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Make Koler Kooler: Ein Dorf erlebt sein buntes Wunder

Make Koler Kooler: Ein Dorf erlebt sein buntes Wunder

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Am 15. Juli kann der junge luxemburgische Künstler Alain Welter endlich durchatmen, denn dann geht sein zweijähriges Kunstprojekt «Make Koler Kooler» zu Ende. Im Rahmen einer Open-Air-Vernissage können sich Dorfbewohner wie Neugierige von außen im Detail anschauen, wie der Street Artist das Dorfbild von Kahler verändert hat.

Von Anne Schaaf und Elisa Leclerc

«Der Bereich des Urban Art erlebt gerade seine Blütezeit in Luxemburg. Die Szene war noch nie so groß wie jetzt», erklärt der junge Künstler Alain Welter, der vergangenes Jahr seinen Abschluss als Illustrator machte und sich eben diesem Thema in seiner Bachelorarbeit widmete. Um seine Ideen von der Theorie in die Praxis – also vom Blatt direkt auf die Wand – umzusetzen, suchte er sich keinen x-beliebigen Ort, sondern sein Heimatdorf Kahler in der Gemeinde Garnich aus. Nach der Abgabe der Bachelorarbeit standen dem jungen Künstler immer noch leere Wände zur Verfügung, auch hagelte es Aufträge von den Bewohnern Kahlers, so dass sich das Dorf, das nur 299 Einwohner zählt, heute tatsächlich zu einem farbenfrohen Konglomerat an Urban Art entwickelt hat.

Neben dem Wetter, das in derartigen Open-Air-Galerien darüber entscheidet, ob man zur Tat schreiten kann oder nicht, gab es zumindest am Anfang ein weiteres kleines potenzielles Hindernis: «Als ich die ersten Familien fragte, ob ich ihre Wände nutzen darf, waren sie noch ein wenig verunsichert, da sie nicht so recht wussten, was sie erwartet. Beim zweiten Anlauf waren dann aber schon die meisten dabei. Denn da hatten sie die ‹Howdy farm›-Wand bereits gesehen und konnten sich ein besseres Bild von dem machen, was passieren wird.»

Drahtseilakt zwischen Freiheit und der Dorfgemeinschaft

Ebenfalls herausfordernd waren für den jungen Künstler nicht nur die meterhohen Wände, die er teils nur mittels Krananlage erreichte, sondern auch der Drahtseilakt zwischen künstlerischer Freiheit und den Interessen der Dorfgemeinschaft: «Während des ganzen Projekts stand immer wieder die Frage im Raum, inwiefern ich meinen eigenen Stil einbringen und gleichzeitig der Forderung gerecht werden kann, dass die Graffiti zu Kahler passen.» Dafür brauchte es Geduld, Flexibilität und ein sachtes Herantasten: «Ganz zu Beginn habe ich beispielsweise noch mit abstrakteren Formen und auffälligeren Farben gearbeitet, merkte dann aber schnell, dass das den Dorfeinwohnern nicht so gefällt. In dem Moment bin ich mir bewusst geworden, dass ich die Verantwortung dafür trage, wie das Dorfbild letztendlich aussehen wird», so Welter.

Nun freut sich der junge Künstler über die positiven Rückmeldungen, wenngleich er sich auch bewusst ist, dass es nicht nur bei Lobeshymnen bleibt. «Ich bekomme nur die positiven Reaktionen mit und der Bürgermeister leider die negativen. (lacht) Zu Beginn haben sich scheinbar sehr viele darüber aufgeregt, dass ich nur fremde Häuserfassaden anmalen würde. Danach sprach ich mit meinen Eltern und durfte dann schließlich auch unser Haus in das Projekt einweihen», erklärt der 24-Jährige schmunzelnd und deutet dabei auf den Fahrrad fahrenden Frosch, der die eigene Hauswand ziert.

Ein Rendez-Vous mit Kahler

Bei dieser fast zweijährigen Unternehmung lernte denn auch der Künstler selbst noch einiges über das Dörfchen, in dem er aufwuchs, hinzu: «Ich stand plötzlich vor der Aufgabe, mich mit der Geschichte und den Persönlichkeiten Kahlers auseinandersetzen zu müssen. Dementsprechend habe ich Dorfbewohner dazu befragt, was sich in Kahler alles zugetragen hat. Für das Porträt des ehemaligen Bürgermeisters von Garnich, der von hier stammt, habe ich beispielsweise dessen Familie besucht, um Einsicht in Fotos von ihm zu bekommen. Außerdem habe ich mich auch mit dem Ursprung des Dorfwappens beschäftigt. Durch diesen Prozess konnte ich von der Großstadt wieder zurück ins Dorf finden.»

