Headlines

Juncker auf Motivationstour

Juncker auf Motivationstour
Willkommen im EU-Wartesaal: Mazedoniens Premier Zoran Zaev begrüßt Jean-Claude Juncker

Jetzt weiterlesen! !

Für 0.99 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Von unserem Korrespondenten Thomas Roser, Belgrad

Am Sonntag hat Kommissionschef Juncker seine viertägige Visite des EU-Wartesaals begonnen. Auch der Ermutigung beim Beitritts- marathon soll seine Westbalkan-Reise dienen. Ganz selbstlos ist die Motivationstour nicht: Es ist auch die Sorge vor dem wachsenden Einfluss von Moskau, Ankara und Peking, die Brüssel verstärkt ins Erweiterungshorn blasen lässt.

Zumindest im EU-Vorhof hat Europas Sternenbanner noch Glanz. Vom serbischen Belgrad bis zum albanischen Tirana fiebern die mächtigen Balkanfürsten der Ankunft von Brüssels höchstem Emissär erwartungsfroh entgehen: Bei seiner am Sonntag in Mazedonien begonnenen Westbalkan-Reise will EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nicht nur die neue EU-Erweiterungsstrategie vorstellen, sondern auch die EU-Anwärter bei ihrem mühsamen Beitrittsmarathon ermutigen.

Seit dem Aufnahmegelübde für die darbenden Balkanbrüder beim EU-Gipfel in Thessaloniki 2003 ist die einst große Begeisterung für die EU in deren Dauerwarteschleife zwar merklich abgeflacht. Doch alle sechs der gebeutelten EU-Anwärter haben nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Gründen weiter den Kurs klar in Richtung von Europas kriselndem Wohlstandsbündnis gesetzt. Um die auch von Moskau, Peking und Ankara umworbenen Problemkinder bei der Stange zu halten, setzt die EU nun auf vermehrtes Zuckerbrot.

EU-Euphorie lässt nach

Den am weitesten fortgeschrittenen EU-Kandidaten Montenegro und Serbien hat Brüssel zu Monatsbeginn mit 2025 erstmals ein mögliches Beitrittsdatum genannt. Albanien und Mazedonien wird der Auftakt der Beitrittsverhandlungen noch in diesem Jahr in Aussicht gestellt. Mit der Mohrrübe von in Aussicht gestellten Assoziierungsabkommen hofft Brüssel, die Nachzügler Kosovo und Bosnien und Herzegowina zu größeren Reformanstrengungen zu bewegen. Als «Ermunterung» will Juncker die neue EU-Erweiterungsstrategie verstanden wissen: Nur wenn die Anwärter die gestrengen Beitrittskriterien bei der Bekämpfung von Korruption, Stärkung des Rechtsstaats und Sicherung der Medienfreiheit erfüllten, sei mit der Aufnahme von neuen Mitgliedern zu rechnen.

Vor allem bei den EU-Altmitgliedern ist die Begeisterung für neue Erweiterungsrunden begrenzt. Dennoch hat sich Juncker nicht selbstlos zu seiner sogenannten „Wirbelwind“-Tour in den von endlosen Nachbarschaftskonflikten, Armut und Auswanderung geprägten EU-Wartesaal aufgemacht. Es sind vor allem strategische Überlegungen, die Brüssel verstärkt ins Erweiterungshorn blasen lassen.

Es ist nicht nur die Angst vor neuen Konflikten in der Region, sondern auch die verstärkte Großmachtkonkurrenz, die in Brüssel das lange erlahmte Interesse am problembeladenen Wartesaal neu erwachen lässt. Vor allem China, aber auch die Türkei mühen sich mit Billigkrediten, Investitionen und Infrastrukturprojekten um neue Verbündete in der Region. Russland wiederum hat auch aus sicherheitspolitischen Gründen vor allem in Serbien, aber auch im bosnischen Teilstaat der Republika Srpska seine diplomatischen und medialen Aktivitäten in den letzten Jahren merklich verstärkt: Nach Montenegros Beitritt zur NATO will Moskau deren weitere Ausweitung unbedingt verhindern.

Fragwürdige Partner

Aus Stabilitätsgründen, aber auch aus Mangel an Alternativen setzt die EU in ihrem Vorhof auch auf eher fragwürdige Ränkeschmiede als Partner. Doch ob Vetternwirtschaft, organisierte Kriminalität oder die autoritäre Gängelung der Medien und Opposition: Von rechtsstaatlichen Verhältnissen scheinen die meisten EU-Anwärter noch Lichtjahre entfernt.

Obwohl Kritiker bezweifeln, ob die Furcht vor Moskaus Einfluss und das Streben nach Stabilität das richtige Rezept beim Umgang mit den ebenso geschäftstüchtigen wie machtbewussten Strippenziehern auf dem Westbalkan sind, sieht Brüssel zu der langfristigen Einbindung der Region keine Alternative. Die EU habe die Wahl, «entweder Stabilität zu exportieren oder Instabilität zu importieren», so der EU-Nachbarscha