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„Hier gibt es kein Gesetz“ – Zu Besuch in einem libyschen Internierungslager

„Hier gibt es kein Gesetz“ – Zu Besuch in einem libyschen Internierungslager

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Die Betreiber des libyschen Internierungslagers "Tarek al-Matar" geben sich größte Mühe, die Misere ihrer Gefangenen zu kaschieren. Doch selbst dieses "Vorzeigelager" in Süd-Tripolis ist Ausdruck unhaltbarer Zustände. Eine Reportage.

Die Betreiber des libyschen Internierungslagers «Tarek al-Matar» geben sich größte Mühe, die Misere ihrer Gefangenen zu kaschieren. Doch selbst dieses «Vorzeigelager» in Süd-Tripolis ist Ausdruck unhaltbarer Zustände. Eine Reportage von Tageblatt-Chefredakteur Dhiraj Sabharwal.

«Ich bin seit einem Monat hier im Internierungslager. Ich habe in Suarez City in Libyen gearbeitet.» Abdel Coulouba kann fast nicht mehr sprechen. Die Wörter kommen ihm nur schwer über die Lippen. «Ich habe vorher in …» Er schweigt kurz, stützt seinen Kopf an der Wand vor ihm. Er steht inmitten von Hunderten Afrikanern, die in das Internierungslager «Tarek al-Matar» nach Süd-Tripolis gebracht worden sind. «Ich habe vorher in Brasilien gearbeitet.» Eine Erklärung, was ihn nach Brasilien verschlagen hat und wie er schließlich in Libyen gelandet ist, will er nicht geben. Spricht man ihn auf das Thema Sklaverei an, blickt er zu Boden.

«Man hat mich unterwegs geschnappt. Ich wollte eigentlich nach Mali zurückkehren.» Mit «man» meint er die libysche «Polizei». Die libyschen Behörden machen keinen Unterschied zwischen Menschen ohne Visum und Flüchtlingen. Es gibt aus ihrer Perspektive nur illegale oder legale Migranten. Dies, obschon Libyen zu Zeiten von Langzeitdiktator Muammar al-Gaddafi die Tore für arbeitswillige Migranten weit geöffnet hatte. Diese saßen nach seinem Sturz plötzlich ohne Arbeitsgenehmigung oder Visa in Libyen.

«Das Leben hier hat mich müde gemacht»

Heute wollen viele das zerfallende Libyen zudem als Sprungbrett für ein besseres Leben nutzen. «Das Leben hier hat mich müde gemacht. Ich bin müde. Ich bin einfach nur müde.» Abdel wirkt betäubt, scheint aber nicht unter Drogeneinfluss zu stehen. Es ist vielmehr eine Aura der Leere und Hoffnungslosigkeit, die ihn umgibt. Er hängt mit beiden Händen an der Mauer, eingepfercht wie ein Tier im Zoo. Elendstourismus fällt einem ein, wenn man vor ihm steht.

Denn Menschen wie Abdel Coulouba werden ausländischen Delegationen in Lagern wie «Tarek al-Matar» als Vorzeigemigranten gezeigt. Alles fein kalkuliert und bloß keine bösen Überraschungen. «Schaut doch, wie gut es ihnen mittlerweile in den Internierungslagern geht», so die Botschaft der libyschen Behörden, die nichts an ihrem Umgang mit Migranten ändern wollen, aber bereits neun Lager im Zuge internationaler Empörung schließen mussten. Dass die UN-Organisationen Journalisten hier mit allen Migranten frei reden lassen, ist demnach kein Zufall.

In europäischen Flüchtlingscamps werden nur Gespräche mit ausgewählten Flüchtlingen zugelassen, was zum einen dem Schutz der Menschenwürde, zum anderen aber auch der Inszenierung humanitärer Hilfsbereitschaft der EU dient – diese jedoch wegen des «Dublin»-Regimes und der gescheiterten Flüchtlingsumverteilung vor allem von Griechenland und Italien geschultert wird. Im «Tarek al-Matar» haben aber nicht die EU oder die UNO die Zügel in der Hand, sondern die libysche Regierung oder Milizen. Und so stört sich niemand daran, wenn man die ausschließlich schwarzen Menschen im Lager anspricht und interviewt.

