Soziale Medien sind Aktiengesellschaften. Nutzer überlassen diesen Unternehmen ihre Daten. Warum aus Facebook keine Genossenschaft machen, die den Nutzern gehört?
Von Hans-Jörg Naumer*
Zur Person
* Hans-Jörg Naumer ist Global Head of Capital Markets & Thematic Research von Allianz Global Investors GmbH.
Wir alle sind online, wir alle sind ständig erreichbar, unser Smartphone weiß genauer wo wir uns befinden, als unser Partner, wir whatsappen, facebooken, twittern. Wir alle hinterlassen unzählige Datenspuren, bewusst wie unbewusst, und trösten uns damit, dass wir ja nichts zu verbergen haben. Und wenn wir uns in der realen Welt bewegen, bewegen wir uns mit der Smartwatch und mit Uber – überall fließen Datenströme.
Wem gehören eigentlich die Daten?
Dabei bleibt die Grundfrage ungeklärt: Wem gehören eigentlich die Daten? Tatsache ist: Wir übereignen unsere Daten i.d.R. entgeltlos in Erwartung einer Dienstleistung und vertrauen darauf, dass uns die AGBs vor Missbrauch schützen. Diese anerkennen wir durch das Klicken auf einen Zustimmungsbutton. Eine Chance, diese unseren Bedürfnissen anzupassen, haben wir eh nicht. Annahme oder Akzeptanz, dabei sein oder nicht, einen Mittelweg gibt es nicht. Privatsphäre gegen Bequemlichkeit, Dateneigentum gegen Anwendung heißt der unausgesprochene Trade-off. Wer sagt aber, dass es bei diesem Datenkapitalismus bleiben muss? Warum sollte den Datengebern, also den Nutzern, nicht ein Anteil an der Plattform gehören?
Die Genossenschaft als Rechtsform böte einen guten Anknüpfungspunkt: Die Plattform gehört den Nutzern, nicht den Betreibern. Genossenschaftsanteile und damit Eigentums- wie Stimmrechte erhalten die Teilnehmer anteilig nach dem Datenvolumen, das sie generieren. Entsprechend werden sie auch anteilig am Gewinn beteiligt.
Um zu verhindern, dass Daten um ihrer selbst willen generiert werden, könnten Beurteilungskriterien wie «Likes», Weiterempfehlungen, Klout-Scores etc. als zusätzliche Gewichtung hinzugezogen werden. Das Bewertungsverfahren bestimmen die Nutzer, d.h. die Eigentümer. Wer Datenmüll produziert oder nicht aktiv ist, hat keinen Anteil am Ertrag.
Die Plattformbetreiber selbst sind nicht mehr die Eigentümer, sie sind die Dienstleister, welche die (Fort-)Entwicklung der Technologie, das Marketing, den Datenschutz, die Speicherkosten etc. entlohnt bekommen, etwa als Gewinnanteil. Da sie im Wettbewerb stehen, haben sie ein Interesse, die beste Dienstleistung zum besten Preis anzubieten.
«Herrschaftsfreier Kontrollmechanismus»
Damit es zu wirklichem Wettbewerb unter den Dienstleistern, also den Anbietern genossenschaftlich organisierter Plattformen kommt, und nicht zu Monopolen oder zumindest Kartellen, die dann wiederum ihre Gebühren hoch- bzw. die genossenschaftlichen Ausschüttungen runterschrauben könnten, wird die Konnektivität der Plattformen untereinander durch den Rechtsrahmen gewährleistet: Nicht nur die privaten Profile und Daten sind per Mausklick auf einen anderen Anbieter übertragbar (sie befinden sich ja im Privateigentum), die Mitglieder selbst können sich untereinander verbinden.
Konkret: Wer auf Facebook ist, kann sehen, was mit ihm verbundene Xing- oder Twitter-Mitglieder posten und umgekehrt, sofern dies im gegenseitigen Einverständnis geschieht. Warum sollte bei sozialen Netzwerken nicht funktionieren, was beim E-Mailen von Beginn an der Standard war: Jeder kann mit jedem kommunizieren, egal welchen Anbieter er nutzt.
