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Mit einem «militärischen Schengen» in den Krieg?

Mit einem «militärischen Schengen» in den Krieg?
Foto: AP/Frank Augstein

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Es ist Zeit für eine Deeskalation in Europa, findet Robert Goebbels.

Manchmal sind es eigentlich geringfügige Ereignisse, die plötzlich wie durch eine Kettenreaktion unkontrollierbar werden. Laut Worldometers sterben jeden Tag in der allgemeinen Anonymität weltweit mehr als 100.000 Menschen. Viele davon als Opfer einer Gewalttat.

Von Robert Goebbels, ehemaliges Regierungsmitglied, früherer Europaabgeordneter

Nur wenige Tote rütteln auf. Etwa die 17 Opfer eines blindwütigen Schützen an einer Schule in Florida. Der außer Waffennarrheit keiner erkennbaren Ideologie anhängt.
Oder die vier Opfer eines islamistischen Attentäters in Südfrankreich. Oder der brutale Raubmord an einer 85-jährigen Jüdin in Paris. Der gekoppelt mit der Diskussion über islamischen Terror und dem latenten Antisemitismus für hitzige politische Debatten sorgt.

In Großbritannien hat der versuchte Giftmord an einem ehemaligen russischen Spion und dessen Tochter zu einer seit dem «Kalten Krieg» kaum erlebten Konfrontation zwischen dem «freien» Westen und dem «bösen» Russland geführt.

Die im «Brexit»-Morast gefangene Regierungschefin Theresa May stürzte sich mit fast religiöser Begeisterung auf diesen neuen Nebenkriegsschauplatz. Sie beschuldigte den russischen Geheimdienst der Tat, mit Putin als Strippenzieher. Außer der Tatsache, dass die Russen das zum Einsatz gekommene Nervengift anscheinend früher herstellten, lieferten die Briten bislang keine handfesten Beweise. Die britische Regierungschefin soll anlässlich des jüngsten EU-Gipfels in einer «vertraulichen Sitzung» die britischen Erkenntnisse über den Anschlag mitgeteilt haben.

Die Erkenntnisse der Geheimen

Das erinnert an die «Geheimdienst-Erkenntnisse» vor dem Irak-Krieg über die später nicht auffindbaren Massenvernichtungswaffen des Saddam Hussein.
Wie damals forderten London, und vor allem Washington, die Solidarität der Alliierten ein. Diesmal parierten die meisten und wiesen bislang insgesamt 240 russische Diplomaten aus. Der alte Fuchs Jean Asselborn zeigte ebenfalls Solidarität. Er beorderte den luxemburgischen Botschafter in Moskau zu «Konsultationen» zurück.

Da Luxemburg die Kosten für den Hin- und Rückflug des Botschafters übernimmt, dürfte diese inzwischen von anderen EU-Staaten imitierte «diplomatische Sanktion» die Russen nicht zu sehr bekümmern.

Doch das diplomatische Scharmützel zwischen West und Ost um den Nervengift-Anschlag von Salisbury ist nur ein kleines Rädchen in der sich steigernden Konfrontation mit Putins Russland.

Dieser Tage meldete sich die EU-Kommissarin für Transport mit dem Vorschlag eines «militärischen Schengens». Die (offiziell als «Schamanin und Feuerläuferin» zertifizierte) Slowenin Violeta Bulc will die «militärische Mobilität» in Europa fördern.
Autobahnen und Brücken sollen europaweit getestet werden, damit im Notfall Militäreinheiten, und vor allem schweres militärisches Gerät, schnellstmöglich quer durch die Union zu etwaigen Einsatzgebieten gelangen könnten.

Da wohl kaum ein Einsatz von NATO oder EU gegen die Türkei in ihrem Krieg gegen die Kurden in Planung ist, kann dieses «Schengen für Militärs» nur eine weitere «Warnung an Russland» sein, wie der polnische Ratspräsident Donald Tusk meinte.

Dass solche «Warnungen» in Russland als Kriegsvorbereitungen des Westens angesehen werden könnten, scheint der EU-Kommission nicht einzuleuchten. Dabei ist es Präsident Jean-Claude Juncker, welcher in allen Sonntagsreden zum Besuch von Militär-Friedhöfen aufruft, um den Friedenswillen zu stärken.

Die britische Historikerin Margaret MacMillan schreibt in ihrem Buch «Vers la Grande Guerre», dass vor 100 Jahren sich der Erste Weltkrieg durch eine Verkettung von Umständen entzündete, die im Einzeln gesehen nicht zu dieser blutigen Völkerschlacht hätten führen dürfen.

Die neuen Schlafwandler?

Selbst wenn sich die Geschichte nie wiederholt, gibt es laut der Historikerin viele Parallelen zwischen den Jahren vor 1914 und der Gegenwart: «Notre univers se heurte à des défis semblables, les uns révolutionnaires et idéologiques comme la montée des religions militantes et des mouvements de protestation sociale, les autres nés de la tension entre
nations montantes ou déclinantes comme la Chine et les Etats-Unis.»

In der Tat widerhallt das Weltgeschehen von ideologischen Positionskriegen und verbalen Kraftmeiereien, die zu Sanktionen und zu Gegen-Sanktionen führen, begleitet von einem neuem Rüstungswettlauf.

MacMillan: «Les nations s’affrontent comme elles le faisaient avant 1914, dans un jeu de bluff que leurs dirigeants croyaient maîtriser.»

Die Franzosen dehnten 1913 die allgemeine Wehrpflicht aus, um ihre Armee aufzustocken. Paris glaubte damals, nur durch mehr Soldaten könnte die Republik sich gegenüber dem bevölkerungsreicheren deutschen Kaiserreich absichern.

In Berlin sah man in der Aufstockung der französischen Armee eine Vorbereitung zu einem Angriffsschlag. Was wiederum eine weitere Aufrüstung der kaiserlichen Armee provozierte. Die den Briten suspekt war, da die britische Vorherrschaft auf See zunehmend von der kaiserlichen Kriegsmarine bedrängt wurde.

Das Problem ist immer das gleiche. Nationalistische Führer, und derer gibt es immer mehr, sind nicht in der Lage, die objektiven Interessen anderer Staaten zu erkennen und zu verstehen. Das führt zu Kurzschlussreaktionen, die wiederum neue Spannungen produzieren und irgendwann zu einer kriegerischen Entladung führen.

Zeit für Deeskalation

Was soll etwa der Quatsch mit dem «militärischen Schengen»? Eine weitere Provokation der Russen, welche neue Aufrüstungsanstrengungen Putins zur Folge haben?

Die, weil Autobahnen nun einmal in zwei entgegengesetzte Richtungen führen, dann als weitere russische Bedrohung des Westens verkauft werden? Es wird höchste Zeit für eine Phase der Deeskalation in Europa.

Die Welt ist gefährlich genug, ohne dass die Europäische Union sich nunmehr in die gefährlichen Spielchen der Nationalisten aller Schattierungen einlässt. Auch in Luxemburg.

Scholnier
6. April 2018 - 7.39

Mit der augenblicklichen Politik der militärischen Aufrüstung, der Unterstützung kriegerischer Handlungen, passiv wie aktiv, sei es durch Waffenlieferungen , militärische Ausbilder usw., der Unterstützung von Despoten, widerlegt die EU einer ihrer Hauptgründungsideeen, die Wahrung des Friedens.