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„Geier-Firma“ macht Luxemburger Wahl-O-Mat (kurzzeitig) obdachlos

„Geier-Firma“ macht Luxemburger Wahl-O-Mat (kurzzeitig) obdachlos

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Vor der Parlamentswahl soll wieder ein Wahl-O-Mat im Internet Entscheidungshilfen bieten, allerdings unter einer neuen Adresse. Die bisherige wurde von den Betreibern aufgegeben – und sofort gekapert.

Die Parlamentswahlen in Luxemburg rücken zwar näher, doch noch ist von Wahlkampf nicht sonderlich viel zu sehen. Wer dennoch schon versuchen will, vor dem 14. Oktober seinen politischen Willen im Internet über einen „Wahl-O-Mat“ zu bilden, könnte schnell seinen Augen nicht mehr trauen:

Bei Aufruf der lange etablierten Webadresse www.smartvote.lu erscheint im Browser nämlich nicht mehr das einst von der Universität Luxemburg aufgebaute Online-Tool, das die persönliche Ansicht zu bestimmten Themen abfragt und dann mit den Positionen von Parteien oder Kandidaten abgleicht – sondern eine krude aufgebaute Seite (siehe Screenshot), die ein paar Artikel und Werbung rund ums Thema Augengesundheit bündelt – in spanischer Sprache.

«Under construction»

Auf Anfrage des Tageblatts bestätigt der für das Smartvote-Projekt zuständige Politikwissenschaftler Raphaël Kies, die Domain smartvote.lu sei “gestohlen” worden – von einer “Geier-Firma”. Die habe “eine übertriebene Summe gefordert, um sie wiederzuerlangen”. Darum habe man sich entschlossen, den aktuellen Wahl-O-Mat unter einer neuen Adresse einzurichten, nämlich «smartwielen.lu«.

Der neue Wahl-O-Mat befindet sich zwar noch under construction, etwa einen Monat vor den Wahlen soll der mündige Bürger sich aber wieder wissenschaftlich fundierten Rat einholen können, wo er im Oktober sein Kreuzchen machen kann – ohne sich zu verwählen.

Beliebte Secondhand-Domains

Üblicherweise mietet man eine Domain für eine bestimmte Zeit bei der zentralen Domainverwaltung dns.lu (über einen akkreditierten Registrar). Lässt man den entsprechenden Vertrag auslaufen, wird die Adresse wieder frei verfügbar.

Besonders bei Domains, die schon längere Zeit aktiv waren und auch einen gewissen Besucherstrom verzeichnen konnten, schlagen Adresshändler dann gerne zu: Sie versuchen meist zunächst, dem ehemaligen Nutzer ein «Lösegeld» abzupressen. Außerdem sind etablierte Domains interessant für SEO-Firmen (für Search Engine Optimization, also Suchmaschinen-Optimierung): Sie verhelfen bisher unbekannten Marken zu größerer Prominenz im Netz, indem sie sie auf den Gebraucht-Domains platzieren, die bei Suchmaschinen schon bestens bekannt sind und die einen guten Leumund haben – so wie smartvote.lu.

Denn auf diese Adresse wird seit vielen Jahren von vielen Stellen aus verlinkt. So haben wohl alle großen Luxemburger Online-Medien mehrfach über den Wahl-O-Mat berichtet. Ebenfalls fanden und finden sich auf vielen Webseiten von Luxemburger Institutionen Links zu smartvote.lu. Das alles sind in der Summe wertvolle „Seilschaften“, von denen jetzt jemand profitiert, der offenbar in Brillen macht.

Freigabe war Absicht

Auf weitere Nachfrage des Tageblatt präzisiert Raphaël Kies, dass die Hergabe der bekannten Domain sogar Absicht war: So sei die Domain zweimal, 2009 und 2013, ordnungsgemäß registriert worden. Da unsicher gewesen sei, ob das Projekt überhaupt noch einmal aufgelegt wird, wurde dann aber darauf verzichtet – auch in der Annahme, dass die Domain „nicht von einer anderen Person übernommen werden würde“. Später habe man zusammen mit dem Kooperationspartner Zentrum für politische Bildung beschlossen, auf kein Angebot zum Rückkauf einzugehen, da der neu gewählte Domainname smartwielen.lu ohnehin „ein besserer Name im luxemburgischen Kontext wäre“.

Allerdings wäre auch denkbar gewesen, dass die Domain smartvote.lu von einer Partei oder einer Gruppierung übernommen wird, die sich nicht mit Augenoptik befasst, sondern etwa einen manipulierten Wahl-O-Mat betreibt oder in anderer Weise Menschen verunsichert, die ihren politischen Willen finden wollen.

Nach dem Chamberleaks-Debakel erweckt jedenfalls ausgerechnet mit der Universität eine weitere Luxemburger Institution den Eindruck, dass beim Thema Internet noch der Durchblick fehlt.

Der neue spanische Besitzer der Domain «smartvote.lu» hat eine Anfrage des Tageblatt übrigens nicht beantwortet.

Extra: Google.com zum Schrottpreis

Dass eine Domain schnell mal abhandenkommen kann, mussten schon ganz andere Internet-Kaliber feststellen: So gelang es 2015 einem Ex-Google-Mitarbeiter, eine Minute lang die wahrscheinlich wertvollste Domain des ganzen Internets zu besitzen – für zwölf Dollar. Für diesen Spottpreis war nämlich google.com durch einen technischen Fehler verfügbar gemacht worden. Der Internetkonzern stoppte die laufende Transaktion allerdings noch rechtzeitig – und überwies dem ehemaligen Mitarbeiter zum Trost 12.000 Dollar, die dieser dann spendete.