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So überstehen Sie den Weltflüchtlingstag

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Hier die aktuellsten Fakten, um heute offen und unverkrampft zu diskutieren.

Sie kennen es vielleicht: Sie streiten sich mal wieder mit jemandem über Flüchtlinge. «Wieso kommen Sie alle zu uns?», «Wieso flüchten Sie nicht in ihrem eigenen Land?». Die Liste der Evergreens ist lang, die Lücke zwischen Wahrnehmung und Statistik der Nährboden für gefühlte Wahrheiten. Hier die aktuellsten Fakten zur Migration, um am heutigen Weltflüchtlingstag offen und unverkrampft zu diskutieren.


«Wieso flüchten sie nicht in ihrem Land?»

Die Zahl kann erschreckend wirken: 68,5 Millionen Menschen mussten 2017 ihr Zuhause verlassen. Meistens wird diese Form von menschlichem Leid in zwei Kategorien diskutiert: Mitgefühl vs. Mitleidslosigkeit. Beide Seiten vergessen dabei oft die Fakten. Ein Beispiel hierfür ist die oft gestellte Frage: «Wieso flüchten sie nicht in ihrem eigenen Land?». Während die «Gutmenschen» so tun, als gäbe es zum Beispiel in Kriegsgebieten wie Syrien keine Rückzugsmöglichkeiten, wirken die «besorgten Bürger», als ob sie den Irak mit einem «Club Med» verwechselten.

Beide Lager erweisen den Flüchtlingen damit keinen Gefallen. Denn die nackten Zahlen sprechen für sich: Von den 68,5 Millionen Flüchtlingen sind 25,4 Millionen aus ihrem Land geflüchtet – satte 40 Millionen Menschen sind aber Flüchtlinge in ihrem eigenen Land (Binnenflüchtlinge). Gerade diese Zahlen zeigen, dass die meisten Flüchtlinge auf der Welt eben nicht ihr Land verlassen. Hierfür gibt es eine Vielzahl von soziodemografischen Faktoren. Und selbst jene, die ihr Land verlassen, waren zum Teil vorher Binnenflüchtlinge.


«Wieso gehen sie nicht nach Hause?»

Es stimmt, dass Verfolgung, Konflikte, Gewalt und Naturkatastrophen immer noch die wichtigsten Fluchtursachen sind. Alleine 2017 kamen deswegen 16,2 Millionen Menschen hinzu, die ihr Zuhause verlassen mussten. Von ihnen sind 11,8 Millionen in ihrem eigenen Land geflüchtet. 4,4 Millionen Menschen flohen aus ihrem Land. Letztes Jahr kamen demnach täglich 44.400 Menschen auf der Flucht hinzu. Gleichzeitig kehrten viele Menschen zurück, um ihr Leben neu aufzubauen. Gemäß dem gestern veröffentlichten Jahresbericht des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR kehrten 4,2 Millionen Binnenflüchtlinge in ihrem Land zurück. 667.400 Flüchtlinge traten aus dem Ausland den Weg in ihr Heimatland an.


«Sie flüchten alle zu uns wegen einem besseren Leben»

Eines der weit verbreiteten Klischees lautet: Jeder halbwegs mobile Flüchtling reist vom anderen Ende der Welt nach Europa in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Nun mag es stimmen, dass es diese Hoffnung bei vielen Flüchtlingen gibt. Auch Asyltourismus, der nichts mit der Schutzpflicht zu tun hat, existiert. Allerdings sollte man sich bei solchen pauschalen Vorwürfen folgende Dimension vor Augen vorführen: Von den weltweit 68,5 Millionen Flüchtlingen kommen nur 15 Prozent in hoch entwickelte Regionen wie Europa oder die USA. 85 Prozent aller Flüchtlinge leben in sogenannten Entwicklungsländern oder sich entwickelnden Ländern. Gerade deswegen wirken die Abschottungsversuche der EU so hart.


