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Der Tag nach dem Escher Großbrand: Eine Stadt zieht Bilanz

Der Tag nach dem Escher Großbrand: Eine Stadt zieht Bilanz

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48 Stunden ist es her, dass die beiden Escher Lokale «Showtime» und «Standing» in Flammen standen. Am Dienstag hängt noch immer beißender Rauchgeruch in der Luft. Während für die einen der Alltag wieder einkehrt, bedeutet der Großbrand für die Bewohner der abgebrannten Gebäude in der rue d’Audun ein riesiger Einschnitt in ihr Leben.

«On a été épargné et on a vraiment eu une bonne étoile», sagt Carole Martin, die gerade dabei ist, einer Kundin die Nägel zu machen. Das «Marylik Institut» befindet sich gleich neben dem «Showtime», das am Vortag ein Raub der Flammen wurde. Die Mauer hin zum Nachtlokal sei ganz heiß gewesen, erzählt Carole Martin weiter, aber Schäden seien nicht entstanden. Während des Brands musste sie ihr Geschäft verlassen. Am Dienstag war sie pünktlich um 8 Uhr wieder da. «Ich kann doch die Kunden nicht im Stich lassen. Das Leben geht weiter», sagt sie lächelnd.

Ein bisschen anders sieht es beim «Euro-Kebab» aus. Es gibt zwar kein Hinweisschild darauf, dass der bekannte Imbiss geschlossen ist. Der heruntergelassene Metall-Rollladen spricht aber eine deutliche Sprache. Es wird wohl eine Weile dauern, bis man hier wieder die leckeren Fladenbrote mit Fleisch und Gemüse kredenzen kann.

Immer wieder kommen Schaulustige vorbei, um einen Blick in die verkohlten Ruinen zu werfen. In den beiden Gebäuden ist die Decke eingestürzt. Alles ist schwarz und ein beißender Geruch hängt nach wie vor in der Luft. Das Löschwasser tropft herunter. Am Dienstag musste die Escher Feuerwehr ausrücken, um letzte Brandherde definitiv zu löschen.

Ein älterer Mann, der sich mit beiden Händen an das Absperrgitter lehnt, sagt, dass alles noch weitaus schlimmer hätte kommen können. «Die Feuerwehren haben gute Arbeit geleistet, ansonsten wohl die ganze Häuserreihe abgebrannt wäre.»
Auch auf der Rückseite der betroffenen Gebäude ist das ganze Ausmaß der Zerstörung zu sehen. Die Dächer sind eingestürzt. Verkohlte Balken ragen heraus. Und in einer Einfahrt liegt ein Feuerlöscher.

Ein Mann, Mitte 30, sieht sich die Szene mit einem ernsten Blick an. Er wohnt im Haus links vom «Showtime». Die Fensterläden seiner Wohnung sind durch die enorme Hitze des Brandes geschmolzen. Er erzählt uns, dass sich sein Hund im Badezimmer verschanzt hatte und mit der Hilfe der Feuerwehr gerettet werden konnte. Es hätte auch schiefgehen können.

Armand Hoffmann, Anne Ludwig, Laurent Graaff


Die unterschätzte Gefahr

Gefahr bei einem Brand besteht nicht nur durch die Flammen und die Hitze. Vor allem der Rauch kann zu erheblichen gesundheitlichen Risiken oder sogar zum Tod führen. Erklärungen.

Die gute Nachricht zuerst: Beim Großbrand am Montag in der Escher rue d’Audun wurde laut der Sprecherin des «Centre hospitalier Emile Mayrisch» niemand verletzt. Fälle von Rauchvergiftung habe es auch keine gegeben.

Die größte Gefahr bei einem Brand sind nicht die Flammen selbst, sondern die giftigen Rauchgase, betonen Feuerwehr und Notärzte. Bis zu 90 Prozent der Opfer sterben an einer Rauchvergiftung.

