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Innovative Mobilität

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Eine App, die die einfachste und direkteste Strecke herausfindet, die genauen Abfahrtszeiten vermerkt und das Ticket buchen und bezahlen kann? So will ein junger Luxemburger Wissenschaftler bei der Entwicklung alternativer Verkehrskonzepte mitmachen. Für seine diesbezügliche Abschlussarbeit an der Technischen Universität Wien bekam Mike Wengler am Freitag einen Förderpreis.

Von Claude Wolf

Die täglichen Verkehrsmeldungen und die eigene Erfahrung bestätigen es immer wieder: Das Auto ist längst nicht mehr das schnelle Verkehrsmittel, um von A nach B zu kommen. Immer häufiger steht es unbeweglich im Stau oder vor dem (vollen) Parkhaus. Wer an einer der Verkehrsachsen wohnt, über die sich die tägliche Autolawine wälzt, leidet auch noch an Lärmbelästigung und Umweltverschmutzung. «Stetiges Wachstum, Urbanisierung, demografische Veränderungen, Wertveränderungen in der Gesellschaft, Ressourcenknappheit und die Notwendigkeit, Emissionen zu reduzieren, zwingen uns, unsere Mobilität zu überdenken», schreibt Mike Wengler in der Vorstellung seiner Master-Arbeit, für die er vom österreichischen Parkplatzbetreiber LIST mit einem Förderpreis unterstützt wird.

Völliges Neuland betritt der junge Luxemburger, der sich bereits beim Geografiestudium in Trier mit dem Thema Raumplanung befasst hatte, mit seinen Forschungen nicht. Grundlage für seine Arbeit ist das «Mobility as a Service» (MaaS)-Konzept, das schon in Finnland und Schweden, aber auch in Wien oder Hannover erforscht wurde.

Eins zu eins lasse es sich im heutigen Stadium noch nicht umsetzen, dafür brauche es neben integrierten Mobilitäts- und Verkehrsinfrastrukturen auch den politischen Willen. «Die Idee besteht darin, einen Mobilitätsdienst zu schaffen, der auf der Nutzung dynamischer Daten und Reisepräferenzen basiert und alle Transportmittel in einem einzigen Angebot kombiniert», schreibt Wengler weiter. Im Gespräch über seine Arbeit wird er dann konkret. Wie auf Knopfdruck sprudeln die Ideen und Erklärungen.

Tageblatt: Was genau versteckt sich unter der Bezeichnung MaaS? Was verstehen Sie unter einer Mobilitäts-Dienstleistung?
Mike Wengler: Das Konzept sieht vor, dass man mit einer App direkt auf dem Mobiltelefon alle Verkehrsmittel miteinander kombinieren kann, die einem erlauben, sein Ziel zu erreichen. Das sind natürlich Eisenbahn, Bus und Tram, das können aber auch Taxi, Leihauto oder Fahrrad sein, wobei dem punktuellen Anmieten von Fahrrädern oder auch Autos ein immer größerer Platz eingeräumt werden muss. Von den unzähligen Autos, die heute die Straßen verstopfen, sind die meisten zu 90% der Zeit ungenutzt, stehen still auf einem Parkplatz. Warum nicht mehr über Carsharing (punktuelle Mietautos) oder Carpooling (Fahrgemeinschaften) nachdenken?

Sie gehören zu den sogenannten «Digital Natives», für Sie ist die Handhabung einer App selbstverständlich. Wollen Sie sich tatsächlich darauf verlassen, um problemlos zu Ihrem Ziel zu kommen?
Das Ziel ist ja eine größere, flexiblere Mobilität. Die App macht keine einmalige Planung der Fahrt, sondern passt diese flexibel der jeweiligen Verkehrslage an. Das bedeutet, dass sie gegebenenfalls auch umplanen kann, kombiniert mit einer Umbuchung.

Alles über Mobilfunk?
Smartphones und ubiquitäres Internet spielen eine bedeutende Rolle in unserer Gesellschaft. Man hat jederzeit Zugriff auf Daten und Informationen. So können die richtigen Apps, kombiniert mit einem preisgünstigen Abonnement, ausgearbeitet und immer wieder angepasst werden. Hier könnte später auch mal ein echter Konkurrenzkampf zwischen den Anbietern von Mobilitätspaketen entstehen, der dem Nutzer zugute kommt. Dieses Prinzip der flexiblen Nutzung von Mobilität inspiriert sich an dem Prinzip des Telekommunikationssektors. Einige Nutzer benötigen mehr Datenvolumen, andere mehr Guthaben für Anrufe oder Nachrichten. Genauso könnte die Nutzung von Mobilität, entsprechend den benötigten Transportmitteln, in einem monatlichen Abo angeboten werden.

