiner Nähe zu Boden stürzte. Mit seiner Familie hatte er die Flugschau auf dem pfälzischen US-Militärflughafen Ramstein besucht. «Ich erinnere mich nur noch, dass ich vorher ein Eis gegessen habe und am Boden spielte.» Die Feuersbrunst fügte dem Jungen schwerste Verbrennungen zu – im Gesicht, an den Händen, an den Beinen. Seine Mutter zog ihn aus den Flammen. Seit dem 28. August 1988 lebt Jung mit den Folgen des Ramstein-Unglücks, das auch seinen Vater in den Tod riss.
30 Jahre später hat Jung mehr als 30 Operationen hinter sich. «Ich bin ein positiver Mensch. Ich akzeptiere, was damals passierte – und blicke nach vorne», sagt der 34-Jährige. Er lebt in Losheim im Saarland und arbeitet als Programmierer bei einer IT-Firma in Luxemburg. «Ich führe ein ganz normales Leben und muss sagen, ich habe im Ganzen noch Glück gehabt.»
Bei der größten Flugtagkatastrophe in Deutschland starben 70 Menschen, etwa 350 wurden schwer verletzt. Es geschah bei der letzten Programmnummer: Drei Flugzeuge der italienischen Kunstflugstaffel «Frecce Tricolori» stießen in rund 40 Metern Höhe zusammen. Eines von ihnen stürzte brennend in die Menschenmenge und explodierte.
Jung sei «ein gutes Beispiel», wie man es nach einer Katastrophe erfolgreich zurück ins Leben schaffen könne, sagt Trauma-Expertin Sybille Jatzko aus Krickenbach bei Kaiserslautern. Zahlreiche Opfer und Hinterbliebene von Ramstein hätten aber noch Jahre danach gelitten, viele litten immer noch. Jatzko hat mit ihrem Ehemann, dem Mediziner Hartmut Jatzko, nach dem Unglück eine psychosoziale Nachsorgegruppe gegründet. Sie besteht noch heute.
«Es ist so dunkel»
Viele kamen nach dem Unglück nicht mehr klar. Das Elternpaar beispielsweise, das seine neunjährige Tochter verlor. Das Mädchen sei «frontal verbrannt» gewesen und habe immer wieder geschrien: «Papa, Papa, bleib bei mir, es ist so dunkel», als sie von einem Amerikaner in einen Bus gelegt wurde. Als die Eltern in die Klinik kamen, war sie tot. Schwer traumatisiert war auch ein Mann, der nach dem Unglück zehn Jahre lang nur zu Hause saß. Er hatte seine Frau, die im achten Monat schwanger war, verloren. «Ihr Bauch war aufgeplatzt.»
Das Einatmen der heißen Luft und des Kerosins nach dem Unglück habe bei einigen Besuchern der Flugschau Atemwege verbrannt. Jatzko schätzt: «Wenn wir alle dazu zählen, die an den Folgen gestorben sind, dann kommen wir mit Sicherheit auf über 100 Tote. Durch körperliche und seelische Schäden.»
Zum 30. Jahrestag haben sich jetzt etliche Opfer zum ersten Mal gemeldet. Möglicherweise werde es das letzte große öffentliche Gedenken, sagt Jatzko. Da meinten viele, «sie sollten noch einmal hingehen, um besser damit abschließen zu können». Mehr als 100 Betroffene hätten sich zum Gang zur Absturzstelle angekündigt, sagt Jatzko. So viele wie noch nie zuvor.
Die Unruhe kommt jedes Jahr
Jung hat mit Jatzkos Hilfe seinen eigenen Weg gefunden. «Mein Fall ist anders als die meisten anderen. Ich erinnere mich nicht an das Ereignis, deshalb leide ich auch nicht jedes Jahr am Jahrestag neu. Für mich ist es ein Tag wie jeder andere.» Sein älterer Stiefbruder hingegen nehme sich Ende August immer frei. «Er sagt, dass mit ihm in dieser Woche nichts anzufangen sei, weil er emotional zu belastet sei.» Jung, der nach dem Unglück zwei Monate im Krankenhaus lag, ist mit seinem Aussehen heute trotz der Narben zufrieden: «Es ist bereits ein Maximum erreicht. Das ist einfach so, und das akzeptiere ich.»
Heute engagiert Jung sich in der Stiftung Katastrophennachsorge, die Jatzko vor wenigen Monaten gegründet hat. «Mit dieser Stiftung schließen wir in Deutschland eine Lücke», sagt die Frau, die bereits in rund 15 Katastrophen-Nachsorgen von Hinterbliebenen eingebunden war. «Wir haben immer ganz viele, die am Anfang die Opfer unterstützen», sagt sie. «Und dann wollen sie sie alle in die Regelpsychotherapie überführen, also zu niedergelassenen Psychologen und Kliniken.» Es gebe aber nicht genügend Therapieplätze. «Wir sehen uns als Schicksalsgemeinschaft, die längerfristig mit den Menschen zusammenarbeitet. Die mit ihnen das erarbeitet, was sie brauchen.»
Jung kommt dieses Mal auch zur Gedenkveranstaltung zum 30. Jahrestag nach Ramstein. Und er wird auch zur Absturzstelle auf der Air Base gehen. Zur Unglückszeit um 15.48 Uhr halten die Überlebenden dort Jahr für Jahr inne. Jatzko weiß, wie belastend die Zeit ist. «Anfang August, das sagen alle, die wir kennen, und das sind 350 bis 400, beginnt diese Unruhe und diese Spannung. Und hört Ende August erst auf. Immer. Seit 30 Jahren völlig gleich. Die Unruhe ist immer da.»
Ich empfinde grossen Respekt für die Lebenseinstellung dieses Menschen, trotz der erlittenen Schicksalsschäge
( eigene Verwundung, Tod des Vaters ).