Der stellvertretende EU-Kommissionsvorsitzende Timmermans hat Polen bei einem Besuch in Warschau eine Frist bis nächste Woche gegeben. Wenn es dann keine Einigung zu den polnischen Eingriffen in die Justiz gibt, wird das Rechtsstaatlichkeitsverfahren fortgesetzt.
Von unserem Korrespondenten Jens Mattern, Warschau
Es war eine wichtige Pressekonferenz gestern Vormittag im Warschauer Kanzleipalast. Der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki und der stellvertretende EU-Kommissionsvorsitzende Frans Timmermans stellten sich. Fragen waren jedoch keine erlaubt, nach kurzen Erklärungen verschwanden die Politiker eilig.
Von einem «konstruktiven Dialog», der fortgesetzt werden sollte, sprachen beide. Doch bedeutend war, was nicht gesagt wurde – dass beide Seiten sich im Streit um die Justizreformen nicht bewegt hatten. Die EU-Kommission hat im vergangenen Dezember ein Rechtsstaatlichkeitsverfahren gegen Polen eingeleitet, da die Eingriffe der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) in die Justiz die Gewaltenteilung gefährden. Nachdem die Kontrollinstanzen Verfassungsgericht und Landesjustizrat bereits gleichgeschaltet sind, geht es aktuell um das Oberste Gericht.
Dort können vom 3. Juli an alle Richter ab dem 65. Lebensjahr entlassen werden. Dies sind etwa 40 Prozent, darunter die Vorsitzende Malgorzata Gersdorf, eine prominente Kritikerin der nationalkonservativen Regierung. Die Regierung in Warschau war jedoch nicht bereit, von kleinen Eingeständnissen abgesehen, von diesen Änderungen abzusehen. Für nationalkonservative Polen, die Symbolen eine große Bedeutung beimessen, wurden diese als Gesten gedachten Änderungen nicht genügend honoriert.
Der Jurist Timmermans, der immer wieder zu Gesprächen nach Warschau flog, setzte jedoch eine Frist. Wenn es bis zum EU-Ministertreffen am 26. Juni in Luxemburg keine Einigung mit Warschau gebe, werde das Rechtsstaatlichkeitsverfahren weitergeführt.
Appell der Opposition
Als nächster Punkt stände dann eine Anhörung polnischer Regierungsverantwortlicher zur Rechtsstaatlichkeit auf der Agenda. Eine Prozedur, die viele Polen als Attacke auf die «nationale Souveränität» sehen würden.
Auch der Premierminister erklärte, es würde «gewisse Kräfte, denen an einem Kompromiss nicht gelegen» sei, geben, dazu gehöre Timmermans nicht. Doch das Umfeld des Premiers ist anderer Meinung. Schon im Vorfeld wurde der Besuch negativ aufgenommen. Dazu beigetragen hatte auch ein bedeutender Versprecher. «Ich fahre nach Moskau, um den Dialog mit der polnischen Regierung weiterzuführen», erklärte Timmermans in der vergangenen Woche in Straßburg. Viele rechte Politiker wie Journalisten in Polen nahmen ihm die Entschuldigung nicht ab. Zumal der liberale EU-Parlamentarier Guy Verhofstadt PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski sowie weitere europäische Rechte als «Cheerleader Putins» bezeichnete.
Von Michal Dworczyk, dem Kanzleichef des polnischen Premiers, wurde Timmermans unterstellt, er würde sich durch den Konflikt mit Polen in Brüssel politisch profilieren wollen. Auf der anderen Seite soll EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker eher dazu tendieren, eine Konfrontation mit Polen zu vermeiden. Zu sehr stehe die «europäische Souveränität» auf dem Spiel, angesichts des Brexits und der populistischen Regierung in Italien.
Als prekär gilt allerdings, dass Polen ein Gesetz plant, das erlaubt, polnische Gerichtsurteile von 1997 an via «außerordentliche Klage» aufzuheben. Die außerparlamentarische Oppositionsgruppe KOD (Komitee zur Verteidigung der Demokratie) demonstrierte gestern Abend vor dem Gebäude des Obersten Gerichts gegen die Gesetzesnovelle. Im Vorfeld hat die Vorsitzende der Organisation, Magdalena Filiks, einen Appell an die europäische Öffentlichkeit gerichtet: «Nun brauchen wir die Solidarität unserer europäischen Schwestern und Brüder.» Zuvor hatte sie erklärt, dass dank des polnischen Wirkens der Eiserne Vorhang und die Mauer gefallen seien.
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