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Amerikas vergessene Verbündete

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Ein Mitglied des Generalkommandos der Syrischen Demokratischen Kräfte in Afrin, Mahmoud Berkhdan berichtet über seinen Verteidigungskampf gegen türkische Streitkräfte und deren Verbündete. Aus dem Englischen von Harald Eckhoff, Copyright: Project Syndicate, 2018

Am 20. Januar begann die Türkei im Norden von Syrien mit Luftangriffen und heftigem Beschuss. Dabei ging es den Angreifern angeblich darum, eine Bedrohung der Sicherheit zu neutralisieren. Das angegriffene Gebiet und Afrin, die Stadt, in der ich kämpfe, stehen unter der Kontrolle der Schutzeinheiten des Kurdischen Volkes (YPG).

Als Kommandant der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), zu denen auch die YPG gehören, möchte ich mich ganz klar ausdrücken: Die türkische Behauptung, wir würden über die Grenze hinweg Krieg führen, ist völlig unwahr. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Mit der «Operation Olivenzweig» greift die Türkei uns an. Und trotzdem genießt sie dabei, aus Gründen, die ich nicht verstehen kann, die schweigende Zustimmung der internationalen Gemeinschaft.

Unsere Streitkräfte führen keine Angriffe gegen den türkischen Staat. (Die YPG haben nur das Feuer erwidert, das türkische Stellungen gegen uns eröffnet haben.) Der einzige Krieg, den wir führen, richtet sich gegen die Dschihadisten des Islamischen Staates (IS) – und dabei haben uns die Vereinigten Staaten unterstützt. Jetzt aber, wo der Kampf gegen den IS fast beendet ist, sind unsere internationalen Unterstützer stiller geworden – und die türkischen Raketen lauter.

Seit Beginn des syrischen Konflikts im Jahr 2011 steht die Türkei immer wieder auf der falschen Seite. Sie hat eng mit der salafistischen Rebellengruppe Ahrar al-Sham zusammengearbeitet, deren Führung in Afghanistan zu Al-Kaida gehörte. Auch hat die Türkei Dschihadisten von Jabhat Fatah al-Sham (ehemals Al-Nusra-Front) unterstützt, der syrischen Al-Kaida-Abteilung.

Enthüllung, die Erdogan in Verlegenheit brachte

Und bis vor kurzem haben die türkischen Politiker die ausländischen Kämpfer, die ihr Land durchquerten, um sich in Syrien dem IS anzuschließen, völlig ignoriert. Im Oktober 2014 erklärte der damalige US-Vizepräsident Joseph Biden einem öffentlichen Publikum, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan habe privat zugegeben, die Türkei habe «zu viele Leute durchgelassen». Obwohl sich Biden später für die Enthüllung entschuldigte, wurde dadurch bestätigt, dass die Türkei in Hinsicht auf diesen Konflikt wiederholt versagt hat.

Die SDF hingegen haben die demokratischen Bestrebungen der Region dadurch unterstützt, dass sie für einen Nahen Osten ohne Dschihadisten gekämpft haben. Bereits über ein Jahr, bevor der IS in den USA und Europa zum Begriff wurde, starben unsere Kämpfer, um der Gruppe Einhalt zu gebieten. Wir verteidigten Gemeinschaften und Minderheiten vor dem Zorn der Dschihadisten und hielten den IS davon ab, noch mehr Frauen zu versklaven und Dissidenten zu steinigen, als sie es bereits getan hatten. Und indem wir die Terrorgruppe von der türkischen Grenze fernhielten, durchkreuzten wir ihre Bemühungen, ihren Arm weiter nach Europa auszustrecken.

Unser Einsatz gegen den IS in Kobanî im Jahr 2015 hat dazu geführt, dass die USA ihre Waffenlieferungen, ihre Ausbildung und ihre Unterstützung aus der Luft verstärkt haben. Durch diese Partnerschaft konnten die SDF den IS an den Rand des Zusammenbruchs bringen. Aber ebenso haben meine Soldaten für diese Kämpfe einen hohen Preis gezahlt: Sie litten unter der Angriffswut der Islamisten am stärksten. Der IS tötete Tausende von Kämpfern, während das US-Militär, das im Irakkrieg noch 4.500 Opfer zu beklagen hatte, in Syrien nur vier Soldaten verlor.

Mit dem Abflauen des IS schwindet US-Solidarität

Jetzt, wo der Kampf gegen den IS abflaut, scheinen die USA weniger erpicht darauf zu sein, uns zu unterstützen. Und so konnte die Türkei ungestraft Raketen und Artillerie auf uns abfeuern. Laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte wurden bei der Operation mindestens 70 Zivilisten getötet – und 21 Kinder. Über 100 SDF-Soldaten sind gefallen, darunter auch eine Soldatin, deren Körper von türkischen Streitkräften verstümmelt wurde. Momentan sind wir dem Zorn einer NATO-Armee ausgesetzt, ohne auch nur einen einzigen Hubschrauber zu haben, um unsere Verwundeten zu evakuieren.

Die türkischen Politiker behaupten, sie kämpften gegen die SDF, weil wir «Terroristen» seien. Ich fordere sie auf, Beweise für solche Behauptungen zu liefern. In Wirklichkeit bedrohen wir die Türkei nicht durch unsere Waffen, sondern durch unsere Ideen und politischen Organisationen. Erdogan fürchtet unsere demokratischen Werte: Wir haben einer Region, die seit fünf Jahrzehnten von einer brutalen Diktatur regiert wurde, die Freiheit gebracht. Während Erdogan seinen autokratischen Tendenzen freien Lauf lässt, hat er Angst, eine echte Demokratie an der Südgrenze der Türkei könnte seine Macht gefährden.

Afrin von Kurden säubern

Für Erdogan wäre das beste Szenario in Syrien die Neuauflage eines sunnitisch-arabischen Staates, in dem die Kurden und andere Minderheiten an der Seitenlinie stehen. Dies aber ginge auf Kosten der großen Vielfalt im Land. Wir dagegen unterstützen in Syrien das gesamte ethnische und religiöse Mosaik und streben eine Zukunft der Gemeinsamkeit unter Christen, Tscherkessen und Jesiden an – alles Gruppen, die von der Türkei nicht berücksichtigt werden.

Erdogan hat behauptet, er wolle «Afrin an seine wahren Eigentümer übergeben» und damit den über 3,5 Millionen syrischen Flüchtlingen in der Türkei ermöglichen, «so bald wie möglich in ihr eigenes Land» zurückzukehren. Für viele von uns scheinen Erdogans wahre Absichten in Afrin aber darin zu liegen, die Region von Kurden zu säubern und uns zu einer Minderheit in unserer eigenen Heimat zu machen. Wohin sollen wir gehen? Die Kurden in Afrin sind keine Hausbesetzer.

Darunter, dass Erdogan immer unberechenbarer wird und seine westlichen Verbündeten vor den Kopf stößt, leiden vor allem die Kurden. Wir sind bereit, gute Nachbarn zu sein und zu verhandeln, um eine Einigung zu erreichen. Solange die Türkei uns aber weiterhin angreift und dabei auf keine nennenswerte Verdammnis stößt, haben wir keine andere Wahl, als uns zu verteidigen.