Vor genau 90 Jahren, am 5. März 1928, kam der Industrielle Emile Mayrisch bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Mit ihm verlor Luxemburg einen fortschrittlichen Unternehmer und das geeinte Europa einen seiner Vordenker. Eine Geschichtsstunde.
Es war ein ganz banaler Verkehrsunfall. Durch einen geplatzten Reifen am rechten Vorderrad kam das Auto von der Straße ab und prallte gegen einen Baum. Der Passagier auf dem Vordersitz war sofort tot, der Chauffeur und der dritte Insasse wurden nur leicht verletzt.
Der Mann auf dem „place du mort“ war Emile Mayrisch, Direktionspräsident der Arbed. Mit ihm im Wagen saßen sein Chauffeur und sein Privatsekretär. Sie waren auf dem Weg nach Paris, zu einer Sitzung des von Mayrisch initiierten europäischen Stahlkartells, das häufig als Vorreiter der (1951 gegründeten) Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (CECA) angesehen wird.
Seine Beisetzung – eine zivile Feier „ohne jegliches religiöse Drum und Dran“, wie das Tageblatt in seiner Ausgabe des 9. März 1928 schrieb – war dennoch wie ein Staatsbegräbnis. Tausende säumten die Straßen der Hauptstadt, erwiesen Mayrisch vom Arbed-Gebäude in der avenue de la Liberté bis zur place de l’Etoile die letzte Ehre. Neben den zahlreichen Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik wollten auch Arbeiter und Angestellte ihren langjährigen Arbeitgeber auf seinem letzten Weg begleiten.
Altersversorgung, Achtstundentag. Sie hatten ihm manches zu verdanken. „Kein Problem, wenn man als Industriekapitän so nahe an der Macht steht, dass einem gewisse Regulationen in Sachen Steuer-, Arbeits- und Sozialrecht geradezu auf den Leib geschneidert werden“, meinten seine Gegner und bezeichneten ihn gerne als „Gegenmacht im Staat“.
„Weil er sich selbst, aus eigener Kraft, auf den höchsten Posten unserer industriellen Hierarchie hinaufarbeitete, verstand er die Not und die Interessen unserer Arbeiterschaft und zeigte sich stets bereit, deren Bedürfnissen entgegenzukommen“, hält das Tageblatt in seiner Berichterstattung vom 9. März 1928 diesen Behauptungen in schönster gotischer Schrift entgegen.
Politisch war Emile Mayrisch nicht direkt engagiert gewesen. Er war weder Abgeordneter noch Minister. Seine Biografen bezeichnen ihn als liberal und unterstreichen stets sein gesellschaftliches Engagement, das Tageblatt beschreibt ihn in seinem Nachruf als „links eingestuft“.
Nach dem Ersten Weltkrieg tagte Mayrisch in all den Kommissionen, die sich um die Neuorientierung der luxemburgischen Wirtschaft kümmerten. Er machte sich dabei für eine wirtschaftliche Union mit Frankreich stark. Ihr Scheitern war eine seiner großen Enttäuschungen. „Als die tragische Kunde einlief, ging durch ganz Europa ein Erzittern, weil man in Frankreich wie in Deutschland, in Belgien wie in Polen, in Österreich, in der Tschechoslowakei und über den Kanal heraus fühlte, dass einer der besten Europäer von uns gerissen ward“, schrieb der spätere Tageblatt-Chefredakteur Gust van Werveke.
Ein Visionär
Mayrischs Name werde unzertrennlich mit dem gewaltigen Aufschwung unserer Eisenindustrie verbunden bleiben. Er sei der eigentliche Schöpfer der Arbed gewesen … er habe aber auch die Rohstahlgemeinschaft zusammengebaut, den mächtigsten Trust, den die europäische Wirtschaft aufzuweisen habe, heißt es weiter mit Hinweis auf das von ihm gegründete deutsch-französische Studienkomitee, in dem er die „markantesten Persönlichkeiten der beiden früheren Feindesländer zur über alles wichtigen Mission der gegenseitigen Dokumentation sammelte“.
Er habe als erster Unternehmer den Wert und die Möglichkeiten der großen Konzentrationsbewegungen erkannt, so Van Werweke. Tatsächlich war Mayrisch ein Visionär. Er hatte sehr früh begriffen, dass die vielen kleinen luxemburgischen Stahlbetriebe auf Dauer im harten internationalen Wettkampf nicht bestehen könnten. Seine Bemühungen führten daraufhin zur Gründung der „Aciéries réunies Burbach, Eich, Dudelange“, kurz Arbed, deren Generaldirektor er wurde.
Durch Beteiligungen und Übernahmen im In- und Ausland baute er den Konzern systematisch aus und machte Luxemburg dadurch zum Sitz des größten Eisenkonzerns Europas. Vorgeworfen wurde ihm im Nachhinein, das Land von einem einzigen Unternehmen abhängig gemacht und quasi eine Stahlmonarchie aufgebaut zu haben.
Emile Mayrisch war eine imposante Erscheinung, die sofort Respekt gebot. Seine Senkrechtkarriere in der Stahlindustrie verdankte er mehr seinen Führungsqualitäten und seinen Visionen als seinem rein fachlichen Wissen.
Wichtig ist aber auch sein sozialer Einsatz, der neben der Verbesserung der Lebensbedingungen der Arbeiter auch Sozialwerke wie die Gründung des Roten Kreuzes beinhaltete. Die Mayrischs waren darüber hinaus für ihre Kunst- und Literaturkenntnisse bekannt, sie haben in ihrem Wohnsitz in Colpach viele internationale Künstler empfangen.
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