Unhaltbare Zustände sind offensichtlich

Die unhaltbaren Zustände sind offensichtlich. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR und die internationale Organisation für Migration (IOM) können nur Schadensbegrenzung leisten. Sie haben nicht einmal einen festen Sitz in den etwa 22 libyschen Internierungslagern. Sie müssen zwischen ihnen hin- und herpendeln. Dort, wo Milizen und Kriminelle das Sagen haben, wird auch ihnen der Zugang verweigert. Die Zustände sollen bestialisch sein. Aber selbst im «Vorzeige»-Lager scheint es alles außer rosig zuzugehen.

«Libyen hat mir viele Schmerzen bereitet. Jeder hier im Internierungslager ist müde», tröpfeln die Silben aus Abdels Mund. Man muss ihm Fragen mehrere Mal auf Französisch stellen, bis er sie wahrnimmt. «Ich habe drei Jahre lang in Libyen gelebt. Ich habe gearbeitet, dann wieder nicht, bis ich hierher gebracht wurde.» Er traut sich aber nicht, zu erzählen, wie er im Lager gelandet ist. Ihn beschäftigt nur eins: seine Familie. «Ich wurde von meiner Familie getrennt. Meine Frau ist mit unserem Kind drüben im anderen Teil des Lagers.» Es ist keine Show, kein druckreifer Diskurs. Ein (lebens)müder Mensch bettelt fast still um Aufmerksamkeit.

Frauen und Männer leben in unterschiedlichen Bereichen

Im «Tarek al-Matar» werden die Frauen und Männer voneinander getrennt. Sie leben in unterschiedlichen Bereichen, was wohl letztlich auch dem Schutz der Frauen dient, aber mit Blick auf die soziale Kohäsion und das Wohlbefinden der Familien nur wenig förderlich ist. Einen kleinen Lichtblick haben die Menschen dennoch im Lager. «Ich bin nicht ganz alleine. Es sind auch noch andere Menschen aus Mali hier», erzählt Abdel. Danach schweigt er. Andere Männer tummeln sich um ihn herum und wollen auch zu Wort kommen. Er kann sich nicht gegen sie durchsetzen. Vielleicht will er es auch gar nicht.

«Ich kam zum Überqueren.» Zum Überqueren? «Nach Europa.» Alpha Conny stammt aus Niger. Er hat sich neben Abdel an die Mauer im libyschen Elendslager geklammert. Er redet einfach drauf los. Auch er hat keine Kraft mehr. Seine Augen sind feuerrot. Man darf ihn nicht unterbrechen. Zu schnell verliert er den Faden. Seine Erzählung ist teilweise wirr. «Ich bin mit meinen Kindern hier.» Seit einem Monat halte man ihn und seine Kinder hier im «Tarek al-Matar» fest. Im Gegensatz zu vielen anderen ist er aber kein Wirtschaftsflüchtling. «Ich kann nicht nach Hause zurückkehren. Es gibt für mich kein Zurück nach Niger. Ich habe mit der Familie meiner Frau Probleme.»

Keine eindeutigen Antworten

Wenn Abdel von seiner (Ex-)Frau spricht, nennt er sie «Madame». Was denn das Problem mit «Madame» und der Familie sei? Er will nicht antworten. Vielleicht hat er seine Kinder gegen den Willen seiner Frau entführt, vielleicht ist nur ein Familienstreit eskaliert. Es ist wie bei so vielen Fragen rund um Migration und Flucht in Libyen: Eindeutige Antworten scheint es nicht zu geben.

Wieso Alpha denn mit seinen Kindern im Internierungslager gelandet sei. «Die Polizei hat uns festgenommen. Es gab Araber, die gesehen haben, dass wir angekommen sind. Sie haben uns verraten. Dann wurden wir festgenommen.» Es ist ein roter Faden, wenn man sich mit den Menschen in den Lagern unterhält. Schwarze werden in Libyen systematisch diskriminiert – ob sie nun legal oder illegal eingereist sind.

