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Widerwillige Annäherung unwilliger Nachbarn

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Der Aussöhnung zweier scheinbar unversöhnlicher Ex-Kriegsgegner soll der Staatsbesuch von Serbiens Präsident Vucic in Kroatien dienen. Doch schrille Misstöne auf beiden Seiten überschatten die mit Spannung erwartete Visite.

Von unserem Korrespondenten Thomas Roser

Der Aussöhnung zweier scheinbar unversöhnlicher Ex-Kriegsgegner soll der Staatsbesuch von Serbiens Präsident Vucic in Kroatien dienen. Doch schrille Misstöne auf beiden Seiten überschatten die mit Spannung erwartete Visite.

Zumindest Gastgeberin und Gast mühen sich vor ihrem Treffen um den in Brüssel gewünschten Versöhnungsschein. Der eskalierte «verbale Krieg» zwischen Kroatien und Serbien müsse unterbrochen werden, begründet Kroatiens Staatschefin Kolinda Grabar-Kitarovic die Einladung an ihren serbischen Amtskollegen Aleksandar Vucic zu dem am Montag beginnenden Staatsbesuch. Die Mehrheit des kroatischen und serbischen Volks sei der Kontroversen der Vergangenheit müde – und wolle sich «der Zukunft zuwenden». Belgrads Politik sei eine «Politik der ausgestreckten Hand», versichert der Gast: «Die Zeit der Kriege ist Vergangenheit, die Zeit der Gespräche liegt vor uns.»

Tatsächlich wird die labile Nachbarschaftsehe der beiden streitbaren Ex-Kriegsgegner vor allem durch Protestnoten, unversöhnliches Nachkarten und oft bewusst geschürte Spannungen statt dem Willen zur Aussöhnung geprägt. Und egal, ob die beiden Staatsoberhäupter nun wie von Analytikern vermutet auf nachdrücklichen Wunsch Brüssels, aus innenpolitischen Kalkulationen oder tiefster Überzeugung den Beginn einer neuen Ära verkünden, mehr als ein zeitweiliges Vergraben des rhetorischen Kriegsbeils scheint kaum zu erwarten: Schon vor dessen Beginn überschatten schrille Misstöne auf beiden Seiten die zweitägige Staatsvisite.

Erinnerung an 1995

Schon seit Tagen kursieren in Kroatiens Medien die Videoaufnahmen eines Kroatien-Abstechers von Vucic aus dem Jahre 1995: Voll nationalistischem Pathos hatte der damalige Parteigänger der rechtsextremen SRS die besetzte kroatische Stadt Glina zur serbischen Scholle erklärt. Forderungen nach Entschuldigungen von Vucic gehen in Kroatien mit der Ankündigung von Protestdemonstrationen von Veteranenverbänden einher. Derweil will der mit Präsidentin Kitarovic eher auf kühlem Fuß stehende Premier Andrej Plenkovic den Gast nicht nur an das Schicksal der Kriegsvermissten, sondern auch an alte Zagreber Forderungen nach Entschädigungszahlungen für den Kroatienkrieg (1991-1995) erinnern.

Als «völlig unverantwortlichen Kindergarten» kritisiert das kroatische Webportal «index.hr» die zerstritte Staats- und Regierungsspitze sowie die widersprüchlichen Auslassungen der Präsidentin, des Premiers und mehrerer Minister zum Vucic-Besuch. Der Mangel an Koordination und einheitlichen Positionen schwäche schon vorab die kroatische Position, während sich Vucic als «verantwortlicher Staatsmann» profilieren könne.

Bewährte Doppelstrategie

Politchamäleon Vucic scheint derweil auf die bewährte Doppelstrategie zu setzen. Einerseits hofft er mit der Demonstration des Kooperationswillens in Brüssel zu punkten. Andererseits präsentiert er sich dem heimischen Publikum als aufopferungsvoller Kämpfer für das Schicksal von Kroatiens serbischer Minderheit – und lässt seine ihm ergebenen Lautsprecher die altbekannten Hasstiraden in Richtung Zagreb verkünden. Vucic sollte nicht nach Kroatien gehen, denn dort würden ihn «die Ustaschas» erwarten und nach seinem Leben trachten, erinnert Serbiens Verteidigungsminister Aleksandar Vulin an Kroatiens früheres NS-Regime.

Seit in beiden Staaten Rechtsparteien das Sagen hätten, sei auf beiden Seiten der Grenze eine Art «Perpetuum Mobile» der Politik der Feindschaft für heimische Zwecke installiert, klagt Kroatiens früherer sozialdemokratischer Staatschef Ivo Josipovic. Dennoch begrüßt er die Vucic-Visite zumindest als Chance, «den unsinnigen und schädlichen Krieg mit anderen Mitteln» zu beenden: «Grabar-Kitarovic und Vucic haben die Gelegenheit, die schlechte Spirale zu durchbrechen und unsere Beziehungen in ruhigere Gewässer zu lenken.»