Die Affäre um das von Italien und Malta abgewiesene Flüchtlingsschiff Aquarius mit über 600 Menschen an Bord hat die Europäer wieder auf eindringliche Weise mit den ungelösten Fragen ihrer Migrations- und Asylpolitik konfrontiert. Im Europäischen Parlament (EP) wird mit dem Finger auf die EU-Staaten gezeigt, die nicht fähig seien, eine Einigung bei der Reform der Dublin-Regelung herbeizuführen. Der Vorsitzende der liberalen Fraktion erwägt daher, den Rat vor dem Europäischen Gerichtshof zu verklagen.
«Wenn auch wichtige Entscheidungen Zeit brauchen, so können wir sie nicht unendlich vertagen», mahnte am Dienstag im EP der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, im Hinblick auf die bereits zweimal verschobene Entscheidung zur Reform der EU-Asylpolitik, die zum wiederholten Mal Ende des Monats beim EU-Gipfel in Brüssel zur Diskussion steht. Dabei schloss er sich den Worten des EP-Präsidenten Antonio Tajani an, der zuvor die Ratsvertreterin, die bulgarische Ministerin Monika Panayotova, daran erinnert hatte, dass die EP-Abgeordneten als Mitgesetzgeber bereits im November ihren Vorschlag zur Reform der Dublin-Regelung verabschiedet hätten, an dem sich die EU-Staaten orientieren könnten.
Die zuständigen EU-Innen- und Immigrationsminister allerdings waren vergangene Woche bei ihrer Ratstagung in Luxemburg erneut daran gescheitert, sich auf einen gemeinsamen Standpunkt zu einigen. Nun sollen die EU-Staats- und Regierungschefs bei ihrem Gipfeltreffen am 28. Juni eine Lösung finden.
Neue Dublin-Regelung wird nicht eingehalten
Dabei hatte der bulgarische Ratsvorsitz einen Kompromiss vorgelegt, der manchen osteuropäischen Mitgliedstaaten entgegenkommen sollte. Es sind vor allem die Visegrad-Staaten – Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei –, die es ablehnen, Asylsuchende nach einem EU-weiten Verteilschlüssel überhaupt bei sich aufzunehmen. Genau das aber sieht die Neufassung der Dublin-Regelung vor.
Denn es hat sich in den vergangenen Jahren gezeigt, dass bei einem massiven Zustrom von Flüchtlingen die Vorgabe, nach der jenes Land für einen Asylantrag zuständig ist, in dem ein Schutzsuchender als erstes ankommt, nicht einzuhalten ist. Ohnehin verlangen Italien und Griechenland, bei denen in den vergangenen Jahren am meisten Flüchtlinge angekommen sind, eine gerechtere Lastenverteilung. In allen Fraktionen im EP bestehe «großer Unmut über die Nichthandlungsfähigkeit des Europäischen Rates im Hinblick auf die Dublin-Reform», sagte am Dienstag die Vorsitzende der Linken-Fraktion, Gabi Zimmer. Es hätte nicht zu einer «solchen Katastrophe» kommen dürfen wie jetzt mit dem Hilfsschiff Aquarius, so die deutsche EP-Abgeordnete.
Auffangzentren in Transitländern
Zwar wurde der italienische Innenminister Matteo Salvini vereinzelt scharf dafür kritisiert, dass er dem von unter anderem «Médecins sans frontières» gecharterten Flüchtlingsschiff den Zugang zu italienischen Häfen verweigert hatte. Doch wiesen andere, wie die Vorsitzende der Grünen-Fraktion, Ska Keller, auch darauf hin, dass Italien als einziges Land seit Jahren Menschen im Mittelmeer rettet und dabei weitgehend allein gelassen wurde.
Allerdings hatte sich bereits die vorige italienische Regierung darüber beschwert, dass Hilfsorganisationen vor der libyschen Küste offenbar auf die Schlauchboote der Flüchtlinge warten würden, um diese nach Italien zu bringen. Ska Keller deutete daher an, dass Matteo Salvini mit seiner Abweisung durchaus auch jene NGOs ins Visier nähme, die im Mittelmeer Menschen aus Seenot retten würden. Damit es nicht so weit komme und sich Flüchtlinge in die Hände von Schleppern und Menschenhändlern gäben, wird im EP ebenfalls wieder die Idee von Auffangzentren in die Diskussion gebracht. Denn, so der Vorsitzende der EVP-Fraktion, Manfred Weber, die meisten, die über das Mittelmeer kämen, seien «keine Kriegsflüchtlinge», sondern «illegale Einwanderer». Der Errichtung solcher sogenannter Hotspots in nordafrikanischen Transitländern kann auch der Vorsitzende der Liberalen, Guy Verhofstadt, etwas abgewinnen. Doch ärgert ihn vor allem, dass der Europäische Rat nur redet und nicht handelt und weshalb er den Mitgliedstaaten «Unfähigkeit» vorwirft, Entscheidungen zu treffen.
Für den Fall, dass auch nach ihrem Gipfel die 28 keine Einigung in der Asylfrage gefunden haben, schlägt Guy Verhofstadt daher vor, eine Anklage gegen den Rat vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg wegen Tatenlosigkeit zu erwägen. Artikel 265 des Lissabonner Vertrages würde dies vorsehen, so der Belgier. Die italienische Linken-Politikerin Barbara Spinelli sowie ihre Vorsitzende Gabi Zimmer deuteten bereits die Unterstützung der Fraktion der Linken für den Vorschlag von Verhofstadt an.
Es gibt keine Lösung
Bravo, dann dauert es wohl noch 20 Jahre bis eine Lösung gefunden wird.