Hollywood hat die neurologische Entwicklungsstörung, die etwa ein Prozent der Bevölkerung aufweist, kinogerecht aufbereitet. Raymond, Hauptfigur in «Rain Man», die von Dustin Hoffman ebenso hervorragend wie realitätsfern interpretiert wird, weigert sich, per Flugzeug zu reisen, da er alle Flugunfälle und die entsprechenden Flugnummern sowie die Anzahl der Todesopfer auswendig kennt.
Auch lernt Raymond innerhalb eines Tages ein Telefonbuch auswendig und kann auf Anhieb die Anzahl der Zahnstocher, die vor ihm auf den Boden gefallen sind, präzise benennen (es waren 246 Stück). Solche «Kunststücke» sind allerdings wohl spannend für ein Kinopublikum; die Realität sieht anders aus. Zwar sind Autisten allgemein methodisch, pünktlich, haben Talent für Mathematik, Informatik und allgemein für Wissenschaften, können nicht lügen und haben einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn.
Kaum Lehrmaterial
Allerdings empfinden sie keine Empathie, haben Probleme mit sozialem Austausch und etwa die Hälfte der Betroffenen ist geistig behindert. Ein autistisches Kind ist eine große Herausforderung für Eltern und Familie. Auch in der Schule brauchen sie besondere professionelle Unterstützung. Wie die Vorschullehrerin Jessica Thill unlängst während einer Konferenz zum Thema verdeutlichte, fehlt es an adäquater Ausbildung der Lehrer und an geeignetem Lehrmaterial. Sie bastelte es kurzerhand selbst.
Dies ist allerdings nur ein Beispiel für den stiefmütterlichen Umgang mit den etwa 6.000 Betroffenen und den Zehntausenden Familienmitgliedern. Verbesserter Zugang zu Informationen, Koordinierung der Angebote, Forschung, Resultate, die konkret angewandt werden, eine integrale Behandlung auf medizinischer Ebene, frühe Diagnose und frühe Behandlung bzw. Förderung, all dies sind Aspekte, die in einem Autismus-Plan, ausgearbeitet von der Psychologin Dr. Andreia Costa von der Uni Luxemburg, vorgesehen sind (neben zahlreichen anderen, die detailliert aufgeführt sind).
Die Politik müsste ihn eigentlich nur noch umsetzen; bislang äußerte sich die Regierung allerdings noch nicht. Die Umsetzung würde dabei kaum teurer werden als die bisherigen unkoordinierten Leistungen, der vorliegende Plan könnte als Basis eines Regierungspapiers dienen … «Rain Man», um wieder zur Kunst zu kommen, würde es gefallen … den Betroffenen im Lande sicher auch.
Der Umgang mit den autistischen Menschen ist eine Herausforderung fuer alle, ganz klar. Kitschfilme helfen da garnichts und vermitteln ein falsches Bild. Ein autistisches Kind in einer Schulklasse bedeutet fuer den Lehrer/die Lehrerin zumindest eine zusaetzliche Ausbildung und, wie Madame Thill es vorbildlich macht, grossen Einsatz. Da es ja nicht nur autistische Kinder gibt , die im Schulsystem integriert werden sollen, stellt sich fuer mich ( lange in der Schule taetig ) schon seit vielen Jahren die Frage , wieweit ob es ueberhaupt noch zu verantworten ist als Lehrer/in die ganze Inklusionsarbeit zusaetzlich zu der "normalen" Schularbeit auf menschenwuerdige Weise zu bewaeltigen . Dies gilt natuerlich auch fuer das Schulpersonal, denn sie stehen weiterhin jeden Tag allein an der Front in ihrer Schulklasse .