Die Affäre um die entwendeten Daten von Facebook-Nutzern und deren Verwertung zu politischen Zwecken hat auch die EU-Justizkommissarin Vera Jourova auf den Plan gerufen. Wir sprachen darüber mit der tschechischen Politikerin am Rande ihres jüngsten Besuches in Luxemburg und ließen uns erklären, inwieweit die neue EU-Datenschutzverordnung die persönlichen Daten der EU-Bürger schützt.
Weitere Themen waren der vor kurzem vorgestellte Vorschlag der EU-Kommission zum Schutz von Whistleblowern, die Einhaltung fundamentaler Rechte, sowie die sich verschlechternde Lage der Pressefreiheit insbesondere in osteuropäischen Staaten. Darunter auch Tschechien, wo Andrej Babis, Unternehmer und Vorsitzender der Regierungspartei ANO, der auch Vera Jourova angehört, sich ein Medienimperium zugelegt hat, weshalb er bereits als der Berlusconi von Prag bezeichnet wird.
Zur Person
Die 53-jährige Vera Jourova gehört der Partei ANO 2011, die derzeit in Tschechien mit dem Milliardär und Unternehmer Andrej Babis den Regierungschef stellt. Zuvor gehörte sie unter anderem der sozialdemokratischen Partei CSSD an. Vera Jourova ist seit 2014 EU-Kommissarin für Justiz, Verbraucherschutz und die Gleichstellung von Mann und Frau. Vorher war sie Ministerin für regionale Entwicklung in der Regierung von Bohuslav Sobotka. Während der Beitrittsgespräche Tschechiens mit der EU war sie stellvertretende Leiterin des Ministeriums für regionale Entwicklung und zuständig für die Verhandlungen über EU-Gelder. Vera Jourova ist geschieden und ist Mutter von zwei erwachsenen Kindern.
Ich nehme an, Mark Zuckerberg hat Sie bis jetzt noch nicht angerufen, um mit Ihnen über die neue europäische Datenschutz-Verordnung zu reden?
Ich will nicht, dass er mich anruft, ich will, dass er die EU-Regeln einhält. Und er weiß das sehr gut.
Aber Sie wollen weiterhin, dass der Facebook-Chef nach Brüssel kommt, um sich vor dem Europäischen Parlament zu erklären?
Ich habe über Sheryl Sandberg, die Nummer zwei bei Facebook, die Botschaft übermittelt, dass es ratsam für ihn ist, nach Europa ins Europäische Parlament zu kommen. Facebook hat in Europa einen blühenden Markt. Bei der jüngsten Affäre wurde aufgedeckt, dass die Daten von 2,7 Millionen Europäern offensichtlich missbraucht wurden. Ich glaube, das ist eine ausreichend hohe Zahl, damit er kommt und Antworten zu europäischen Fragen gibt. Im US-Kongress gab Herr Zuckerberg Antworten auf amerikanische Fragen. Wir wollen ihm auch Fragen zu anderen Dingen stellen.
Sie haben jedoch keine Druckmittel, um ihn nach Europa zu holen?
Deshalb sagte ich ja, dass ich den gut gemeinten Rat gegeben habe, zu kommen.
Facebook steht in dieser Angelegenheit im Fokus. Was aber ist mit der Verantwortlichkeit eines Aleksandr Kogan, der mit seiner Anwendung die Daten besorgte, oder der SCLGroup und Cambridge Analytica, die diese Daten erworben haben? Was soll mit denen passieren?
Wir werden hoffentlich bald die ersten Resultate der Untersuchungen haben, die im Vereinigten Königreich im Zusammenhang mit Cambridge Analytica durchgeführt werden. In Irland wird das Verhalten von Facebook untersucht, da Facebook dort angesiedelt ist. Im Moment kann ich nicht sagen, wer sich für was verantworten muss. Aber ich und alle anderen Europäer, die davon betroffen sind, haben das Recht, zu verstehen, wem was passiert ist. Ich wollte jedoch, noch bevor wir die Resultate der Untersuchung haben, dass Facebook über seine Kanäle jeden einzelnen Europäer darüber informiert: «Herr Schmit, Sie waren Ziel eines möglichen Missbrauchs.» Wenn Herr Schmit diese Information erhält, will ich, dass die betreffende Datenschutzbehörde Herrn Schmit darüber berät, was zu tun ist. Ob er das Recht auf Wiedergutmachung oder eine Kompensation hat oder zumindest Informationen dazu.
Ich denke, dass die Leute daran interessiert sind, was geschehen ist. Da gibt es eine lange Liste an privaten Daten, vertraulichen Informationen über jede einzelne Person, die offenbar missbraucht wurden für gezieltes Marketing, für politische Zwecke. Ich würde sagen, dass in einer solchen Situation diese Person wissen soll, ob sie Ziel einer solchen Sache war. Wir werden mehr Informationen über diese Untersuchungen erhalten. Ich stehe in engem Kontakt mit den britischen Untersuchungsbehörden.