Besonders gefährlich wird es, wenn man nachts vom Feuer überrascht wird. Der Geruchssinn funktioniert im Schlaf nämlich nicht ausreichend. So wird der Brand gar nicht oder erst zu spät bemerkt. Dringt der Rauch ins Zimmer, bleiben in der Regel nur wenige Minuten, um sich zu retten.

Am 6. Juni dieses Jahres hat der Ministerrat einen Gesetzentwurf über die obligatorische Installierung von Rauchmeldern in Gebäuden, wo mindestens eine Wohnung ist, angenommen. Des Weiteren verteilt die Regierung zurzeit gratis Rauchmelder.

Im Falle eines Brandes rät die Feuerwehr, sich nah am Boden aufzuhalten, z.B. gebückt zu gehen oder zu laufen, und sich durch ein feuchtes Tuch auf Mund und Nase vor den giftigen Gasen zu schützen. Denn der Rauch steigt immer in die Höhe. Vorsicht ist so vor allem in Treppenhäusern geboten. Nicht umsonst betreten die Feuerwehrleute ein brennendes Gebäude nur mit Atemschutz.

Symptome

Zeichen einer Intoxikation sind in der Regel Atemnot, starker Hustenreiz, Kopfschmerzen, Schwindel, eine erhöhte Herzfrequenz, Benommenheit oder gar Bewusstlosigkeit und Krampfanfälle. Rußspuren in Mund und Nase sowie verbrannte Wimpern und Augenbrauen sind klare Zeichen einer Rauchvergiftung.

Brandopfer sollen sich nach ihrer Rettung am besten hinsetzen und frische Luft einatmen. Zeigen sie Zeichen von Benommenheit, sollen sie sich hinlegen, wobei der Oberkörper höher liegen muss als die Beine. Auf jeden Fall müssen die Betroffenen unter medizinischer Beobachtung bleiben, denn die Auswirkungen der giftigen Gase können auch zeitverzögert eintreten. Viele Opfer sind verwirrt und wollen z.B. noch Sachen aus dem brennenden Haus retten. Deshalb sollten sie nie alleine gelassen werden. Falls man eine Sauerstoffflasche bei Hand hat, wird empfohlen, dem Patienten vier bis sechs Liter pro Minute zu verabreichen.
Wird der Gerettete bewusstlos, soll man ihn in die stabile Seitenlage bringen, sofort den Notarzt alarmieren und immer wieder seine Vitalfunktionen überprüfen. Die Behandlung einer Rauchintoxikation ist von Fall zu Fall verschieden. Wichtig ist es, das Opfer mit genügend Sauerstoff und Flüssigkeit zu versorgen. Medikamente sollen indes ausschließlich von einem Arzt verabreicht werden.

Gasmischungen

Die Rauchzusammensetzung hängt von mehreren Faktoren ab. Neben den Materialien, die den Flammen zum Opfer fallen (der sog. Brandlast), spielen auch die Sauerstoffkonzentration und die Temperatur eine Rolle.
Die Hauptbestandteile von Rauchgas sind folgende:

  • Kohlendioxid (CO2) wird bei der Verbrennung von organischen Stoffen unter der Zufuhr von genügend Sauerstoff freigesetzt. Es ist schwerer als Luft und verdrängt den Sauerstoff. Die Feuerwehr benutzt auch CO2, um die Flammen zu ersticken.
  • Kohlenmonoxid (CO) entsteht z.B. durch die Verbrennung von Holz, Papier, Textilien oder Treibstoffen. Es ist besonders gefährlich, weil es farb-und geruchlos ist. Kohlenmonoxid bindet sich im Körper anstatt der Sauerstoffatome an die roten Blutkörperchen. Dadurch wird der Sauerstofftransport im Körper beeinträchtigt.
  • Chlorwasserstoff (HCL, in Kombination mit Wasser bekannt als Salzsäure) entsteht vor allem bei der Verbrennung von Kunststoffen. HCL kann zu einfachen Reizungen, aber auch zu schweren Verätzungen der Schleimhaut führen.
  • Zyanid (HCN, Blausäure) entsteht u.a. bei der Verbrennung von Teppichen, Kleidung, Polster, Isolierungsmaterial oder Plastik. Wie beim Kohlenmonoxid kann man ersticken, wenn man es einatmet. Zyanid unterbindet den Gasaustausch zwischen Blut und Zellen.
    Bei einem Feuer können auch Schwefeloxide, Stickstoff oder andere Dioxine freigesetzt werden.

