Von Nico Wildschutz und Pol Schock
Am 7. Juni 2015 waren die Luxemburger aufgerufen, zu wählen: Sie sollten nicht abstimmen über Parlament, Parteien oder Politik, sondern über Fragen der zukünftigen Verfassung. Das Ergebnis: Alle Vorschläge wurden abgelehnt – und zwar deutlich. Ein Rückblick.
Der Weg
Was viele heute nicht mehr wissen: Das Referendum ist Teil des Prozesses der Verfassungsreform. Und was wohl noch häufiger vergessen wird: Die Diskussionen zur Reform der Verfassung von 1868 reichen zurück ins vergangene Jahrhundert. Kurz vor den Wahlen im Mai 1999 erklärte die Abgeordnetenkammer fast alle Artikel der Verfassung für revisionsbedürftig: zu alt, zu unmodern und für die Herausforderungen der Gegenwart nicht mehr geeignet. Im Koalitionsabkommen spricht die neu gewählte CSV-DP-Regierung sich schließlich für die Ausarbeitung einer neuen Verfassung aus, die durch ein Referendum den Bürgen vorgelegt werden soll. Knapp zehn Jahre berät die Verfassungskommission des Parlaments und legt 2009 einen ersten Entwurf vor. Und während die Abgeordneten sich über den Großteil des Textes einig sind, gibt es bei einigen Punkten Differenzen: Vorrechte des Großherzogs, Wahlrecht für Ausländer, Verhältnis zwischen Staat und Kirche, die Existenz des Staatsrates, Ämterhäufung und Mandatsdauer sowie die Herabsetzung des Wahlalters.
Alex Bodry (LSAP) brachte 2012 ein Referendum ins Spiel: Die Bürger könnten zu Einzelfragen gezielt befragt werden. Der Hintergrund: In Verfassungsfragen benötigt das Parlament eine Zweidrittelmehrheit, bei einer Volksbefragung reicht hingegen eine einfache Bürgermehrheit. Laut Luc Heuschling, Professor für Verfassungsrecht der Universität Luxemburg, war es ein legitimer Trick, um die Bürger vor die Parteien zu stellen.
Im Koalitionsprogramm von 2013 behielten DP, LSAP und «déi gréng» die Fragen zu Ausländerwahlrecht, Trennung von Kirche und Staat, Mandatsdauer und Wahlrecht ab 16 zurück. Zudem sollten auch die anderen Parteien die Möglichkeit haben, Referendumsfragen einzureichen. Die CSV schlug jedoch nichts vor, da sie die Volksbefragung an sich ablehnte. Den Vorschlag von «déi Lénk» auch über die Staatsform abzustimmen, ignorierten alle anderen Parteien. Nachdem Bistum und Regierung sich prinzipiell über eine Trennung einigen konnten, fiel zudem die Frage zur Trennung von Staat und Kirche weg. Da waren es nur noch drei. Für Heuschling war die Frage nach der Ausweitung des Wahlrechts auf Ausländer dabei geradezu von revolutionärem Charakter – von vergleichbarer Tragweite wie die Frage nach der Einführung des Wahlrechts für Frauen.
Die entglittene Debatte
Für Alex Bodry, Fraktionschef der LSAP, wurde lange genug debattiert. «Das war keine Kampagne von zwei Monaten», urteilt Bodry im Nachhinein. «Die Fragen waren schon ein Jahr vor dem Referendum bekannt und die Debatte wurde dann auch losgetreten.» Er glaubt im Gegenteil, dass eine längere Debatte die Stimmung hätte weiter kippen lassen.
«In den ersten Umfragen war die Stimmung bei den drei Fragen eher positiv», erinnert er. «Je länger die Debatte andauerte, desto stärker kippte die Stimmung in die andere Richtung.» Der LSAP-Politiker hatte damals den Eindruck, dass die Leute keine Lust mehr hatten, zu diskutieren. «Wir waren bei unseren Ständen und die Leute haben von Weitem gewinkt, sind aber nicht auf uns zugekommen», sagt Bodry.
Auch Verfassungsexperte Luc Heuschling spricht von einer «großen Debatte». Allerdings sei diese den Parteien früh entgleitet und wurde dezentral von der Zivilgesellschaft in den sozialen Medien geführt. Die Mehrheitsparteien hätten es dabei versäumt, gegenzusteuern und das Feld dem Nein-Lager überlassen. Spätestens nach Etienne Schneiders Fauxpas, als dieser bei einer Pressekonferenz offenbarte, die genaue Frage zum Ausländerwahlrecht nicht zu kennen, war für Heuschling das Kommunikationsdebakel der Regierung komplett.
