Henri Falcón kämpft auf verlorenem Posten. Sein Gegner ist übermächtig, sein Publikum träge. Trotzdem will er sich noch nicht geschlagen geben. «Die Lösung der Krise liegt in der Wahl», sagt der oppositionelle Präsidentschaftskandidat kurz vor der Abstimmung in Venezuela. «Es handelt sich nicht um irgendeine Wahl, es geht um das Schicksal der Nation. Das könnte die letzte demokratische Abstimmung in Venezuela sein.»
Der sozialistische Präsident Nicolás Maduro will sich am Sonntag im Amt bestätigten lassen. Obwohl das südamerikanische Land in der schwersten Krise seiner Geschichte steckt und viele Menschen unzufrieden mit der Regierung sind, dürfte das dem früheren Busfahrer gelingen.
Der autoritäre Staatschef kontrolliert alle staatlichen Institutionen und hat das von der Opposition beherrschte Parlament entmachtet. Zahlreiche Oppositionelle sitzen in Haft, wurden von der Wahl ausgeschlossen oder sind ins Ausland geflohen. Beobachter gehen davon aus, dass die Abstimmung nicht frei und fair abläuft. Das wichtigste Oppositionsbündnis MUD will die Wahl deshalb boykottieren.
«Das ist keine Wahl», sagt Lilian Tintori. Ihr Ehemann Leopoldo López ist einer der einflussreichsten Regierungsgegner Venezuelas und sitzt derzeit im Hausarrest. «Die Opposition wird von keinem der Kandidaten repräsentiert.» Neben Maduro und Falcón treten noch der evangelikale Prediger Javier Bertucci und der Sozialist Reinaldo Quijada an. Keinem werden nennenswerte Chancen eingeräumt.
«Was am 20. Mai passiert, hat nichts mit einer Wahl zu tun», sagt die Abgeordnete und stellvertretende Vorsitzende der sozialdemokratischen Partei Un Nuevo Tiempo (Eine neue Zeit), Delsa Solórzano. «Ich werde niemals einen Bürger dazu auffordern, zu wählen, wenn ich keine Möglichkeit habe, seine Stimme zu schützen.»
Präsidentschaftskandidat Falcón hingegen stemmt sich gegen den Boykott. «Wer zur Wahlenthaltung aufruft, trägt praktisch zum Triumph von Maduro bei», sagt er. Er will zumindest ein Zeichen setzen und der Opposition eine Stimme geben. Seine Gegner werfen ihm vor, mit seiner Kandidatur die undemokratische Wahl zu legitimieren.
Im Frühsommer vergangenen Jahres gingen fast täglich Tausende Menschen auf die Straße, um gegen die immer autoritärere Regierung zu protestieren. Kurz vor der Wahl wird kaum noch demonstriert. «Der Regierung ist es gelungen, die Opposition zu spalten», sagt Phil Gunson vom Forschungsinstitut International Crisis Group. «Jene, die eine echte Bedrohung darstellen, werden ins Gefängnis gesteckt, ins Exil geschickt oder von der Wahl ausgeschlossen. Die anderen versucht man zu kaufen.»
Venezuela vor der Wahl – das ist ein Land im Katastrophenmodus: In den Supermärkten bleiben die Regale leer, in den Krankenhäusern sterben Kinder, weil es keine Medikamente gibt. Gewalt und Kriminalität sind völlig außer Kontrolle. Der Internationale Währungsfonds rechnet mit sagenhaften 13.800 Prozent Inflation im laufenden Jahr, die Wirtschaftskraft dürfte um rund 15 Prozent einbrechen.
«Das Schicksal, das das Maduro-Regime seinem Volk auferlegt, ist gleichzeitig tragisch und unnötig», sagt Kanadas Außenministerin Chrystia Freeland. Venezuela sitzt auf den größten Ölreserven der Welt und war einst eines der reichsten Länder Südamerikas. Jahrzehnte der staatlichen Gängelung, Misswirtschaft und Korruption haben allerdings die industrielle Basis zerstört. Die Ölproduktion ist wegen fehlenden Investitionen in Förder- und Raffinerietechnik eingebrochen.
Millionen Venezolaner sind bereits vor dem Elend ins Ausland geflohen. Beobachter sprechen von der schwersten Flüchtlingskrise in der Geschichte Lateinamerikas. Das Nachbarland Kolumbien allein hat über 600.000 Venezolaner aufgenommen und bereits um internationale Hilfe gebeten, um die Migranten zu versorgen.
Maduro indes ist wild entschlossen, den von seinem verehrten Vorgänger Hugo Chávez eingeleiteten Sozialismus des 21. Jahrhunderts weiterzuführen. Hinter der katastrophalen Wirtschaftslage wittert er eine Verschwörung der Eliten und des Auslands. Seine Lieblingsgegner sind das «Yankee-Imperium» der USA und Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos.
«Hier steht das aufrechte venezolanische Volk und es interessiert uns einen feuchten Dreck, was die Oligarchie in Bogotá denkt», rief er zuletzt seinen begeisterten Anhängern bei einer Kundgebung zu. «In Venezuela sind wir frei, souverän und unabhängig. Das Vaterland verkauft man nicht, man verteidigt es.»
Markige Worte, für einen, der kaum noch Verbündete hat. Die sozialistischen Bruderstaaten Kuba, Nicaragua und Bolivien halten noch in Nibelungentreue zu Maduro, sonst ist er international weitgehend isoliert. Zahlreiche Staaten in der Region sowie die USA und die Europäische Union haben bereits angekündigt, die Wahl am Sonntag nicht anzuerkennen. Maduro wird immer mehr zum Paria der internationalen Gemeinschaft.
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