René Hoffmann


Die Bilanz

Respektvoller Umgang

Aufgrund der Löscharbeiten war die rue d’Audun für mehrere Stunden nicht für den Verkehr zugänglich. Gegen 17.00 Uhr sperrte die Polizei zudem die rue des Acacias. Das Viertel Hiel war völlig von der Außenwelt abgeschnitten. Niemand konnte es betreten oder verlassen. Pendler, die nach Frankreich wollten, mussten auf die Liaison Micheville ausweichen. Der Boulevard J. F. Kennedy wurde in Richtung Bahnhof gesperrt. In Richtung Frankreich staute sich der Verkehr kilometerlang.
„Das Team der städtischen Werke war insgesamt fünf Stunden im Einsatz. Die Planungen nahmen rund eine Stunde in Anspruch. Die Autofahrer im Stau haben die Rettungskräfte immer vorbeigelassen und das trotz der schmalen Straßen im Zentrum. Die Fahrer haben sich außerdem immer an unsere Anweisungen gehalten“, so Stefano Laquintana von „Travaux municipaux“ rückblickend.

Rush auf Rauchmelder

Vor ein paar Wochen erhielten alle Luxemburger Haushalte die Aufforderung, sich kostenlos einen Rauchmelder in ihrer Gemeinde abzuholen.
„Auf die Rauchmelder fand seit Beginn der Aktion ein regelrechter Rush statt. Wir mussten schon welche nachbestellen. Ich bin der Meinung, dass Rauchmelder im Notfall Leben retten können. Kaum auszumalen, wenn das Feuer in der Nacht ausgebrochen wäre“, erläuterte Bürgermeister Georges Mischo.
Ob die Anfragen nach Rauchmeldern seit Montag noch angestiegen sind, konnten die Verantwortlichen der Gemeinde nicht sagen.

Viele Freiwillige im Einsatz

„Es ist wichtig, zu erwähnen, dass viele Freiwillige ebenfalls im Einsatz waren, die ihren Dienst geleistet haben“, betonte Cédric Gantzer, Pressesprecher der „Administration des services de secours“, im Gespräch mit dem Tageblatt. Der Brand in Esch war außergewöhnlich groß. Hinzu kam, dass die Einsatzkräfte die Meldung bekamen, dass sich im Inneren des Gebäudes Gasflaschen befänden. Deswegen wurde der Einsatz zuerst von außen durchgeführt.

Nachts wurde eine Ablöse organisiert, um die Kräfte vor Ort zu schonen, die doch ziemlich ausgepowert waren. Es waren beispielsweise Einsatzkräfte aus Lintgen und Hesperingen zur Stelle, um Brandnester zu löschen. Ein weiteres Problem waren die Baulichkeiten, da sie sich auf verschiedenen Höhen befinden. Laut Gantzer waren weit über 120 Einsatzkräfte vor Ort. Dienstagmorgen gab es einen Nachalarm, weil es erneut einen Brand gegeben hatte. Dies sei bei solch einem großen Brand fast unausweichlich, so Gantzer, da sich viel brennbares Material angesammelt habe, das noch warm gewesen sei. Die Situation konnte jedoch sofort unter Kontrolle gebracht werden, nach ein bis zwei Stunden war alles gelöscht. Ob sich weitere Brände in nächster Zeit ereignen werden, könne er nicht sagen, da er nicht vor Ort gewesen sei. Parallel zum Brand in Esch hat es am Montag zwei weitere Brände gegeben: einen in Rümelingen und einen weiteren in Hesperingen. Sie hätten gerade genug zu tun, sagte der Pressesprecher abschließend.