Heuschling findet das Resultat dabei weniger «desaströs» wie oftmals dargestellt. Er war damals überrascht, dass es zu Beginn in den Umfragen eine knappe Mehrheit für die Ausweitung des Ausländerwahlrechts gab. «Für eine derart einschneidende Veränderung im Wahlrecht war das geradezu erstaunlich», so Heuschling. Der Großteil der Bürger gelte als strukturell konservativ und im Zweifel gegen Neuerungen. Das Ergebnis von rund 20 zu 80 Prozent in der Frage des Ausländerwahlrechts sei letztlich positiv zu deuten.
Bodry bedauert dabei, dass Luxemburg keine wirkliche Referendumskultur hat. Deshalb würden Referenden auch in Zukunft eine große Herausforderung bleiben. «Wir sollten das Referendum in unserem Arsenal beibehalten», findet er. Allerdings sollen eine gewisse Kultur und ein gewisser Umgang auf lokaler Ebene erprobt werden.
Die beiden Lager
Das Ja-Lager bestand in erster Linie aus den Regierungsparteien, die aktiv für ein dreifaches Ja beim Referendum warben. Auch der Großteil der Medien, darunter das Tageblatt, gaben eine Wahlempfehlung ab und rieten ihren Lesern dazu, für die Änderungen zu stimmen. Neben der Politik warb auch ein Teil der Zivilgesellschaft für ein dreifaches Ja. Einer der prominentesten Vertreter war Laura Zuccoli, die Präsidentin der Ausländervereinigung ASTI. Sie bringt im Gespräch mit dem Tageblatt beim Thema Ausländerwahlrecht das Argument des Demokratiedefizits vor. «Diese Menschen leben in Luxemburg und zahlen ihre Steuern hier», so Zuccoli. Deswegen sei es nur normal, dass sie auch mitbestimmen sollten. Ihre Meinung hat sie heute, drei Jahre später, nicht geändert.
Die Präsidentin der ASTI will es aber nicht dabei belassen. Sie meint, dass es noch andere Möglichkeiten gibt, die Ausländer am politischen Geschehen Luxemburgs teilnehmen zu lassen: «Zum Beispiel könnte man den Einwohnern die Möglichkeit geben, Gesetzesvorschläge einzureichen.» Dann würde noch immer das von den Luxemburgern gewählte Parlament das letzte Wort haben. Eine weitere Idee wäre, das Wahlrecht in der EU an den Wohnort zu binden. Zuccoli denkt, dass das Referendum die Politik in der Frage etwas gelähmt hat. «Natürlich traut sich da jetzt keiner mehr ran», sagt sie. «Die Politiker wollen gewählt werden und müssen beim luxemburgischen Wahlvolk punkten.» Das helfe natürlich nicht, um das Problem zu lösen. Premierminister Xavier Bettel (DP) wollte sich auf Nachfrage des Tageblatt nicht zu dem Thema äußern. Sein Sprecher ließ lediglich ausrichten, dass das Referendum vorbei und das Resultat bekannt sei. «Dazu gibt es nichts mehr zu sagen.»
«Opgepasst! E Kräiz ass séier gemaach!» Mit diesem markanten Slogan warb die größte Oppositionspartei, die CSV, für ein dreifaches Nein. Sie deutete die Volksbefragung als strategischen Schachzug gegen die CSV, um die Zweidrittelmehrheit im Parlament auszuhebeln, die bei Verfassungsänderungen nötig ist. Fraktionspräsident Marc Spautz stellte das Referendum generell infrage und forderte die Bürger gar implizit auf, sich zu enthalten. Im Detail war das Nein dabei weniger deutlich, als die Kampagne es darstellte. Die CSV war für eine Stärkung der politischen Bildung bei Jugendlichen, aber gegen die Herabsetzung des Wahlalters. Sie sprach sich für eine politische Erneuerung aus, lehnte aber gesetzlich festgelegte Zeitlimits für Ministermandate ab. Und sie sagte Ja zur politischen Integration von Nicht-Luxemburgern, war aber gegen das Ausländerwahlrecht. Vielmehr sollte der Zugang zur Staatsbürgerschaft liberalisiert werden.