Von der Familie getrennt

Auch Alpha muss wie Abdel getrennt von seinen Kindern leben. «Die Kinder sind drüben alleine, ich hier.» Doch gerade Kinder und Frauen sucht man bei der Visite im «Tarek al-Matar» vergebens. Auch Kranke sieht man nicht. Nur ausgewählte gesund wirkende Frauen kommen zu Wort. Bei den Männern sieht es ähnlich aus. Doch hier lautet die Frage: Wenn die hustenden, leblos und apathisch wirkenden Männer die Vorzeigemigranten sind, wie steht es um die wirklich kranken Menschen und wie werden sie behandelt?

Alpha stammelt immer wieder die gleichen Sätze. Auf fast jede Frage folgt eine ähnliche Antwort. Er mag körperlich und auf den ersten Blick gesund wirken, sein Innenleben und die Psyche scheinen jedoch arg gelitten zu haben. Von traumatisiert zu sprechen, wäre untertrieben. «Ich muss hierbleiben. Wir sind in den Händen der Polizei. Wenn sie mich in mein Land zurückbringen, werden sie mich töten.»

«Hier gibt es kein Gesetz»

Ob es stimmt, kann niemand beweisen. Vielleicht sagt Alpha es, um in Libyen bleiben zu können. Sein vermeintlicher Traum von Europa ist noch nicht ausgeträumt. Doch Alpha weiß, dass seine Lage im Internierungslager aussichtslos ist. «Hier gibt es kein Gesetz. Wenn du schwarz bist, nehmen sie dich fest und sperren dich ein – oder sie schicken dich nach Hause.» Das libysche Militär, ein bunt zusammengewürfelter Haufen von unterschiedlich gekleideten Milizen, bemüht sich zwar während der ganzen Visite im Lager, mit den wenigen Kindern zu spielen, Frauen zuzuhören und gute Laune zu verbreiten – doch sobald die große Politik außer Reichweite ist, zeigt es sein wahres Gesicht.

Der Soldat einer graublau uniformierten Miliz steht neben einer Afrikanerin. Auf seiner Brusttasche steht demonstrativ «Police». Wessen Polizei, ist unklar. Offiziell gehört er zum Militär. Das verstehe, wer wolle. Er fühlt sich unbeobachtet. Die offizielle Delegation besichtigt einen anderen Teil des Lagers. Der Soldat ist nur noch von dunkelhäutigen Menschen und Arabern umgeben. Das Spektakel kann aus nächster Nähe verfolgt werden.

Die afrikanische Frau weint und geht in die Knie. Er schreit sie an. «Sudan, Sudan, Sudan.» Es wirkt surreal, fast stereotyp: Der herzlose Milizionär, der nicht einmal mit einer weinenden Frau Mitleid hat. Eine weitere Frau stößt dazu und beruhigt ihn. Er zeigt immer noch mit dem Finger auf die weinende Frau, lässt aber von ihr ab, als er den Beobachter erblickt. Er gibt sich plötzlich verständnisvoll. Ein bisschen Kopfgenicke und gut ist. Die Situation passt zu Alphas bitterer Bilanz: «Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel. Kriegen sie dich oder kriegen sie dich nicht?»

Norbert Muhlenbach
8. Februar 2018 - 12.19

Nicht vergessen, Luxemburg ist Mitglied der NATO........Fluechtlingslager sind eine andere Welt

Scholnier
8. Februar 2018 - 8.05

Was wäre gewesen wenn ? Luxemburg hätte auf seine in den letzten Jahren getätigten Militärausgaben verzichtet.Diese Gelder in die Versorgung der Flüchtlingslager gesteckt um ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen ,andererseits landwirtschaftliche, handwerkliche Betriebe in diesen von Armut betroffenen Länder geschaffen umso die Landflucht zu verhindern.Schwerter zu Pflugscharen. Luxemburg in der Vorreiterrolle des Humanismus, Werbung die ein "Nation Branding" nicht bringt.Unser Staatsminister hätte sagen können:"Ech sin houfreg....."