«Die meisten Flüchtlinge sind jung»

Es stimmt, dass viele Flüchtlinge jung sind. 52 Prozent der Menschen, die 2017 auf der Flucht waren, sind Minderjährige. Zum Vergleich: 2009 waren «nur» 41 Prozent der Asylsuchenden Kinder. Gerade der Schutz der Flüchtlingskinder ist immer wieder gefährdet: Sie werden unterwegs Opfer von Gewalt, zur Prostitution und zur Kinderarbeit gezwungen. Gerade in diesem Bereich zeigt sich der Mangel an internationalen Vereinbarungen, der Minderjährige vor Ausbeutung, Missbrauch und Tod schützt. Alleine in Griechenland befinden sich derzeit 22.500 Flüchtlingskinder. Sie sind auf Schleuser angewiesen und ihnen somit ausgeliefert. Selbst jene Kinder, die nicht zur Prostitution gezwungen werden, müssen sich prostituieren, um zu überleben.


«Unbegleitete Kinder sind nur ein Phänomen»

Ohne Eltern oder sonstige Angehörige fliehen: Offiziell sind letztes Jahr 173.800 unbegleitete Kinder vom UN-Flüchtlingshilfswerk registriert worden. Alleine 8.800 stammen aus Afghanistan, im Vorjahr 2016 waren es noch 26.700. Des Weiteren kamen 4.800 unbegleitete Kinder aus Eritrea, 3.100 aus der Demokratischen Republik Kongo, 2.600 aus Gambia, 2.500 aus Guinea, 2.400 aus Somalia, 2.100 aus dem Irak, 1.900 aus Pakistan, 1.800 aus Syrien, 1.500 aus Nigeria, 1.300 aus Bangladesch, 1.200 aus Äthiopien und 1.100 aus der Elfenbeinküste. Diese Zahlen verdeutlichen, dass noch viele Kinder auf sich alleine gestellt flüchten werden.


«Trump hat die Asylbewerber abgeschreckt»

Die Wirkungskraft der USA kann nicht einmal durch einen autoritären, intoleranten und inkompetenten US-Präsidenten wie Donald Trump beschädigt werden: Zum ersten Mal seit 2012 sind die USA das Land, das die meisten Asylanträge erhalten hat. Letztes Jahr haben 331.700 Menschen um Asyl in den USA gebeten. Die Zahlen haben sich seit 2015 fast verdoppelt: 2015 erhielten die USA 172.700 Asylanträge, 2016 waren es 262.000.
Was hier besonders auffällt: Zum ersten Mal seit 2013 werden die meisten Asylanträge nicht von Syrern, sondern von Afghanen gestellt. 124.900 Afghanen stellten in 80 verschiedenen Ländern Asylanträge. Knapp dahinter folgen die 117.100 Syrer in 104 verschiedenen Ländern.


«Europas Staaten tragen die größte Last»

Liest man europäische Medien, hat man den Eindruck, dass der jeweilige EU-Mitgliedsstaat die meisten Flüchtlinge aufgenommen hat. Differenziert man jedoch ein wenig, zeigt sich ein ganz anderes Bild. Denn kein anderer Staat wie der Libanon hat im Verhältnis zu seiner Bevölkerung die meisten Flüchtlinge aufgenommen. Einer von sechs Einwohnern des Libanons ist Flüchtling. Zum Vergleich: Auf Platz zwei und drei folgen Jordanien (1 von 14) und die Türkei (1 von 23).
Besonders tragisch wird das Bild, wenn man die palästinensischen Flüchtlinge hinzuzählt. Im Falle Libanons ist dann jeder vierte Einwohner ein Flüchtling und in Jordanien gar jeder dritte. Der Libanon wurde zum Paradebeispiel, wie solidarisch, aber auch fragil ein Land in der Flüchtlingsfrage wird. Die Schulpläne mussten umorganisiert werden. Die Transportmittel für die Kinder ebenfalls. Auch politisch schien es für kurze Zeit so, als ob der Libanon kurz vor der Implosion stünde.


