Er ist das Hirn der britischen Diplomatie, ranghöchster Mitarbeiter im Außenministerium – und hält wenig von Steuerharmonisierung: Sir Simon McDonald. Der Brite droht mit einer aggressiveren Freihandels- und Steuerpolitik. Gleichzeitig hofft er auf Unterstützung aus Luxemburg. Der Finanzsektor verbindet. Ein Interview.
Tageblatt: Es ist wohl kein Zufall, dass Sie gerade diese Woche in Luxemburg sind …
Zur Person
Sir Simon McDonald ist „Permanent Under Secretary and Head of the Diplomatic Service“ im britischen Außenministerium (auch: „Foreign and Commonwealth Office“, FCO). Der „Permanent Undersecretary“ ist der Hauptberater des britischen Außenministers. Zurzeit ist der polternde Boris Johnson im Amt. McDonald berät zudem die restlichen Mitarbeiter des britischen Außenministers.
Neben dieser Tätigkeit managt er das Tagesgeschäft in Großbritanniens Außenministerium, das rund 12.600 Mitarbeiter zählt. Er ist zudem Vorsitzender des FCO-Boards. McDonald ist seit 1982 im Dienst des britischen Außenministeriums und begann seine Karriere als „desk officer“ in Luxemburg. Er hat unter anderem in Berlin, Jeddah, Riad, Bonn, Washington, Tel Aviv und in einer Vielzahl von Jobs in London gedient. Er war von 2010 bis 2015 britischer Botschafter in der Bundesrepublik Deutschland. Er diente Außenminister David Miliband von 2007 bis 2010 als „Foreing Policy Advisor“ und als „Head of Foreign and Defence Policy“ in Milibands Kabinett. Er war zudem von 2003 bis 2006 britischer Botschafter in Israel. 2014 wurde Sir Simon McDonald zum „Knight Commander of the Most Distinguished Order of Saint Michael and Saint George“ ernannt.
Sir Simon McDonald: Es ist immer viel los in der Europäischen Union (lacht). Ich bin hier auf Einladung des Botschafters. Ich komme, um meine Beziehungen zu Luxemburg zu beleben. Ich hatte meinen ersten Job 1982 für das Außenministerium in Luxemburg: Ich war hier „desk officer“. Es ist das erste Mal, dass ich seitdem zurückkehre.
Angesichts des Brexit: Wie nehmen Sie Luxemburg wahr?
Luxemburg steht in der EU im Vergleich zu uns in vielen Hinsichten am anderen Ende des Spektrums: Es ist der „Übereuropäer“. Sie sind in allen Clubs, im Zentrum von allem und haben immer Ihr Bestes gegeben, um die top Jobs in der EU zu erhalten. Sie haben immer Ihr Bestes gegeben, um an der Bürokratie in Brüssel und Straßburg vorbeizukommen. Luxemburg hat immer die ursprüngliche Vision der EU vertreten.
Und Ihr eigenes Land?
Großbritannien war immer ein anderer Player. Wir kamen spät in die EU und unser Enthusiasmus war für verschiedene Teile des Projekts größer als für andere. Daraus entstanden eine Vielzahl von Widersprüchen, was auch erklärt, dass viele Menschen für den EU-Austritt („Brexit“) gestimmt haben. Am Ende kann man mit Blick auf die EU keine wirtschaftliche Herangehensweise wählen. Luxemburg hat das von Anfang an verstanden. Großbritannien hat das mittlerweile verstanden.
Inzwischen haben sich 20 hochkarätige Player ganz oder zum Teil dafür entschieden, ihre Aktivitäten wegen des Brexit nach Luxemburg zu verlagern, darunter Banken, Asset Managers und Versicherungsunternehmen. Werden Sie nervös?
Ich glaube, dass es noch viel Arbeit in dieser Frage gibt. Wenn ich durch London gehe, sehe ich die City nicht in Schwierigkeiten stecken. Es ist immer noch die belebteste Stadt in Europa. Dazu zähle ich Sektoren, in denen Luxemburg sehr stark ist. London ist mindestens genauso stark wie Luxemburg im Finanzdienstleistungs- und Hightech-Bereich.
Dennoch laufen die Verhandlungen alles außer rosig für Sie.
Wir befinden uns am Anfang der Verhandlungen über unsere Zukunft. Es ist für die EU ein sehr wichtiges Thema. Die verbleibenden EU-Mitgliedstaaten haben deswegen großes Interesse daran, einen Deal mit uns zu finden, damit die Nähe in vielen Fragen nicht verloren geht. Die EU würde deshalb von einem Deal profitieren, der die Interessen beider Seiten vertritt.
