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Junckers „Putsch“

Junckers „Putsch“

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Tageblatt-Chefredakteur Dhiraj Sabharwal über die Affäre Selmayr und deren (ausbleibende) Folgen für Jean-Claude Juncker.

In Luxemburg ist er über die Geheimdienst-Affäre gestolpert, in Brüssel bricht ihm das «Selmayrgate» beinahe das Genick: Die Rede ist von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (CSV). Die Turbo-Beförderung seines ehemaligen Kabinettschefs Martin Selmayr zum Generalsekretär der EU-Kommission sorgt in der Brüsseler Blase seit Wochen für Wirbel. Zur Erinnerung: Selmayr, den seine Feinde «Junckers Monster» nennen und der einst Viviane Redings rechte Hand war, wurde in einer Blitzaktion zum Vize-Generalsekretär der EU-Kommission und nur wenige Minuten später zum Generalsekretär ernannt. Der französische Libération-Journalist Jean Quatremer deckte dies auf und führte seitdem einen Kreuzzug gegen Juncker, der gestern in Straßburg vorläufig sein unblutiges Ende genommen hat.

Das Europaparlament (EP) äußert zwar in einer Resolution heftige Kritik an Selmayrs Ernennungsverfahren, das als «handstreichartige Aktion gesehen werden könnte» – also als Putsch –, allerdings haben sich die EP-Abgeordneten am Ende dagegen entschieden, Selmayrs Rücktritt zu fordern. Weshalb, ist, mit ein wenig Distanz betrachtet, nicht so abwegig. Juncker hatte in seiner typisch machiavellistischen Art die eigene politische Zukunft an jene von Selmayr geknüpft. Getreu dem Motto: «Fällt Selmayr, trete ich zurück.» Demnach hatten gemäßigte EP-Abgeordnete die schwierige Wahl: Selmayrs Rücktritt fordern, möglicherweise die Juncker-Kommission stürzen und damit Links- wie Rechtspopulisten beflügeln – oder ein Auge zudrücken.

Junckers konservative Familie und die Sozialdemokraten haben im EP den Mittelweg gewählt. Das Vorgehen wird lauthals kritisiert und die EU-Kommission aufgefordert, das Ernennungsverfahren zu überprüfen und bis Ende 2018 die Regeln zu ändern. Der Sturz von Selmayr und der gesamten Juncker-Kommission ist jedoch angesichts der ausgebliebenen Rücktrittsforderung vom Tisch. Betrachtet man das Gesamtbild, so konnte inmitten der Brexit-Verhandlungen und der globalen Wirren eine weitere Destabilisierung der EU verhindert werden, die das Vertrauen der Bürger in die Union noch stärker geschwächt hätte.

Leider müssen sich die EP-Abgeordneten, die sich gegen die Rücktrittsforderung entschieden haben, aber auch folgende Kritik gefallen lassen: Junckers Verhalten hat das Vertrauen der Bürger in die Europäische Union sicherlich nicht gestärkt.
Im Gegenteil. Die Zukunft einer der wichtigsten EU-Institutionen von einem einzigen Beamten abhängig zu machen, ist fahrlässig. Zu Recht wirft das Europaparlament beiden mangelnde Integrität und Transparenz vor, die der Glaubwürdigkeit der EU schaden würden. Auch die EU-Kommissare bekommen ihr Fett weg, weil sie keinerlei Kritik geäußert hätten und es sich bei der Ernennung von Selmayr um «leichtfertiges Absegnen» gehandelt habe. Die Kultur der «‹Einschleusung› von Personen» müsse beendet werden.
Somit bleibt die Feststellung, dass das Europaparlament zwar nicht Junckers und Selmayrs Rücktritt fordert – allerdings ist der verabschiedete Text für beide nicht weniger als ein politisches Todesurteil.