Es ist aber nicht nur eine britische Angelegenheit …
Es ist ein paneuropäischer Fall. Die Datenschutzbehörden in allen Mitgliedstaaten warten auf das Resultat der Untersuchungen, um zu erfahren, ob es da Arbeit für sie gibt.
Wie können Nutzer davor geschützt werden, dass sie mehr Informationen weitergeben, als nötig ist, etwa für den Gebrauch einer Anwendung?
Die neue Datenschutz-Verordnung, die Ende Mai in Kraft tritt, sagt klar, dass die Leute über den Zweck informiert werden müssen, warum ein Unternehmen die Daten braucht. Der Nutzer muss dazu klare und einfache Informationen erhalten, keine 20 Seiten eines komplizierten Rechtstextes. Das ist eine klare Bedingung.
Das Zweite betrifft das Sammeln von Daten: Ein Unternehmen sollte nicht mehr Daten erheben, als es braucht, und nur zu dem Zweck, über den die betreffende Person informiert wurde. Wir wollen die aktive Beteiligung eines jeden Einzelnen. Jeder muss verstehen, welches der Zweck ist, und abwägen, ob er das will oder nicht. Wenn das Unternehmen aber den Zweck der Datenerhebung ändert und diese einem anderen übermitteln will, müssen Sie wieder gefragt werden, ob Sie zustimmen. Herr Schmit kann aber jederzeit sagen: «Ich will das nicht mehr, geben Sie mir meine Daten zurück und vergessen Sie mich.» Es ist immer Herr Schmit, der entscheidet.
Sind sich die Menschen des Problems des Datenschutzes ausreichend bewusst, wenn sie Informationen weitergeben?
Wir brauchen Menschen, die sich der möglichen Risiken bewusst sind, die darauf bestehen, dass der Datenschutz vollständig eingehalten wird, wer auch immer ihre Daten will. Wir wollen, dass die Leute begreifen – und dieser Fall mit Facebook ist ein gutes Beispiel – dass sie eigentlich nackt im Aquarium sind. Wir organisieren daher Kampagnen in den Mitgliedstaaten, um die Menschen aufzuklären und zu informieren, dass es neue Regeln gibt.
Der Vorschlag der EU-Kommission über den Schutz von Whistleblowern bezieht sich nur auf Vergehen gegen EU-Recht. Warum sollen Whistleblower nicht auch geschützt werden, wenn es um nationales Recht geht?
Wir müssen uns da auf unsere Kompetenzen beschränken. Deshalb beziehen wir uns nur auf EU-Recht. In der begleitenden Mitteilung zur Richtlinie erklären wir aber, dass wir von den Mitgliedstaaten erwarten, dass diese die Gelegenheit nutzen, um in ihrer nationalen Gesetzgebung andere Situationen zu regeln, in denen Schaden für das Gemeinwohl entstehen könnte. Es ist eine rechtliche Frage, warum wir uns nur auf EU-Recht beziehen. Wir erwarten von den Mitgliedstaaten, dass sie die Richtlinie erweitern, sie können weiter gehen.
In Luxemburg hat der Fall von Antoine Deltour und LuxLeaks gezeigt, dass Whistleblower über Missstände berichten, die nicht unbedingt gegen das Gesetz verstoßen, sondern moralisch verwerflich sind. Wie ist mit diesen Fällen umzugehen?
Antoine Deltour hat etwas aufgedeckt, was nicht strafbar, jedoch moralisch problematisch ist. Es gibt eine Grenze zwischen Steuerflucht, was strafbar ist, und Steuervermeidung, was das Resultat einer aggressiven Steuerplanung ist. Herr Deltour hatte Pech, da er etwas veröffentlichte, was nicht strafbar war. Und das Ganze wendete sich gegen ihn.
Wir erwarten nicht von Leuten, die einen Verdacht haben oder von etwas Zeuge werden, das schädlich für die Öffentlichkeit ist, dass sie tolle Anwälte sind und erkennen, ob das nun strafbar ist oder nicht. Deshalb haben wir verschiedene Kanäle ausgearbeitet, an die sich Personen mit Verdachtsmomenten wenden können und wo jemand sich ehrlich und verantwortlich des Falles annimmt.
Natürlich, wenn unser Herr Schmit etwas weiß, in das der Chef des Unternehmens verwickelt ist, wird er das nicht dem Chef melden. Und selbst nicht der internen Überwachung, da er denen nicht traut. Also muss er sich jemandem außerhalb des Unternehmens anvertrauen. Deshalb verlangen wir von den Mitgliedstaaten, dass sie eine Behörde schaffen, die sich solcher Fälle annimmt. Dort wird dann entschieden, ob etwas zwar moralisch problematisch ist, aber nicht weiter verfolgt wird, oder ob etwas strafbar ist und an die Polizei weitergeleitet wird. Der Punkt ist, dass die Person, die darüber berichtet, eine Rückmeldung erhalten muss.
