Kaum ist Angela Merkel vereidigt, reist sie bereits nach Polen. Diese Tatsache allein hat in Warschau für einige Euphorie gesorgt.
Von unserem Korrespondenten Paul Flückiger, Warschau
«Dies ist ein Umbruch», kommentierte das gleichgeschaltete Staatsfernsehen TVP. «Noch nie ist die Kanzlerin nach ihrer Wahl im Bundestag so schnell nach Polen gekommen», freute sich der regierungstreue Sender. Merkel schätzte eben die Bedeutung Polens für die bilaterale Politik und die Europapolitik richtig ein, lautet der Tenor. Bestätigt fühlt sich die international zusehends isolierte rechtspopulistische Kaczynski-Regierung durch die Tatsache, dass bereits Außenminister Heiko Maas am Freitag nach Paris sogleich nach Warschau gereist war.
Gleich hält es nun die deutsche Bundeskanzlerin. Auch sie reist nach einem Besuch von Paris nach Warschau. An der Weichsel trifft sie neben Mateusz Morawiecki, mit dem sie bereits in ihrer letzten Legislaturperiode einen intensiven Kontakt pflegte, am späten Montagabend auch noch Staatspräsident Andrzej Duda.
Versuch der Einbindung
Die intensive Besuchsdiplomatie gilt vor allem dem Versuch einer Einbindung Warschaus. Denn seit der Machtübernahme von Jaroslaw Kaczynskis Partei «Recht und Gerechtigkeit» (PiS) im Herbst 2015 sind die Beziehungen zwischen Deutschland und Polen sehr frostig geworden. Schon bald zogen Polens Rechtspopulisten die anti-deutsche Karte, um innenpolitisch Punkte zu gewinnen. Im Herbst vorigen Jahres gipfelte dies in der Forderung nach deutschen Reparationszahlungen für den Zweiten Weltkrieg. Dass diese eher gegen innen für die eigene Anhängerschaft als gegen außen kommuniziert werden, ist dabei ein schlechter Trost.
In Polen wird der schnelle Besuch der Kanzlerin dennoch mit der Hoffnung auf eine gewisse Annäherung verbunden. Wohlwollend wurde in Regierungskreisen ein Interview des neuen deutschen Innenministers Horst Seehofer mit der WamS kommentiert, in dem der CSU-Politiker die Europäische Kommission wegen ihres Tons gegenüber Osteuropa in der Flüchtlingsfrage kritisiert hatte. Mit Seehofer verbindet Warschau die Hoffnung auf Rückendeckung im Kampf gegen bindende EU-Flüchtlingsaufnahmequoten. Auch in der Russland-Politik hofft die PiS auf mehr Unterstützung, im Idealfall gar auf einen Verzicht Berlins auf die zweite Röhre der North Stream Gas Pipeline, die Polen und die Ukraine umgehen soll. Merkel hatte das von Moskau aus betrachtet durchaus politische Projekt bisher immer als «rein kommerziell» bezeichnet.
Schlechte Nachricht für Polen
Merkel wiederum wird Warschau durchaus freundschaftlich davon zu überzeugen versuchen, bei der gerade beschlossenen Justizreform nicht wie bisher auf stur zu stellen, sondern einen Kompromiss mit Brüssel zu suchen. Dabei kann die Kanzlerin auf die nun beginnenden EU-Budgetverhandlungen verweisen. Paris und Berlin haben hier bereits eine mögliche Bindung der Strukturfondsauschüttung mit der Rechtsstaatlichkeit angedacht. Dies ist eine schlechte Nachricht für Polen und Ungarn, die die nationale Souveränität über den EU-Beitrittsvertrag sowie das deutsch-französische Konzept einer tieferen Integration stellen.
Eines aber macht Merkel allein schon mit ihrem Besuch klar: Polen befindet sich in keinem Belagerungszustand und ist nicht nur von Feinden umgeben, wie die PiS immer wieder behauptet.
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