Mit dem CGDIS wurde eine neue Kommandostruktur eingeführt. Ein kleiner Einsatz mit einem Löschwagen wird „Section“ genannt. Die nächste Stufe lautet „Peloton“. Der Einsatz in Esch wurde als „Compagnie“ eingestuft. Wie Bürgermeister Georges Mischo auf Nachfrage bestätigte, war bei dem Brand niemand des „Groupe de support psychologique“ des Roten Kreuzes vor Ort.

40 Personen vorübergehend in Hotels untergebracht

Bei dem Brand in der rue d’Audun fielen nicht nur zwei Nachtclubs den Flammen zum Opfer. Auch das benachbarte Mehrfamilienhaus wurde durch Löschwasser und das Feuer unbewohnbar. „Wir mussten 40 Personen evakuieren und in Hotels in Esch und Umgebung unterbringen. Wie lange die Menschen dort bleiben müssen, ist momentan noch unklar“, erläuterte Naïma Xhafa, Sozialarbeiterin bei der Stadt Esch, gegenüber dem Tageblatt. Wie Bürgermeister Georges Mischo versicherte, werde man die betroffenen Familien nicht im Stich lassen und so lange begleiten, wie es nötig ist.

500 Kubikmeter Wasser pro Stunde

„Am Montag haben wir zu Spitzenstunden 500 Kubikmeter Wasser pro Stunde verbraucht. Es gab keine Schwierigkeiten während der Löscharbeiten, da die Feuerwehr auf das Wasser aus den zwei benachbarten Vierteln Zentrum und Grenz zurückgreifen konnten“, erklärte Fernand Reiter vom „Service des eaux“. Durch den hohen Druck wurden jedoch einige Leitungen beschädigt. Die Schäden wurden aber schnell wieder behoben.
Auch wenn die Behörden die Bevölkerung aufgefordert hatten, etwas sparsamer mit dem Trinkwasser umzugehen, habe es zu keinem Moment Engpässe bei der Trinkwasserversorgung gegeben, versicherte Bürgermeister Georges Mischo.

Wieder Strom

Die Stromversorgung rund um die rue d’Audun musste zeitweise unterbrochen werden.
In diesem Zusammenhang forderte Bürgermeister Georges Mischo, dass die Dienste, die sich um das Trinkwasser und den Strom kümmern, in Zukunft sofort mit der gerufenen Feuerwehr alarmiert werden. Man werde diesen Vorschlag bei der CGDIS unterbreiten. „In diesem Fall können die zuständigen Dienste schnell eingreifen und weitere Schäden verhindern“, so Mischo.

Kein Musikunterricht

Alle Musikkurse im Escher „Conservatoire“ wurden am Montagabend abgesagt. „Zum einen spielt die Sicherheitslage eine ausschlaggebende Rolle, doch wir wollten auch unnötiges Verkehrsaufkommen in der Nachbarschaft des Brandherds vermeiden, um die Löscharbeiten nicht zu behindern“, so die Begründung des Bürgermeisters Georges Mischo.

Wärmebilder aus der Luft

Den ganzen Montagnachmittag schwebte der blau-orange Polizeihelikopter mit knatternden Rotoren über Esch und dem Brandherd.

„Der Polizeihubschrauber ist mit einer Wärmebildkamera ausgestattet. Brandherde, die heißer als 300 Grad heiß werden, werden sofort von der Kamera erfasst. Die Bilder werden dann in Echtzeit in die mobile Einsatzzentrale des CGDIS geleitet, die dann die Organisation der Feuerwehr am Brandherd koordiniert“, erklärte der Escher Schöffe André Zwally.