In diesem Fall hat jemand wie Antoine Deltour keine andere Wahl, als sich den Medien anzuvertrauen.
Ich glaube, dass jemand in zwei Fällen die Medien einschaltet: Wenn es sich um eine sehr dringliche Angelegenheit handelt oder wenn er sowohl der zuständigen Stelle in seinem Unternehmen als auch dem Staat misstraut. In diesem Fall allerdings müssen die Whistleblower nicht nur mutige und ehrliche Leute sein, sondern auch verantwortungsbewusst und klug, um sich im Falle eines Fehlalarms oder eines Missbrauchs der Konsequenzen bewusst zu sein.
Im Zusammenhang mit Ungarn und Polen und der Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit: Ist es richtig, die Zahlung von EU-Geldern an die Mitgliedstaaten an deren Achtung der fundamentalen Rechte in der EU zu knüpfen, wie es derzeit diskutiert wird?
Ich antworte Ihnen nicht im Zusammenhang mit Polen und Ungarn, sondern im Kontext einer möglichen künftigen Situation. Es kann passieren, dass es eine Art autoritäres Regime in der EU gibt, wir sind nah dran. Sie können über Jahrzehnte hinweg ein unabhängiges Justizwesen errichten und in einem Jahr zerstören. Die Steuerzahler, die zum EU-Budget beitragen, wollen eine Garantie, dass mit ihren Beiträgen keine autoritären Regime finanziert werden.
Wer wird über eine Verletzung der Rechtsstaatlichkeit entscheiden?
Wir haben noch Diskussionen vor uns. Wir erwägen ein Modell, nach dem die Kommission eine eigene Bewertung vornimmt und den Mitgliedstaaten einen Vorschlag zur Entscheidung vorlegt. Es gibt Stimmen, die besagen, dass die Kommission entscheiden soll, ich bevorzuge, dass die Mitgliedstaaten entscheiden. Per Mehrheit. Der betroffene Mitgliedstaat wird aber die Möglichkeit haben, sich zu verteidigen. Das Modell, das mir vorschwebt und diskutiert wird, ist sehr ausgewogen, so dass niemand von Bestrafung reden kann.
Ich bin allerdings überrascht, dass jemand überrascht ist. Diese Bedingungen werden gebraucht. Wenn einige nur zahlen und andere absorbieren, ohne die mindeste Verpflichtung wie die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit zu erfüllen, kann das System nicht funktionieren.
Sind Sie besorgt über die autoritären Tendenzen in den osteuropäischen EU-Staaten?
Ich bin besorgt, da der Raum für die Zivilgesellschaft eingeschränkt wird. Ich höre immer mehr Stimmen, vor allem in Ungarn: «Wenn ihr mitbestimmen wollt über das, was in der Öffentlichkeit geschehen soll, dann tretet der Partei bei.» Oder: «Komm in vier Jahren zurück zum Wählen, das reicht, und halt den Mund in der Zwischenzeit.» Ich will das nicht. Ich denke, wir sollten engagierte Menschen haben. Jeder von uns ist ein Politiker. Und wir beobachten, dass der Raum für unabhängige Medien kleiner wird.
Dazu wurde am Mittwoch ein Bericht von Reporter ohne Grenzen vorgestellt, in dem es heißt, dass vor allem in osteuropäischen Staaten die Probleme mit der Pressefreiheit zunehmen. Auch in Ihrem Land, Tschechien. Was tut die Kommission dagegen?
Ich habe das mit großer Besorgnis gelesen. Sie werden überrascht sein, denn ich habe das Image, etwas gegen soziale Medien zu haben, auch im Zusammenhang mit Facebook. Aber: In einigen Ländern, wo die öffentlichen Medien zu Staatsmedien werden und unter die Kontrolle des politischen Establishments fallen. Wo der Raum für unabhängige Medien zurückgeht, auch wegen der Besitzverhältnisse, da begrüße ich die sozialen Medien die jedem Bürger den Raum bieten, Journalist zu sein und Meinungen zuzulassen. Soziale Medien werden zwar auch missbraucht, wogegen wir kämpfen müssen. Doch sie bieten auch Freiheit für freie Meinungsäußerungen.
Haben Sie über freie Medien auch schon mit Ihrem Parteivorsitzenden Andrej Babis geredet?
Ich hatte eine Diskussion mit ihm darüber, als er die Medienunternehmen kaufte. Das war am Beginn unseres politischen Abenteuers, als wir von 0 auf 20 Prozent hochschnellten. Ich sagte ihm, es sei keine gute Sache, ein großes Unternehmertum unter anderem im Bereich der Medien mit einer politischen Karriere zu kombinieren. Ich fand das gefährlich und problematisch. Es war aber nur eine Stimme. Doch ich verstand auch, dass er das Ganze als eine weitere Investition betrachtete. Er war an den Werbeeinnahmen interessiert. Wie es jetzt ist, ich weiß nicht …
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