Das Auslaufen des Hilfsprogramms bedeutet noch lange nicht, dass das Land schon gerettet ist. Ein Gastbeitrag.
Von Lüder Gerken*
Am Montag (20.8.) endet das dritte Hilfsprogramm für Griechenland. Seit 2010 erhielt das Land vor allem von den anderen Euro-Staaten Hilfskredite von über 289 Milliarden Euro. Die Rückzahlungen sind auf den Sankt-Nimmerleinstag – bis 2060 – verschoben, und die Kreditzinsen sind politisch festgesetzt worden, spiegeln also das Insolvenzrisiko nicht wider. Dadurch wurden dem Land über 340 Milliarden Euro geschenkt. Pro Einwohner sind das mehr als 30.000 Euro.
Aber ist Griechenland damit wirklich «gerettet»? Yanis Varoufakis, linkssozialistischer ehemaliger Finanzminister Griechenlands, sagt: «Wir sehen eine stabile Eskalation der Krise.» Doch niemand hört ihm zu. Im Gegenteil: Überall ist zu hören, das Land sei saniert. Auf den ersten Blick scheint es auch so: Das Wirtschaftswachstum betrug im letzten Jahr 1,4 Prozent. 2018 soll es noch höher sein. Nur: Dieser konjunkturelle Aufschwung ist nicht nachhaltig.
Für eine gesunde Volkswirtschaft unverzichtbar sind Investitionen, die die Produktionskapazität steigern. Dabei kommt es vor allem auf die Nettoinvestitionen an. Von ihnen sind diejenigen Investitionen abgezogen, die nur veraltete, auszurangierende Maschinen ersetzen, also die Produktionskapazität konstant halten. Seit 2011 sind die griechischen kapazitätssteigernden Nettoinvestitionen negativ. Es wird so wenig investiert, dass nicht einmal alle auszurangierenden Maschinen durch neue ersetzt werden. Die Volkswirtschaft fällt dadurch immer weiter zurück. Zwar stieg die Quote, bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt, von minus 10,1 Prozent 2011 auf minus 3,8 Prozent 2017. Aber sie ist weiterhin negativ. Das heißt: Die Produktionsanlagen Griechenlands schrumpfen und veralten immer weiter, nur etwas langsamer als vor acht Jahren.
Fragiles Kartenhaus
Wenn das Geld in Griechenland nicht für Investitionen verwendet wird, wofür dann? Die Griechen geben – übrigens schon seit 2005 – über hundert Prozent ihres verfügbaren Einkommens für Konsum aus, leben also seit 13 Jahren über ihre Verhältnisse. 2017 betrug die Quote 107 Prozent. In Deutschland waren es 88 Prozent, EU-weit 93 Prozent. Die hohe Konsumneigung und die nicht mehr ganz so negative Investitionsquote erklären den derzeitigen konjunkturellen Aufschwung. Gleichzeitig aber verfällt das Produktionspotential weiter.
Nach jedem Aufschwung kommt früher oder später ein Abschwung. Und der wird das Kartenhaus des vermeintlichen Sanierungserfolges zusammenstürzen lassen, wenn sich nicht bald Grundlegenderes tut. Unverzichtbar dafür sind die Bereitschaft der Regierung zu Reformen, die die Bedingungen für kapazitätssteigernde Investitionen mehr als bisher verbessern, und die Bereitschaft der Bevölkerung zum Konsumverzicht, damit mehr Geld für Investitionen zur Verfügung steht. Auch die übrigen Euro-Staaten, also die Kreditgeber, sind offenbar skeptisch: Sie haben viele der jüngsten Schuldenerleichterungen davon abhängig gemacht, dass Griechenland bereits zugesagte Reformen auch tatsächlich durchführt. Fazit: Von einer Sanierung Griechenlands kann keine Rede sein.
Trotz allem werden private Geldgeber Griechenland wieder Kredit geben. Denn ihr Verlustrisiko ist kurzfristig überschaubar. Erstens kann die Europäische Zentralbank griechische Anleihen kaufen, sobald sie diese nach Ende der Hilfsprogramme nicht mehr als Ramsch eingestuft hat. Zweitens sind in Brüssel diverse Vorhaben in Vorbereitung, mit denen wankende Euro-Staaten zukünftig aufgefangen werden sollen. Sie werden zur Verfügung stehen, wenn Griechenland wieder kippt.
* Lüder Gerken ist Vorsitzender des Centrums für Europäische Politik in Freiburg im Breisgau.
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