Manchmal gleicht der Wahlkampf im Irak einer Mischung aus Volksfest und Popkonzert, so wie an diesem Nachmittag in einer Halle auf dem Messegelände der Hauptstadt Bagdad. Rauch von Zigaretten hat den Raum in blau-grauen Nebel gehüllt, Musik dröhnt und vor der Bühne feiern junge Männer sunnitische Kandidaten für die Parlamentswahl, die sich oben nebeneinander aufgereiht haben. Die Anhänger klatschen, singen, jubeln und schwenken irakische Fähnchen. Immer wieder rufen sie die Namen ihres favorisierten Politikers. Johlend tragen sie einen von ihnen sogar auf Händen.
Reden aber sind an diesem Nachmittag nicht zu hören. Überhaupt geht es im irakischen Wahlkampf weniger um Inhalte als um Schlagworte, Personen und strategische Bündnisse. Die Abstimmung über das neue Parlament am Samstag (12. Mai) wird wegweisend sein, manche sprechen von einer «Schicksalswahl»: Sie ist die erste nach dem Sieg über die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Sie wird entscheiden, ob das Land die unterschiedlichen Volksgruppen versöhnen und dauerhaft stabil werden kann. Und bei der Regierungsbildung danach werden der schiitische Nachbar Iran und die USA massiv um Einfluss buhlen.
Komplizierte Ausgangslage
Die Ausgangslage könnte kaum schwieriger sein. Der IS ist zwar weitestgehend besiegt, aber nicht vernichtet. Ganze Städte in den sunnitischen Gebieten des Landes liegen in Trümmern. Mossul etwa, die Großstadt und ehemalige IS-Hochburg im Norden. Noch immer harren Hunderttausende in Flüchtlingslagern aus. Die Kluft zwischen der Mehrheit der Schiiten, die die Macht besitzen, und der Minderheit der Sunniten, die sich unterdrückt fühlen, spaltet das Land. Neben Armee und Polizei kontrollieren weiterhin Milizen Teile des Landes.
In dieser Gemengelage bringt sich die alte Politikergarde für die Regierungsbildung nach der Wahl in Stellung. Der schiitische Ministerpräsident Haidar al-Abadi, seit vier Jahren im Amt, hat sein eigenes Wahlbündnis gegründet, die «Sieg-Koalition». Der 66-Jährige genießt die Unterstützung des Westens, er kann sich zugute halten, dass zu seiner Amtszeit – und mit ihm als Oberbefehlshaber – der IS besiegt wurde. Die Sicherheitslage im Irak hat sich seitdem deutlich verbessert, die Anzahl der Anschläge abgenommen. Auch im Konflikt um das Unabhängigkeitsreferendum der Kurden zeigte er Stärke.
Al-Abadi umgarnt Schiiten und Sunniten
Al-Abadi genießt zudem den Ruf, keine Türen zuzuschlagen. Er umgarnt schiitische Wähler wie sunnitische und pflegt passable Kontakte zu deren regionalen Schutzmächten Iran, Saudi-Arabien und Türkei. Auch auf der Straße sind gute Worte über ihn zu hören. «Al-Abadi ist besser als die anderen», sagt Raad, Besitzer eines kleines Supermarktes im Zentrum Bagdads, während sein Nachbar vom Restaurant nebenan auf der Straße Karpfen grillt, die im Irak beliebt sind. «Auf jeden Fall ist Al-Abadi besser als der Dieb vorher.»
Der Dieb vorher, damit ist der schiitische Politiker Nuri al-Maliki gemeint, der acht Jahre an der Spitze der Regierung stand und den viele im Irak für einen der korruptesten Politiker des Landes halten, dessen Amtsführung den Vormarsch des IS überhaupt erst ermöglichte. Der 67-Jährige gehört derselben Partei an wie Al-Abadi an, kandidiert aber an der Spitze eines konkurrierenden Bündnisses.
Ohnehin ist das unübersichtliche Parteiensystem des Iraks bei dieser Wahl noch mehr als früher gespalten. Das gilt vor allem für die schiitischen Kräfte. Neben den Listen Al-Abadis und Al-Malikis werden auch dem «Bündnis der Eroberung» guten Chancen eingeräumt, argwöhnisch beobachtet von Iraks Sunniten und dem Westen. An der Spitze der Allianz steht mit Hadi Al-Amiri der bekannteste – und berüchtigtste – ehemalige Anführer der mächtigen Schiitenmilizen, die engste Kontakte zum Iran pflegen. Sollte Al-Amiri Regierungschef werden, würde sich der Irak noch stärker Richtung Teheran ausrichten.
Iran will mitreden
Wie schon früher wird der Iran auch diesmal bei der Regierungsbildung ein gewichtiges Wort mitreden. Schon im Wahlkampf mischt Teheran im Hintergrund mit. Alle Politiker erhielten Geld aus dem Iran, sagt einer der Kandidaten, der damit nicht zitiert werden möchte. Und der säkulare Politiker Ijad Allawi beklagt, wegen der ausländischen Einmischung – auch der USA – sei der Irak nur teilweise demokratisch: «Demokratie ist (hier) honigsüßes Gerede ohne politische Realität.»
Al-Abadis Kritiker werfen ihm vor, daran nichts geändert zu haben und die zentralen Probleme des Landes nicht einmal angegangen zu sein. Der Regierungschef werde gescholten, weil er eine große Chance verpasst habe, «wirkliche und mutige Maßnahmen zu ergreifen», sagt Humam Hamudi, Chef der einflussreichen Schiitenpartei Oberster Islamischer Rat im Irak. Wie viele im Land sieht auch er Iraks Proporzsystem, das Ministerien und Ämter an die verschiedenen Parteien verteilt, als Wurzel der ausufernden Korruption im Land.
Auch bei dieser Wahl fließe viel Geld, ist im Irak immer wieder zu hören. Stimmenkauf gehörte schon bei früheren Abstimmungen zu den Mitteln, sich ein gutes Ergebnis zu sichern. Auf dem Weg zur Wahlkampfveranstaltung in Bagdad freuen sich ein paar junge Männer, dass sie für ihr Erscheinen in der Messehalle 25 000 irakische Dinar, knapp 20 Euro, bekommen. Als der Auftritt vorbei ist, schart eine Kandidatin draußen ihre Anhänger um sich – und verteilt Geldscheine.
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