Das klingt sehr nach Zukunftsmusik.
Wir stehen erst am Anfang, es ist noch jede Menge Forschungsarbeit notwendig. Das Konzept der MaaS richtet sich vorerst auch an eine urbane Stadtbevölkerung, die die Möglichkeit hat, vom Privatauto loszukommen und auf die Angebote zurückzugreifen, die ihr zur Verfügung stehen. Dafür ist ein Mentalitätswechsel notwendig, die Gesellschaft muss wegkommen vom Auto. Dieser Umschwung geht schneller, wenn die junge Generation mit den Alternativen aufwächst. Besonders in großen Städten haben nicht alle Studenten ein Auto. Und sie kommen doch überall hin – vorausgesetzt, Verkehrskonzept und Angebot stimmen.

Und das bedeutet?
Das Angebot muss ausreichend und stimmig sein. Tram, Bus, Bahn allein reichen nicht aus, es muss auch genügend Schnittstellen an den richtigen Orten geben, die den Wechsel von einem auf das andere Verkehrsmittel vereinfachen. Das beginnt mit kurzen Wartezeiten und reicht bis zu einem einheitlichen Ticket. Zudem müssen die Menschen aber auch bereit sein, ein paar Meter zu Fuß zu gehen. Genau dies gehört zum Gesamtkonzept dazu.

Der Appell an die Politik ist nicht zu überhören.
Die Politik muss mitspielen. Sie allein kann die Möglichkeiten schaffen und damit den Rahmen setzen für mehr Flexibilität bzw. ein Loslösen vom Individualverkehr. Dafür müssen aber auch die Anbieter flexibler werden, das Angebot muss vervielfältigt werden, es müssen genügend Züge und Busse fahren.

Sie haben sich im Rahmen Ihrer Arbeit in anderen Städten umgesehen. Wie ist das Fazit?
In Finnland ist das Konzept am weitesten gediehen, indem ein komplettes Package ausgearbeitet wurde. Daraufhin haben die Nutzer umgedacht, haben weniger auf das Auto zurückgegriffen. Bei anderen Pilotprojekten (Göteborg, Wien) wurde das Konzept erfolgreich getestet, ist jedoch bislang nicht über die Testphase hinausgekommen. Wie gesagt, wir stehen noch am Anfang der Recherche. Es braucht neben der Infrastruktur auch politische Rahmenbedingungen, vor allem was die Datennutzung und Datensicherheit betrifft.


Mobilität ist Freiheit

Mobilität steht in unserer Gesellschaft seit dem 19. Jahrhundert für Freiheit und Beweglichkeit, schreibt Mike Wengler in seiner Arbeit. Im täglichen städtischen Leben sei diese jedoch stark eingeschränkt, so dass wir heute wiederum an einer historischen Schnittstelle angekommen sind.

Wenn wir im 21. Jahrhundert mehr Mobilität wollen, dann reicht es nicht mehr, zusätzliche Straßen oder Parkplätze zu bauen.

Wir müssen neue Formen der Beweglichkeit finden, weil weder Straßen- noch Schienennetze unendlich ausgebaut werden können. So muss es, nach Mike Wengler, zu einem regelrechten Mentalitätswechsel kommen, der wegführt vom persönlichen Besitz eines Autos. Wengler ist sich jedoch des emotionalen Faktors eines Privatfahrzeuges bewusst. Er weiß, dass dieser Paradigmenwechsel nur eintreten kann, wenn die öffentliche Hand neben einem gut funktionierenden Verkehrsnetz weitere Alternativen bereitstellt, die eine «intermodale Mobilität» möglich machen. «Der Individualverkehr darf keine Konkurrenz darstellen, sondern muss innovativ mit den anderen Verkehrsmitteln verbunden werden», schreibt Wengler.


Alternativen

«Der Mentalitätswechsel kann nur erfolgen, wenn die öffentliche Hand mitspielt und ihr eigenes Angebot stimmig ist», betont Mike Wengler in seiner Arbeit immer wieder. Genau hier hat sich der hiesige öffentliche Transport kürzlich selbst ein Bein gestellt. Um den Bahnverkehr für die Pendler aus Trier und Wasserbillig attraktiver zu machen, wurde die Eisenbahnfahrt verkürzt – indem einige Bahnhöfe in den Hauptverkehrszeiten nicht mehr angefahren werden. Damit gewinnt derjenige, der in Wasserbillig zusteigt, ganze vier Minuten. Dafür vergrößern diejenigen, die auf den Bahnhöfen von Wecker und Münsbach stehen bleiben, den morgendlichen Stau. Das richtige Gleichgewicht zwischen schneller Strecke und gutem Service zu finden, ist bestimmt nicht einfach. Die Suche würde sich zumindest lohnen.