Luxemburgs Premierminister Xavier Bettel warnt immer vor verfrühtem Jubel: Unternehmen, die jetzt nach Luxemburg kommen, könnten nach dem Brexit wieder nach London zurückkehren – falls die Briten dann eine noch aggressivere Steuerpolitik betreiben als die ohnehin aggressive Steuerpolitik Luxemburgs. Ist seine Sorge berechtigt?
Großbritannien ist ein Land des Rechts. Der Text des Abkommens ist demnach sehr wichtig. Aber wir werden an diesen Text gebunden sein. Wenn so etwas im Text steht, sehe ich keinen Grund, weshalb Luxemburg sich fürchten sollte.
Meine Frage war, ob Sie nach dem Brexit eine aggressivere Steuerpolitik umsetzen werden. Sie dürfen auf legalem Weg eine Politik betreiben, die nach EU-Recht bislang nicht möglich gewesen wären.
Wir werden immer die Flexibilität von jedem Deal ausnutzen. Ja, das stimmt. Aber Luxemburg nutzt auch die Flexibilität des Rechts aus. Das ist einer der Gründe, weshalb Sie so viele Zigaretten verkaufen und Lkw-Fahrer nach Luxemburg tanken kommen anstatt im Heimatstaat zu tanken.
Was halten Sie von der Kritik von EU-Wirtschafts- und Währungskommissar Pierre Moscovici an Luxemburg? Die „aggressive Steuerpolitik“ Luxemburgs und sechs anderer Mitgliedstaaten sei gegen die Fairness und ein „Level Playing Field“ (gleiche Regeln für alle, Anm. d. Red.) der EU?
Luxemburg sollte gerade wegen seiner eigenen Situation während der Brexit-Verhandlungen Verständnis für die britische Position haben und zeigen. Das scheint auch der Fall zu sein, wenn ich meine bisherigen Gespräche in Luxemburg Revue passieren lasse. Jeder braucht sein einzigartiges Verkaufsargument. Jeder hat auch das Recht darauf. Für Großbritannien dreht sich das Verkaufsargument sehr stark um den Dienstleistungssektor. Die Londoner City ist für uns zentral. Wir brauchen in Zukunft eine starke City.
Luxemburg mag Verständnis für die britische Position haben. Aber das wird sich doch niemals im Verhandlungsergebnis widerspiegeln.
All diese Fragen werden zumindest Teil der Verhandlungen sein. Unser Finanzminister Philip Hammond hat noch am Mittwoch darüber gesprochen. Großbritannien strebt ein ausführliches Freihandelsabkommen an. Das ist die Basis unserer künftigen Beziehungen mit der EU. Hammond hat dafür plädiert, die Dienstleistungen in dieses Abkommen einzuschließen.
Für die EU ist doch seit jeher klar: Die Finanzdienstleistungen werden nicht Teil eines Abkommens sein.
Unser Punkt ist klar: Wir wollen ein Freihandelsabkommen wie kein zweites. Wir akzeptieren nicht, dass es auf einer engen Vorlage von Bestehendem basieren muss. Die EU hat bereits maßgeschneiderte Abkommen mit Kanada, Korea und Singapur abgeschlossen. Wir erwarten deshalb ein maßgeschneidertes Abkommen mit Großbritannien.
Sie haben aber keinen Hebel, um so etwas auszuhandeln.
Wir glauben daran, weil Großbritannien ein größerer Handelspartner als die vorher genannten Länder ist. Hinzu kommt, dass unser Ausgangspunkt auf der gleichen Ebene wie der Rest der EU ist. Die meisten Handelsabkommen drehen sich hingegen darum, Verhandlungspartner auf eine Linie zu bringen.
Sie haben vorher Ihren Finanzminister Philip Hammond angesprochen. Er hat 2017 damit gedroht, dass Großbritannien dazu gezwungen sein könnte, sein Wirtschaftsmodell zu verändern, wenn es kein Abkommen oder keinen Zugang zum europäischen Binnenmarkt geben würde.