«Die Flüchtlinge kommen von überall her»

68 Prozent aller Flüchtlinge stammen aus nur fünf Ländern. Demnach kommen zwei Drittel der Menschen, die auf der Flucht sind, aus folgenden Ländern: Syrien (6,3 Millionen), Afghanistan (2,6 Millionen), Südsudan (2,4 Millionen), Myanmar (1,2 Millionen) und Somalia (986.400). Blickt man auf die einzelnen Länder, zeigt sich, wie verschieden und doch wie gleich Fluchtursachen sein können.

Der Stellvertreterkrieg in Syrien hat eine von vielen Politikern verschlafene Eigendynamik entwickelt, die bis heute zu spüren ist. Der IS-Terror, die Flüchtlingskrise in Europa und der Aufstieg des Rechtspopulismus wären kaum ohne diesen blutrünstigen Krieg vorstellbar gewesen. Dabei wird dieser jüngst vor allem diskutiert, wenn es um die Zukunft der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel geht. Was sich jedoch in dem Land abspielt, scheint mal wieder bis zur nächsten großen, tränenreichen medialen Inszenierung Nebensache zu sein.


«Wieso fliehen Sie nicht in ihrer Region?»

So sehr der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ein rotes Tuch für viele ist: die Türkei bleibt zum vierten Mal in Folge jenes Land, das die meisten Flüchtlinge aufgenommen hat. Rund 3,5 Millionen Flüchtlinge lebten alleine 2017 in der Türkei. Die meisten von diesen Menschen stammen aus dem Nachbarland Syrien (3.424.200), dem Irak (37.300), dem Iran (8.300) und Afghanistan (5.600). In der «Top 10» der Länder mit den meisten Flüchtlingen findet sich nur ein einziger westlicher Staat: Deutschland. Luxemburgs Nachbarland hatte 2017 eine Flüchtlingsbevölkerung von 970.400 Menschen. Sie stammen aus Syrien (496.700), Irak (130.600), Afghanistan (104.400), Eritrea (49.300) und dem Iran (38.300).

Blickt man auf die restlichen Staaten der «Top 10», zeigt sich, dass Flüchtlinge selbst in benachbarte Krisenstaaten fliehen. Auf Platz zwei folgt hinter der Türkei Pakistan. Im Nachbarstaat Indiens waren 2017 rund 1,4 Millionen Flüchtlinge. Der Iran wird meist thematisiert, wenn Donald Trump mal wieder richtig schön in die Twitter-Tasten haut. Was der große Geopolitiker dabei stets ausklammert: der Iran hat rund eine Million Flüchtlinge aufgenommen. Alleine 951.100 stammen aus Afghanistan. Die US-Invasion und der Taliban-Terror haben diese Fluchtbewegung gefestigt.


 

Jacques Zeyen
20. Juni 2018 - 21.46

52% Minderjährige?
Schauen sie sich das Foto ihres Artikels " Unsere verlorenen Jahre" an. Oder irgend ein anderes Foto von Afrikanern die aus dem Mittelmeer gefischt wurden. Wieviele Minderjährige sehen sie darauf?
Ich kenne die Zählungen nicht,aber Kinder ,Frauen oder alte Menschen habe ich noch nicht in Schlauchbooten gesehen. Also ist doch anzunehmen,dass diese Jungs ihr Glück im Land wo Milch und Honig fließen versuchen wollen. Ich würde es auch tun. Aber das ist nicht das Problem.Das Problem liegt in der Aussichtslosigkeit im eigenen Land,an der Überbevölkerung,an der unterlassenen Hilfe aus den"Erstländern". Und mit Hilfe meine ich nicht Säcke mit Mehl und Kisten mit Trockenmilch anliefern. "Ich werde es solange versuchen bis ich drüben bin." sagte ein junger Afrikaner neulich in die Kamera. Das gibt zu denken.

GuyT
20. Juni 2018 - 12.18

Hervorzuheben ware sit dass viel Zahlen Schätzungen sind z.B. ist eindeutig der Antil der Syrien zu hoch geschätzt weil es viel "falsche" Syrischen Flüchtlinge gibt die den Pass "verloren " haben. Zudem fehlen auch Zahlen zu den Anerkennungsquote sowie der Rückführungsquote und auch zu Kosten der Flüchlingskrise um eine ehrliche Diskussion zu führen