Dabei waren die Reihen der C-Gruppe keinesfalls geschlossen: Die Jungen (CSJ), Christen (Bistum) und Gewerkschaftler (LCGB) innerhalb der großen Volkspartei haben sich für das Ausländerwahlrecht ausgesprochen. Noch deutlicher als die CSV warb die ADR für ein dreifaches Nein. Auch die Beamtengewerkschaft CGFB war gegen ein Ausländerwahlrecht. Doch das Nein-Lager wurde weder von Parteien noch von Politikern dominiert, sondern von einem Geografielehrer aus Kehlen. Es war der Aufstieg von Fred Keup. Bis zu diesem Zeitpunkt war er kein sonderlich politischer Mensch, so Keup, aber die «Übermacht des Ja-Lagers» habe ihn dazu bewogen, sich einzumischen: «Presse, Patronat, Gewerkschaften und Parteien waren für das Ausländerwahlrecht, das entsprach jedoch weder meiner Position noch der Einstellung meines Umfelds.» Keup gründete «Nee2015.lu» sowie eine Facebook-Gruppe. Mit Erfolg. Er wurde zur Symbolfigur des Nein-Lagers.
Der Ausgang
«Sidd Dir mat der Iddi averstanen, datt d’Lëtzebuerger, déi tëschent 16 an 18 Joer al sinn, d’Recht kréien, sech fakultativ an d’Wielerlëschten anzeschreiwen, fir als Wieler bei de Wahle fir d’Chamber, d’Europaparlament an de Gemengerot souwéi bei de Referende matzemaachen?»
Ja: 19,13 Prozent
Nein: 80,87 Prozent
«Sidd Dir mat der Iddi averstanen, datt d’auslännesch Matbierger d’Recht kréien, sech fakultativ an d’Wielerlëschten anzeschreiwen, fir als Wieler bei Chamberwahle matzemaachen, an dat ënnert der besonnescher duebeler Bedéngung, datt si op d’mannst während zéng Joer zu Lëtzebuerg gewunnt hunn a virdru scho bei Gemengen- oder Europawahlen zu Lëtzebuerg matgemaach hunn?»
Ja: 21,98 Prozent
Nein: 78,02 Prozent
«Sidd Dir mat der Iddi averstanen, d’Zäit, während där eng Persoun ouni Ënnerbriechung Member vun der Regierung däerf sinn, op maximal zéng Joer ze begrenzen?»
Ja: 30,07 Prozent
Nein: 69,93 Prozent
Das Vermächtnis
Nur die wenigsten hatten mit so einem klaren Ergebnis gerechnet. Die Reaktionen ließen nicht auf sich warten. CSV-Präsident Marc Spautz meinte noch am Tag des Referendums: «Wenn meine Partei in der Regierung gewesen wäre, würde ich ihr empfehlen, zurückzutreten.» Spautz forderte damit indirekt die Regierung zu einem Rücktritt auf, ohne dies je offen auszusprechen. Auch andere CSV-Politiker, darunter Michel Wolter und Astrid Lulling, ließen noch am selben Tag durchscheinen, dass sie Konsequenzen erwarten.
Bei den Regierungsparteien folgte die Ernüchterung. Die drei Parteien (DP, LSAP, «déi gréng») zogen aber die gleichen Schlüsse: Man werde den Wählerwillen respektieren, auch wenn der Volksentscheid nur einen beratenden Charakter hatte. Ein Rücktritt kam für die Regierung nicht infrage. Zwei Tage nach dem Resultat wurde im Parlament debattiert und für die CSV war klar: Das Referendum hat die Gesellschaft gespalten. Ein Vorwurf an die Regierung, an dem die Oppositionspartei noch lange festhalten sollte.
Die Volksbefragung zog auch eine handfeste Konsequenz nach sich. Die CSV hatte vor den Debatten ihre Bereitschaft erklärt, die Regeln für den Erhalt der luxemburgischen Nationalität zu lockern. Schon vier Monate nach dem Referendum stellte Justizminister Félix Braz («déi gréng») der Öffentlichkeit einen Entwurf vor. Die CSV zeigte sich gesprächsbereit und das Gesetz wurde im Februar 2017 bei der Abstimmung im Parlament von der größten Oppositionspartei mitgetragen.