Es ist unser explizites Ziel, ein Abkommen mit der EU abzuschließen. Sollten wir aber kein Abkommen erhalten, müssen wir alles fundamental überdenken. Alle Optionen liegen auf dem Tisch. Selbst unser ökonomisches Grundmodell steht dann zur Debatte. Wir sind traditionell ein Land des Freihandels mit niedrigen Steuersätzen. Es könnte also sein, dass wir in Zukunft diese beiden Konzepte noch enthusiastischer umsetzen. Aber es ist nicht die Zukunft, die wir als Erstes anstreben.
Eigentlich sind Sie doch schon eine Steueroase. Man denke nur an die Cayman Islands oder Jersey. Wollen Sie das im schlimmsten Fall im ganz großen Stil zum nationalen Wirtschaftsmodell erklären?
Ich war vor drei Wochen in Road Town, Tortola, auf den British Virgin Islands. Sie haben ein sehr spezifisches Wirtschaftsmodell. Dort sind 400.000 Unternehmen angemeldet, es gibt aber nur 30.000 Bürger. Tortola ist aber am Ende nur eine sehr kleine Jurisdiktion. Diese Art von Nische beziehungsweise Offshore-Existenz kann nicht für ein ganzes Land von 65 Millionen Bürgern funktionieren.
Was halten Sie denn davon, dass Irland und Luxemburg den Schulterschluss suchen. Premier Bettel war am Montag auf Charmeoffensive in Dublin.
Irland ist seit Jahrhunderten ein enger Partner von Großbritannien. Die letzten 45 Jahre wurden unsere Beziehungen stark durch die Vermittlungsbemühungen der EU bestimmt. Das endet jetzt. Eine alte Beziehung wird sich also erneut verändern. Wir verstehen, dass jetzt zu Beginn der Verhandlungen Brüssel und die EU-27 mehr an Irland als an Großbritannien denken werden.
Denn Irland wird in der EU bleiben. Wir verstehen und respektieren das. Wir glauben aber, dass es im Interesse eines jeden ist, zu einer Vereinbarung zu kommen, die funktioniert. Momentan ist das noch nicht der Fall.
Luxemburg koppelt seine eigenen Bestrebungen in Sachen Steuerharmonisierung immer an das internationale, statt nur an das europäische Umfeld. Nach dem Brexit haben Sie doch noch weniger Interesse an einer Harmonisierung?
Die Briten haben immer Unterschiede gepflegt. Sie waren nie „Überharmonisierer“. Wir glauben daran, dass Menschen ihren eigenen Weg wählen können und der Markt entscheiden kann. Wir sind keine Verfechter einer Zwangsjacke für die irische oder luxemburgische Steuerpolitik. Es gibt genügend Raum, damit jeder blühen kann.
Das klingt ein wenig zu optimistisch.
Ich kenne die historischen Verbindungen zwischen Großbritannien und all den EU-Mitgliedstaaten. Sie sind in allen Fällen aus unterschiedlichen Gründen sehr eng. Das gilt auch für Luxemburg. Man denke nur an die Londoner Konferenz und die damit verbundene Unabhängigkeit.
Das ändert aber nichts daran, dass Sie sich heute in eine Sackgasse manövriert haben.
Ich hoffe, dass sich die einzelnen EU-Mitgliedstaaten für ihre nationalen Interessen einsetzen und sich für ihre eigene Position starkmachen. Sie sollen ihre Punkte bei den Brüsseler Verhandlungen deutlich machen. Wenn die EU-27 ohne Großbritannien zusammenkommen, sollen die Staatenlenker ihre eigene Einschätzung der Lage zum Ausdruck bringen. Sie sollen EU-Brexit-Chefunterhändler Michel Barnier ihren Rat mit auf den Weg geben. Sie sollen nicht einfach das übernehmen, was das Barnier-Team ihnen sagt.
Je nach Perspektive wäre ein Schulterschluss zwischen Luxemburg und Großbritannien doch wegen des Finanzsektors sinnvoll …
Wenn man an die Wichtigkeit des luxemburgischen Finanzsektors denkt, muss man feststellen, dass Luxemburg eine andere Perspektive wie einige der anderen Mitgliedstaaten hat. Dies gerade mit Blick auf die Frage, was eine dienliche Beziehung mit Großbritannien bedeutet. Wir glauben, dass die Luxemburger Position berechtigt ist und von Brüssel gehört werden sollte.
Luxemburg ist aber nur ein kleines Rädchen im großen Ganzen.
Eines der definierenden Prinzipien der EU ist die Gleichstellung der Mitgliedstaaten. Luxemburg weiß das und nutzt das voll aus. Meine Hoffnung ist, dass sich Luxemburg Gehör verschafft.
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