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Höhere Löhne, mehr Mitbestimmung

Höhere Löhne, mehr Mitbestimmung

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Der 1. Mai hat in diesem Jahr durch den nahenden Termin der Parlamentswahl einen besonderen Charakter. Vor den Wahlen 2013 hatte der OGBL davon abgeraten, die CSV, die damals eine Austeritätspolitik verteidigte, zu wählen und damit auf den politischen Urnengang eingewirkt. Wir sprachen mit dem Präsidenten der Gewerkschaft u. a. über die Regierungsarbeit der Dreierkoalition.

Tageblatt: Vor einem Jahr startete der OGBL eine Lohnoffensive. Wie präsentiert sich heute die Lage in den Betrieben?
André Roeltgen: Die Löhne hinken noch immer der Produktionsentwicklung hinterher. Einige Betriebe haben positive Tarifabschlüsse unterzeichnet, gesamt betrachtet haben wir immer noch ein reales Lohndefizit. Wir sind also nicht am Ende der Offensive angekommen.

Ein positives Beispiel sind die jüngsten Abschlüsse im Sozialsektor, die allerdings speziell sind, da nach 30 bis 40 Jahren jetzt eine normale Anerkennung der Arbeit des dort beschäftigten Personals erreicht werden konnte. Es ist in dem Kontext zu erwähnen, dass die Regierung den Gewerkschaften nicht in den Rücken gefallen ist; mit den Abschlüssen konnte wohl ein Pflegenotstand, wie wir ihn aktuell in Deutschland oder Frankreich erleben, verhindert werden.

Im Bausektor hingegen, wo durch die gute wirtschaftliche Lage Spielraum besteht, ist das Patronat offensichtlich nicht zum Sozialdialog bereit. Hier bahnt sich ein überflüssiger Konflikt an.

Und dann noch der Konflikt bei Luxtram. Dies ist ein trauriges Spiel, das ich mit dem vergleiche, was Macron in Frankreich zu tun versucht, eine Verschlechterung der Arbeits- und Lohnbedingungen im öffentlichen Sektor.

Hier sind wir in einer ähnlichen Situation und ich richte einen Appell auch an den Transportminister, den öffentlichen Transport zu respektieren. Dieser Respekt beschränkt sich nicht auf die Infrastruktur, sondern gilt auch für das Personal. Diesen Kampf führen wir gemeinsam mit dem Landesverband und wir werden hier nicht nachgeben. Auch die Forderung nach der zehnprozentigen Erhöhung des Mindestlohnes steht. Und diese gilt weiterhin für diese Regierung, die immer noch einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen kann. Eine Regierungspartei, die LSAP, unterstützt diese Forderung, die größte Oppositionspartei, CSV, hat positive Signale gesandt, die Linke unterstützt die Position. Wir warten eigentlich auf die DP und die Grünen in der Frage.

Ich möchte aber auch das europäische Umfeld beleuchten: Die Binnennachfrage ist immer noch zu niedrig, was in direktem Zusammenhang mit der Kaufkraft und viel zu niedrigen Investitionen steht.

Hier ist der Zeitpunkt gekommen, die Politik des Lohndumpings über Bord zu werfen. Die sog. expansiven Länder, zu denen Luxemburg gehört, werden von der Kommission mittlerweile aufgefordert, die Löhne wachsen zu lassen, die diesbezügliche moderate Politik aufzugeben.

Die nächste Regierung, egal wie sie sich zusammensetzt, muss im Zusammenhang mit Löhnen wissen, dass es für den OGBL eine Reihe roter Linien gibt.
Die erste hiervon ist der Index, an dem nicht gerüttelt werden darf. Acht Jahre lang versuchte der aktuelle Kommissionspräsident und damalige Staatsminister Juncker, den Index strukturell zu verschlechtern, was ihm gegen den Widerstand des OGBL nicht gelang. Es ist keine Tranche ausgefallen, es gab keine Verschlechterung bei der Zusammensetzung des Warenkorbs …

Jede Partei sollte diesbezüglich einen klaren Satz in ihr Wahlprogramm einschreiben.

Der OGBL setzte große Hoffnungen auf den sozialen Pfeiler, der im Rahmen des 60-jährigen Jubiläums der Römischen Verträge von Kommission, Rat und Parlament lanciert wurde. Haben sich die Hoffnungen in einer oder der anderen Form erfüllt?
Es gibt leichte positive Ansätze, etwa wie bereits erwähnt in der Lohnfrage. Sonst ist nicht allzu viel Positives zu vermerken. Noch immer werden Strukturreformen im Sozial- und im Arbeitsrecht von der Kommission angemahnt, die salariatsfeindlich sind und die absolut nicht angebracht sind in einer Situation mit den bekannten sozialen Problemen in Europa und ihren Auswirkungen – auch politischer Natur.

Der angesprochene Pfeiler der sozialen Rechte hat keinen bindenden Charakter. Deshalb auch die Forderung, die wir mit dem Europäischen Gewerkschaftsbund teilen: Diese Rechte müssen in nationale Gesetzgebungen umgesetzt werden. Die Forderung nach einem höheren Mindestlohn in Luxemburg ist in dem Zusammenhang zu sehen. Weiter fordern wir europaweit den Respekt einer „goldenen Regel“, die besagt, dass sich die Löhne der Produktivitätssteigerung plus Inflation entsprechend entwickeln. Dies sollte in den Prozeduren des „Semestre européen“ bindend festgehalten werden.

Bei den öffentlichen Finanzen gilt die Forderung, dass gekoppelt an europäische Gelder in den Ländern finanzielle Spielräume für Investitionen entstehen sollen. Die aktuelle Empfehlung der Kommission für Luxemburg, in der das Rentensystem erneut angegriffen wird, zeigt nicht in eine soziale Richtung und ist nicht akzeptabel.

