Nicht nur Belval hat eine Gebläsehalle. Auch in Longwy steht noch ein ähnliches, wenn auch etwas kleineres Gebäude, das allerdings besser in Schuss ist. 2,5 Millionen Euro hat die Renovierung vor rund 15 Jahren gekostet. Doch jetzt sucht das italienische Unternehmen, das die Halle jahrelang genutzt hat, einen Käufer.
Neben dem Direktionsgebäude ist die 136 Meter lang, 36 Meter breite und 15 Meter hohe Gebläse- oder Turbinenhalle noch eines der wenigen Bauwerke, das vom ehemaligen Hüttenwerk in Longwy übrig geblieben ist. 1997 hatte der italienische Kunststoffhersteller Tontarelli die Halle übernommen, um dort sein Lager einzurichten. Das Unternehmen wollte von Longwy aus besseren Zugang zumf französischen Markt erhalten, wie der delegierte Generaldirektor von Tontarelli Luxemburg, Attilio Germano, erläutert.
Tontarelli sei nach Longwy gekommen, weil 40 bis 45 Prozent der Bevölkerung dort italienischer Abstammung seien, ergänzt der Lehrer Jean-Paul Guilianelli, Mitglied der „Association pour la préservation de la mémoire industrielle de la communauté
de l’agglomération de Longwy“ (Amical). Die Italiener kamen zu Beginn des 20. Jahrhunderts in das „Bassin minier“, um in den Gruben und Hütten zu arbeiten, und sind, wie im Süden Luxemburgs, sesshaft geworden.
Am Ende einer langen Suche nach einem geeigneten Standort sei Tontarelli schlussendlich auf die Gebläsehalle gestoßen, die damals noch leer stand, sagt Attilio Germano. Erst seien die französischen Behörden skeptisch gewesen, weil das Gebäude verlassen und heruntergekommen gewesen sei. Doch als der Firmengründer Sergio Tontarelli die Halle sah, in der einst hunderte seiner Landsleute gearbeitet hatten, habe er beschlossen, seine Schuld an Frankreich zurückzuzahlen, erzählt Germano. Tontarelli habe die Gebläsehalle gekauft und für 2,5 Millionen Euro instand gesetzt. Rund 15 Jahre lang habe der Plastikhersteller die Halle genutzt.
Doch das Unternehmen wuchs und brauchte mehr Platz. Auf dem Standort der ehemaligen Hütte von Longwy sei dies aber nicht möglich gewesen, weil das Grundstück in einem Überschwemmungsgebiet der Korn liege, erläutert Jean-Paul Guilianelli. Ab 2006 hat Tontarelli sein Lager nach und nach in die Gewerbezone Robert Steichen in Bascharage verlagert. Eigentlich benötige das Unternehmen die Halle in Longlaville nicht mehr, sondern halte nur noch eine minimale Aktivität aufrecht, damit das Gebäude nicht verfällt oder belagert wird, bis ein Abnehmer gefunden ist.
Originalverpackte Lokomotive
Doch bislang hat noch niemand Interesse an dem Anfang des 20. Jahrhunderts errichteten Industriebauwerk gezeigt. Zusätzlich zur Turbinenhalle im Erdgeschoss verfügt die Zentrale, in der früher mit Hochofengas Strom produziert wurde, noch über ein geräumiges Untergeschoss, das bislang ungenutzt ist. Beeindruckend sind vor allem die Eisenträger, die nach dem gleichen Prinzip wie die Träger des Eiffelturms in Paris hergestellt worden seien, vermutet der Historiker Luciano Pagliarini. Es seien noch keine Stahlträger, sondern vernietete Gusseisenteile verwendet worden.
Der Legende nach soll in einer an das Untergeschoss grenzenden Grube sogar noch eine ungenutzte, originalverpackte Lokomotive stehen, meint Germano. Der Zugang zur Grube ist aber mit Ziegeln verschlossen, so dass sich nur schwer überprüfen lässt, ob diese Geschichte stimmt.
Die Amical würde sich wünschen, dass die „Communauté de communes de l’agglomération de Longwy“ die Halle übernimmt, um sie der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Doch die Behörden zeigen sich bislang verhalten.
Die Koordinatoren der Europäischen Kulturhauptstadt 2022, Janina Strötgen und Andreas Wagner, haben die Gebläsehalle am vergangenen Donnerstag im Rahmen ihres grenzüberschreitenden Projekts besichtigt und zeigten sich begeistert. Vielleicht können sie die politischen Verantwortlichen aus Longwy überzeugen, die Halle zu übernehmen. Und dann könnte vielleicht auch das Rätsel der Lokomotive ein für allemal gelöst werden.
„Les Grands bureaux“
Neben der Gebläsehalle („Station centrale d’électricité“) ist auf dem Standort des ehemaligen Stahlwerks in Longlaville auch noch das einstige Direktionsgebäude („Grands bureaux des Aciéries de Longwy“) erhalten. Das vom französischen Architekten Pierre Le Bourgeois im „Art déco“-Stil entworfene Gebäude wurde 1928 eingeweiht und gehört seit 1985 dem französischen Staat. Heute wird es von den Gewerkschaften als Weiterbildungszentrum und als „Pôle emploi“ genutzt.
Beeindruckend sind vor allem die vom französischen Künstler und Designer Louis Majorelle entworfenen Fenster, auf denen typische Szenen aus der Stahlindustrie abgebildet sind. Der 1926 verstorbene Majorelle war ein Vertreter des Jugendstils und Mitglied der „Ecole de Nancy“. Die wie Kirchenfenster gestalteten Scheiben stehen unter nationalem Denkmalschutz.
In einem der oberen Stockwerke der „Grands bureaux“ kann auch die detailgetreue Miniaturnachbildung der „Usine de Senelle Longwy“ von Marc Thoquer bestaunt werden. Sechs Jahre hat er daran gearbeitet.
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