War es ein Unglück oder menschliches Versagen? Nach dem Einsturz der Autobahnbrücke herrscht in Genua Ratlosigkeit. Prompt werden Schuldige gefunden – während die Suche nach Überlebenden längst nicht abgeschlossen ist.
Nach dem verheerenden Einsturz einer Autobahnbrücke in Genua mit mehr als 40 Toten mehren sich in Italien die Schuldzuweisungen. Während die Rettungskräfte am Mittwoch noch immer Leichen zwischen den gewaltigen Trümmern bargen, machten Regierungsmitglieder den privaten Betreiber der Autobahn für das Unglück verantwortlich. Innenminister Matteo Salvini zeigte mit dem Finger gar in Richtung EU. Seiner Ansicht nach untergraben die europäischen Vorgaben zum Haushaltsdefizit die Sicherheit des Landes.
Die vorläufige Zahl der Toten stieg am Mittwoch auf 42 an. Unter den Opfern sind mindestens drei Minderjährige im Alter von 8, 12 und 13 Jahren. 16 Menschen seien verletzt, der Zustand von 12 Personen sei kritisch, teilte die Präfektur mit. Es werde erwartet, dass die Zahlen weiter steigen, sagte Regionalpräsident Giovanni Toti laut Nachrichtenagentur Ansa nach einem Besuch von Verletzten in einem Krankenhaus zusammen mit Regierungschef Giuseppe Conte. Für den Großteil der Verletzten gebe es gute Heilungschancen. Es gebe aber unter der Brücke noch immer «zahlreiche Vermisste», sagte Toti.
Drei Franzosen unter den Toten
Unter den Toten der Katastrophe sind auch drei Franzosen. Man stehe in engem Kontakt zu den italienischen Behörden, um herauszufinden, ob möglicherweise noch weitere Landsleute bei der Katastrophe ums Leben gekommen seien, teilte das französische Außenministerium mit.
Während eines schweren Unwetters war am Dienstagmittag der Polcevera-Viadukt, der auch Morandi-Brücke genannt wird, in mehr als 40 Metern Höhe auf einem etwa 100 Meter langen Stück eingestürzt. Die Brücke ist Teil der Autobahn 10, die auch als Urlaubsverbindung «Autostrada dei Fiori» bekannt und eine wichtige Verbindungsstraße nach Südfrankreich, in den Piemont und die Lombardei ist.
Gegen den Betreiber Autostrade per l’Italia seien Schritte eingeleitet worden, um die Lizenz für die Straße zu entziehen und eine Strafe von bis zu 150 Millionen Euro zu verhängen, erklärte Verkehrsminister Danilo Toninelli am Mittwoch auf Facebook. Er forderte das Management zum Rücktritt auf. Auch der Fünf-Sterne-Chef und Vize-Ministerpräsident Luigi Di Maio machte das Unternehmen für die Tragödie verantwortlich.
Salvini kritisiert EU-Regeln
Auch Innenminister Matteo Salvini sprach sich für einen Entzug der Lizenz aus. Das sei das Mindeste, was man erwarten könne. Ihm zufolge stehen der Sicherheit des Landes aber auch die strengen europäischen Defizitregeln im Wege: Geld, das für die Sicherheit ausgegeben werde, dürfe «nicht nach den strengen (…) Regeln berechnet werden, die Europa uns auferlegt», sagte der EU-kritische Politiker am Mittwoch dem Sender Radio24. «Immer muss man um Erlaubnis fragen, um Geld auszugeben», prangerte er an. Davon dürfe aber nicht die Sicherheit auf den Straßen, bei der Arbeit und in den Schulen, «in denen immer mal wieder die Decken einstürzen», abhängen.
Augenzeugen hatten berichtet, dass kurz vor dem Einsturz ein Blitz in die Brücke eingeschlagen habe. Doch Staatsanwalt Francesco Cozzi ließ im Gespräch mit RaiNews24 erkennen, dass auch die Ermittler von menschlichem Versagen als Ursache ausgehen. Zum jetzigen Zeitpunkt von einem Unglück zu reden, obwohl es sich bei der Brücke um ein «Werk von Menschen» handele, das Instandhaltungen unterzogen worden sei, «erscheint mir ziemlich gewagt», sagte Cozzi.
Veraltete Infrastruktur
Die Infrastruktur in Italien ist vielerorts dramatisch veraltet. Die Katastrophe an der «kranken Brücke», wie «Corriere della Sera» sie nennt, lässt nach mehreren weniger dramatischen Einstürzen in den vergangenen Jahren nun die Alarmglocken umso lauter schrillen. Laut der Tageszeitung «La Repubblica» sind um die 300 Brücken und Tunnel marode.
Der Polcevera-Viadukt wurde 1967 eingeweiht und führt im Westen von Genua unter anderem über Gleisanlagen und ein Gewerbegebiet führt, hat eine Gesamtlänge von 1182 Metern. Zum Zeitpunkt der Tragödie waren laut Betreibergesellschaft Bauarbeiten im Gange.
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