Die EU-Perspektiven der Balkan-Anwärter sollten beim Westbalkan-Gipfel der EU in Sofia im Zentrum stehen. Doch stattdessen überschattete das zerrüttete Verhältnis zu den USA das Treffen. Die Gäste aus dem EU-Wartesaal wurden derweil mit freundlichen Ermahnungen und mehr Mitteln, aber ohne konkrete Beitrittszusagen abgespeist.
Von Thomas Roser
Zumindest beim Abschreiten der Fotografen front vor dem Kulturpalast in Sofia durften sich die Gäste aus dem EU-Wartesaal gestern kurz im ersehnten Scheinwerferlicht der Weltöffentlichkeit wähnen. Ansonsten spielten die Staats- und Regierungschefs der sechs EU-Anwärter Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien bei dem eigentlich ihnen gewidmeten EU-Gipfel in der bulgarischen Hauptstadt bald wieder die vertraute Nebenrolle: Der vermehrte EU-Ärger mit US-Präsident Trump sollte den ersten Westbalkan-Gipfel seit 15 Jahren völlig überschatten.
Ob die US-Ankündigung neuer Zölle für EU-Produkte, die provokative Verlegung der US-Botschaft in Israel nach Jerusalem oder die Aufkündigung des Atomabkommens mit Iran – die EU-Verärgerung, aber auch Sorge über die neue Eiszeit in den transatlantischen Beziehungen war in Sofia allgegenwärtig. «Mit solchen Freunden, wer braucht da noch Feinde?», hatte EU-Ratschef Donald Tusk schon am Vorabend des Gipfels über den «launenhaften» US-Partner geklagt – und eine «geschlossene Front» gegen Trump gefordert.
Am Atomabkommen mit Iran halten die Europäer denn auch trotzig fest. Gestern deutete die deutsche Kanzlerin Angela Merkel jedoch ein gewisses Entgegenkommen im Handelsstreit in Form von Zollerleichterungen für US-Produkte an. Falls die EU dauerhaft von den angedrohten US-Strafzöllen auf Stahl und Aluminium ausgenommen werde, seien die Europäer bereit, darüber zu sprechen, «wie wir reziprok die Barrieren für den Handel reduzieren», so ihr Lockangebot an Trump. Den Kandidaten in der EU-Dauerwarteschleife hatte der Gipfel zwar eine vollmundige Elf-Punkte-Erklärung zur «Stärkung der europäischen Perspektive des Westbalkans», aber wie erwartet keinerlei konkrete Beitrittszusagen zu bieten. Zwar brachte EU-Nachbarschaftskommissar Johannes Hahn in Sofia erneut 2025 als mögliches Beitrittsjahr für Serbien und Montenegro ins Spiel. Doch am deutlichsten fasste Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die Skepsis in der Alt-EU in Sachen einer baldigen Erweiterung in Worte. In den letzten 15 Jahren habe jede Erweiterung zu einer «Schwächung» der EU geführt: Vor einer Erweiterung müsse die EU reformiert werden – und besser funktionieren.
Alle treten auf die Bremse
Es sei zu früh, um «über Jahre und Daten zu reden», bremste der finnische Premier Juha Sipilä ab: «Wir müssen beim Zeitplan realistisch sein.» Merkel unterstrich zwar die Bedeutung eines «sicheren Westbalkans, der sich auch wirtschaftlich gut entwickelt». Doch auch sie lehnt im Gegensatz zu Brüssel jegliche Festlegung auf Zieldaten künftiger Beitritte ab. Sie halte davon nichts, weil jeder Beitritt auf «Fortschritten in der Sache» basieren müsse.
Um die Annäherung an die in der «Sofia-Erklärung» beschworenen EU-Werte, rechtsstaatlichen Verhältnisse, den Kampf gegen die Korruption und gutnachbarschaftliche Beziehungen ist es im zerstrittenen Kandidatenfeld jedoch weiter eher trist bestellt: Keiner der sechs Anwärter drängt sich für einen baldigen Beitritt auf. Außer freundlichen Ermahnungen und hehren Ermutigungen wurden sie in Sofia aber immerhin auch mit der Zusage vermehrter Vorbeitrittsmittel abgespeist. Ob bei der gelobten Verdoppelung der Erasmus-Gelder für Studenten aus der Region oder beim Bau neuer Autobahnen: Verstärkte Segnungen aus der Brüsseler Subventionsschatulle sollen die Dauergäste im EU-Wartesaal über das wieder einmal ausgebliebene Beitrittsversprechen hinwegtrösten.
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