Wenn der OGBL ein Wähler wäre, welcher Partei würde er im Oktober seine Stimme geben?
Erstens ist der OGBL von allen Parteien unabhängig und hat Mitglieder, die sicherlich sehr unterschiedlich wählen.
Der OGBL wählt nicht eine bestimmte Partei, er drückt sich vor den Wahlen aus. Wir befinden uns in einer ersten Etappe und richten Vorschläge und Forderungen an die Parteien, mit dem Wunsch, dass diese Überlegungen in die Programme einfließen. Auf Basis der Programme und konkreten Aussagen wird unsere Organisation dann sehen, inwiefern die einzelnen Positionen den Arbeitnehmern im Lande nützen und entsprechend reagieren und sich positionieren. Wir ziehen aber auch rote Linien.

Die da sind?
Neben dem Index sind dies die Sozialsysteme, die Renten- und Pflegeversicherung, die Krankenversicherung.

Ich würde mir wünschen, dass jede Partei, statt die Problematiken der solidarischen Sozialversicherungen hervorzuheben, den großen sozialen Nutzen hervorheben, der dem System inhärent ist und welchen stabilisierenden Faktor diese – besonders auch in Krisenzeiten – haben. Die Frage der sozialen Gerechtigkeit ist direkt mit den Solidarversicherungen verbunden. Diese Systeme sind absolut verteidigungswert; es gibt keine privaten kommerziellen Systeme, die da mithalten können.
Was die Renten betrifft, so wäre die überflüssige Reform von 2012 punktuell zurückzunehmen. Es ist lächerlich und unwissenschaftlich, Pensionsprognosen bis 2060 oder 2070 zu machen.

Die aktuelle Lage der Rentenkasse ist hervorragend: Die Mechanismen zur Verschlechterung von Rentenanpassungen müssen verschwinden. Bei den Versicherungszeiten sind auch Verbesserungen angebracht. Die rote Linie ist hier eine Verschlechterung der Leistungen oder das Heraufsetzen des Rentenalters. Sollte es wirklich einmal zu finanziellen Engpässen kommen, so könnte eine Beitragserhöhung in Betracht gezogen werden und die Maximalbeiträge könnten infrage gestellt werden.

Im Dossier der sogenannten „gestion des âges“ wäre daneben noch manches zu tun. Es geht auch darum, dass die Menschen ihre Rente in guter Gesundheit erleben.

Zur Gesundheitskasse ist zu sagen, dass trotz Verbesserungen noch Spielraum in Sachen Leistungen bleibt. Der „Tiers payant“ müsste generalisiert werden. Die 52-Wochen-Regelung im Krankheitsfall muss auf 78 Wochen ausgedehnt werden. Beim „Reclassement“ sind ebenfalls Verbesserungen angebracht.

Schließlich fordern wir bei der Pflegeversicherung eine Evaluierung der Reform nach den ersten vier Monaten. Verschlechterungen sind in diesem Kontext nicht annehmbar.

Unser Land hat eine Bevölkerung von 600.000 Einwohnern erreicht. Die Wachstumslogik wird von manchen infrage gestellt. Wie steht der OGBL zu dieser Diskussion?
Wachstum ist ein Wort. Nichts anderes als ein banales Wort, um wirtschaftliche Entwicklung zu umschreiben. Und was ist alles wirtschaftlich? Das Gesundheitswesen etwa, aber auch die Rüstungsindustrie. Und in dieser Feststellung liegt die Antwort.
Es geht also nicht um Wachstum an sich, sondern die Frage stellt sich differenzierter. Ich habe bewusst die Rüstung angesprochen: Sollten wir wirklich, wie die USA und die NATO es verlangen, 2 Prozent des BIP in Rüstung stecken, wird der OGBL wohl im kommenden Jahr zur Teilnahme am Ostermarsch aufrufen.

Kein Cent mehr als bislang soll in Rüstung investiert werden!
Ich verstehe, dass die erlebten Probleme im Land bei der Bevölkerung Unzufriedenheit und Fragen zum Wirtschaftswachstum aufwerfen. Dies hat aber nichts mit der wirtschaftlichen Entwicklung an sich zu tun, sondern ist eine Frage der Infrastruktur.
Natürlich haben wir ein Verkehrsproblem: Mehr Schienen, mehr öffentlicher Transport ist hier eine Antwort, die auch eine Art Wachstum bedeutet, ebenso wie mehr karbonarme Energiegewinnung …

Es sollte nicht mit den Ängsten der Menschen gespielt werden, stattdessen sollten die notwendigen Vorbedingungen für Wachstum geschaffen werden.

Wie sieht es mit den Forderungen in Bezug auf die Verbesserungen des Arbeitsrechts aus?
In Zeiten der Digitalisierung der Wirtschaft ist es essenziell, dass das Arbeitsrecht verbessert wird, mit Ausweitung der gewerkschaftlichen Mitbestimmungsrechte. In den Diskussionen über das PAN-Gesetz wurde dies klar, jetzt laufen Gespräche über Zeitsparkonten. Auch in Fragen zu neuen Arbeitszeitmodellen, zur besseren Harmonisierung von Arbeit und Privatleben ist es notwendig, dass die Positionen des Salariats berücksichtigt werden.

Die entsprechenden legalen Rahmen sind in diesen Fragen Vorbedingung einer positiven Entwicklung, die einen Interessenausgleich voraussetzt. Dies ist nur durch eine arbeitsrechtliche Stärkung der Vertreter des Salariats möglich. Es herrscht großer Handlungsbedarf.