Inwiefern der Volksentscheid gesellschaftliche Konsequenzen hat, ist umstritten. Die Präsidentin der Ausländervereinigung, Laura Zuccoli, meint heute, dass das Resultat Populisten in ihren Positionen gestärkt hat. «Das bedeutet nicht, dass die 80 Prozent ausländerfeindlich wären», relativiert sie ihre Aussage.
Allerdings sehen manche, wie etwa der Soziologe Fernand Fehlen, den Erfolg der Sprachen-Petition von Lucien Welter über die Rolle des Luxemburgischen im Zusammenhang mit dem Ausgang des Referendums. Zudem wird auch Claude Meischs Schaffung eines «Zentrum fir d’Lëtzebuergescht» als unmittelbare Konsequenz gedeutet.
Einer Person hat das Referendum fraglos als Sprungbrett gedient: Fred Keup. Der Geografielehrer, der für ein Nein beim Ausländerwahlrecht militierte, hat sich nicht aus der Politik zurückgezogen, sondern eine neue Bewegung in den sozialen Medien gegründet, die schließlich die Reihen der rechten ADR beim diesjährigen Wahlkampf stärken wird. Damit ist Keup ganz klar ein Kind des Volksentscheids, das ohne die damalige Befragung den Weg in die Politik vielleicht nie gefunden hätte.
Das Referendum kehrt zurück
Habemus Verfassungstext: Die zuständige Chamberkommission hat am Mittwoch – 13 Jahre nach Beginn der Arbeiten – den Bericht zum neuen Verfassungstext mit den Stimmen der Mehrheitsparteien und der CSV bewilligt. «Uff», so der Kommentar von Alex Bodry auf Twitter, der maßgeblich an der Ausarbeitung des Textes beteiligt war.
Der Abschlussbericht wird nun der Chamber vorgelegt, bevor das Volk in einem nächsten Referendum über den Verfassungstext abstimmen soll. Sofern es nach CSV-Spitzenkandidat und -Fraktionspräsident Claude Wiseler geht, soll das Referendum erst frühestens nach den Europawahlen von 2019 abgehalten werden. Bodry geht davon aus, dass der Text im Idealfall 2020 in Kraft tritt.
@ Muller Guy: Mäßigen Sie gefälligst Ihre Ausdrucksweise, sonst mäßigen wir Sie.
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Ech froe mech emmer erem wann ech esou Artikele liesen, virwaat emmer vun Journalisten versicht gett mat heich philosopheschen Iwerleeungen ze analiseieren virwaat de Referendum ausgangen ass wei bekannt.
Dei drei Parteien sooten, wielt Eis, a wann Maer an d'Regierung kommen stelle maer Aerch 4 Froen betreffend Trennung vu Kirchen a Staat, Wahlrecht ab 16 Joer, Auslaennerwahlrecht an limiteiert Ministermandat. All Mensch woar frou endlech kennen aktiv un der Politik matendscheeden ze kennen. No de Wahlen huet den Bettel entscheed dei Fro dei all Mensch am meeschten interesseiert, Trennung vu Kirchen a Staat net ze stellen a selwer mat der kathoulescher Kirch ze verhandelen, oofgeseend vun LSAP an denen Grengen. Des Reform dei mat enger CSV net ze realiseieren ass haett den Wieler kennen entscheeden a Maer haetten eng komplett Trennung vu Kirchen a Staat kritt. All Mensch woar enttaeucht an huet sech bedrunn gefillt. Sou wei ech hu vill Leit beim Referendum aus Trotz bei denen drei gestaalten Froen mat Nee gestemmt.
Haett Gambia 4 Froen gestallt, haette mer elo eng komplett Trennung vu Kirchen a Staat an net emol eng CSV haett keinten ignoreieren wann iwer 70 % vun der Bevoelkerung sech fir esou eng Trennung entscheed haett.
Ennt steht fest, haett Gambia sech un hier Verspriechen virun de Wahlen gehaal da wieren Se elo, egal wei den Referendum ausgange wier erem zereckgewielt gin. Elo fillen Leit sech bedrunn waerten mat Recht weder DP, LSAP an dei Gring wielen.
Waat ee blo'en, een ro'uden an ee grenge Klown alles faerdeg brengen !
Was haben wir seinerzeit über die überhebliche Dämlichkeit der Politiker und Umfrage-Experten gelacht! Eine wahrlich gute Zirkusnummer. :-0