Die rechtlichen Grundpfeiler
Die Daten-Genossenschaft beruht dabei auf zwei rechtlichen Grundpfeilern: Dem Grundsatz der Datenhoheit: Die Daten gehören den Nutzern, nicht den Plattformen. Entsprechend bestimmen die Nutzer, wie und ob diese Daten erhoben, gespeichert, ausgewertet oder mit anderen Datensätzen verbunden werden. Das Recht auf «informationelle Selbstbestimmung», wie es vom bundesdeutschen Bundesverfassungsgericht vorgegeben wurde, bietet die Grundlage dafür. Dieses spricht dem Einzelnen zu, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner personenbezogenen Daten zu bestimmen. Dem Grundsatz des Wettbewerbs, der den «herrschaftsfreien Kontrollmechanismus gewährleistet».
Paradigmatisch geht es um die Verbindung einer altbewährten Rechtsform, der Genossenschaft, mit den Anforderungen der Netzökonomie. Es geht um die «Facebook-Genossenschaft», genauer die Daten-Genossenschaften. Da Daten überall fließen, könnten unterschiedliche Genossenschaften gegründet werdet, oder die Nutzer bekommen eine ID, die auch ihre Privatsphäre garantieren würde. In Verbindung mit der Blockchain-Technologie wird gewährleistet, dass die Erträge der von ihnen generierten Daten auch ihnen selbst zufließen.
Die Vorteile von Datengenossenschaften wären:
- Dateneigentum: Das Eigentumsrecht an den persönlichen Daten ist eindeutig geklärt. Die Daten gehören dem, durch den sie entstehen. Den Eigentümern fließen die Erträge daraus zu.
- Privatsphäre: Wird durch eine ID gewährleistet.
- Verfallsdatum: Wie lange die Daten gehortet werden, kann das Genossenschaftsmitglied selbst bestimmen. Es ist ein einfacher Trade-off: Je kürzer deren Lebenszeit, desto geringer ist der Genossenschaftswert und desto geringer entsprechend die anteiligen Erträge aus der Genossenschaft – desto größer ist aber seine Hoheit über die eigene Privatsphäre und der Schutz vor Datenmissbrauch, z.B. im Falle von Hackerangriffen.
- Kontrolle: Die Daten-Genossenschaft wird zum Club-Gut. Es nicht mehr egal, wer alles zutritt, da der gemeinsame Nutzen durch den Zutritt unerwünschter Mitglieder – z.B. auf Facebook – sinken könnte, da der eigene Ruf darunter leidet oder da Werbepartner abspringen. Das fördert die Kontrolle durch die Mitglieder: Wer tritt bei und wird damit Genosse? Wer fördert den gemeinsamen Nutzen? Wer zirkuliert «Fake News» und propagiert Hassreden? Ein Ausschluss derer ist zu erwarten, die den Wert der Genossenschaftsanteile senken.
Kapitalismus und Kapitalkonzentration
Und natürlich der wohl wichtigste Vorteil: Wenn es keine alleinigen Besitzer mehr gibt oder Aktiengesellschaften, bei denen das Kapitaleigentum von der Zurverfügungstellung der Daten getrennt ist, wirkt dies der Kapitalkonzentration entgegen. Rettet den Kapitalismus – Kapitalismus hier verstanden nicht als ideologischer Kampfbegriff, sondern als Gesellschaftsform, die auf Privateigentum beruht – vor der Kapitalkonzentration heißt die Losung. Denn Kapitalkonzentration und fehlender Wettbewerb zerstören die Marktwirtschaft.
Die «Facebook-Genossenschaft» kann uns – 200 Jahre nach dem Geburtstag von Friedrich Wilhelm Raiffeisen, dem Begründer der Genossenschaften – den Weg in die Netzökonomie weisen.
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