Diese intensive Auseinandersetzung lässt nun neben ländlichen Nutztieren und dem Wappen entstammenden Raben auch Elemente an den Wänden wiederkehren, welche die Einwohner mit dem Ort verbinden. Ein Mann, der Alain Welter bat, seiner Fassade neues Leben einzuhauchen, erzählte ihm zuvor, er sei dorthin gezogen, da er sich nach Ruhe sehnte, und gab dem Künstler dann freie Hand. Entstanden ist ein schlafender Mann in einer Hängematte mitten in einer natürlichen Wohlfühl-Oase. Auch das Tier-Orchester, das jetzt stets Einwohner wie Besucher des Dorfs am Ortseingang mit Pauken und Trompeten empfängt, passt zu jenen Menschen, die das Haus bewohnen. Als guter Nachbar weiß Alain Welter nämlich, dass unter diesem Dach besondere Affinitäten für Musik zusammenkommen, da mehr als nur ein Musiker dort zuhause ist. Dementsprechend passt also die Hülle auch zum Inhalt.

Kunst aus der Dose

Den detailreichen Bildern an den Wänden fehlt es keineswegs an Feinheit und Eleganz. Einem Laien wird es schwerfallen, zu glauben, dass all dies im wahrsten Sinne des Wortes aus der Dose kommt. Lediglich die Grundierung brachte Welter mit einem Airless auf, also einer Maschine, mit der man Farbe großflächig sprühen kann. Danach ließ der erfahrene Sprayer freihändig die Sprühdose über die Oberfläche gleiten: «Ich gehe Rastern in der Regel aus dem Weg, weil die Auseinandersetzung mit der Wand essentiell ist.» Um jedoch die Proportionen bereits im Voraus abschätzen zu können, hatte er seine Skizzen in Photoshop auf Fotos der Wände projiziert. Im Angesicht der Wand profitierte er dann quasi von deren Unvollkommenheit: «Eine Wand ist nie perfekt und eben. Du hast immer irgendwo einen Punkt oder einen Fleck, von dem aus du dich orientieren kannst.»

Dass derzeit wahrscheinlich mehr Menschen wissen, wo sich der nahe gelegene belgische Ikea-Möbelmarkt befindet, als das 299-Seelen-Dorf, könnte sich nun ändern. Und dies gilt längst nicht nur für die Einwohner Luxemburgs, sondern scheinbar auch für Gäste von außen: «Lustigerweise habe ich erst heute eine Frau, die ich vorher noch nie hier gesehen habe, angetroffen. Sie machte Fotos von meinen Graffiti und ihr Auto hatte ein italienisches Kennzeichen. Man kann also sagen, dass heute schon ein klein wenig Tourismus in Kahler stattfand. (lacht) Bei den Dorfeinwohnern war ich mir anfangs nicht sicher, ob es sie nicht stören würde, wenn es plötzlich mehr Menschen nach Kahler zieht, aber bisher scheinen die meisten wohl noch zufrieden damit zu sein, sie erzählen sogar anderen vom Projekt.»

Village Branding

Die künstlerische Aufwertung des Dorfes, die es nun durch Alain Welters Arbeit erfahren hat, könnte man wenn auch nicht als Nation- so doch als «Village Branding» sehen. Kann man hier davon ausgehen, dass dies dem «kleinen Mann» unter Umständen besser gelingt als jenen Politikern, die eigentlich dafür zuständig wären? Welter tendiert zu einem Jein. «Dadurch, dass ich ganz allein und auf mich gestellt bin, kann ich meine Ideen ohne Wenn und Aber umsetzen, das ist natürlich ein großer Vorteil. Der Nachteil ist aber, dass ich dadurch auch die ganze Arbeit völlig allein erledigen muss. Mein Vater hilft mir zwar oft bei technischen Aspekten, aber das Organisieren meiner Vernissage hat mich beispielsweise sehr viel Zeit und Nerven gekostet.»

Das Projekt enthält übrigens keine Spuren von Lokalpatriotismus, wie der gebürtige Kahlerer betont: «Ich sehe mich nicht als Patriot. ‹Make Koler Kooler› soll auch keine Anspielung auf Trumps ‹Make America Great Again› sein. Mein Ziel war es, das, was man an sich in einer Stadt vorfindet, auf ein Dorf anzuwenden, und damit einen Kontrast herzustellen: Man fährt durch ein Dorf, das irgendwo im Nirgendwo liegt, und sieht plötzlich riesige Graffiti.»

Wie stellt sich Welter seinen bisherigen Fortschritt bildlich vor? Dazu fällt ihm Folgendes ein: «Ich habe jetzt gewissermaßen die erste Etappe bei der Besteigung des Berges geschafft. Und bin motiviert, noch weiter hinaufzusteigen.» Projekte wie ‹Make Koler Kooler› erlebt man als Künstler nicht tagtäglich und doch möchte Welter auch künftig versuchen, sich Raum für derartige Konzepte zu lassen: «Ich mache Projekte, weil ich Bock drauf habe und weil ich meinen Beitrag leisten möchte. Mich zieht es eher zu Jobs, bei denen ich spannende Erfahrungen machen kann. Diese sagen mir um Längen mehr zu als uninteressante Aufträge, bei denen man richtig Geld scheffeln kann. Nichtsdestotrotz ist Überleben natürlich auch wichtig. Es geht drum, sinnvolle Kompromisse zu machen.» Eines jedoch ist definitiv klar: «Ich werde nie Eventmanager», schmunzelt Alain mit etwas müdem Blick, denn wohl gerade er wird wahrscheinlich erst richtig durchatmen können, wenn die ersten Gäste am Sonntag erscheinen.