Es war genau vor einem Jahr, als Italien ein hochumstrittenes Flüchtlingsabkommen mit Libyen einleitete. Die Bilder von Booten voller Migranten mit angsterfüllten Gesichtern sind spätestens seit dem Sommer seltener geworden. Doch für viele Italiener gibt es immer noch viel zu viele von «denen», von den «clandestini», von den «extracommunitari» – also von den «illegalen» Einwanderern vor allem aus Afrika.
Diese Angst – oft ist es Ablehnung – hat nun mitten im Wahlkampf ein neues Gesicht bekommen: Luca Traini, ein Mann der in der Kleinstadt Macerata in der Region Marken aus dem Auto auf mehrere Migranten geschossen hat. «Rassenhass» lautet die Anschuldigung. Den Mord an einer 18-Jährigen wollte er rächen, so Trainis Version, denn die junge Frau soll von einem Nigerianer zerstückelt und in zwei Koffer gesteckt worden sein. Der Fall hat dem Thema Migration im Wahlkampf neue Brisanz verschafft.
Einwanderung als wichtiges Wahlkampf-Thema
Es handelt sich eben nicht um einen Einzelfall, um einen «Geistesgestörten», wie Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi voll im Wahlkampfmodus erklärte. Denn Berlusconi selbst nannte die Anzahl illegaler Migranten eine «soziale Bombe», die kurz vorm Explodieren sei. Schließlich würden die Migranten ja gern Straftaten begehen.
Der Chef der Forza Italia ist im Wahlkampf ein Bündnis mit ausländerfeindlichen Parteien wie der Lega eingegangen – in Umfragen liegt die Allianz vorne. Die Rechtspopulisten sehen einzig die unkontrollierte Einwanderung als Grund für eine solche Tat wie in Macerata – die Schuld daran schieben sie denjenigen zu, die das Land «mit illegalen Einwanderern gefüllt haben», sprich: der sozialdemokratischen Regierung. Ähnliche Taten könnten folgen.
Die Atmosphäre ist einen Monat vor der Wahl am 4. März vergiftet, die mächtige katholische Kirche hat vor Angstmacherei und Rassismus gewarnt. «Fast alle bestätigen, dass Einwanderung neben der wirtschaftlichen Lage das wichtigste oder zweitwichtigste Thema ist», sagt Matteo Villa vom Think Tank ISPI. Der Versuch der sozialdemokratischen Regierung, das Problem nach dem Sinken der Ankunftszahlen vom Radar zu nehmen, sei gescheitert. «Es reicht ein kleiner Anstieg der Ankünfte, um wieder von einer Krise zu sprechen.» Nach einer Umfrage für die Zeitung La Repubblica geben 40 Prozent an, dass sie Migranten für die öffentliche Sicherheit als Gefahr sehen.
Das Motto: «Italiener zuerst»
Italien ist alleine wegen der geografischen Lage im Mittelmeer besonders von der Migrationskrise betroffen. Bei einer Migrationskonferenz wurde am Dienstag mit afrikanischen Transitländern beraten, wie es gelingen kann, dass der Zustrom nicht wieder zunimmt. Der Großteil der im Mittelmeer geretteten Migranten wird nach Italien gebracht. 2017 waren das mehr als 119.000. Aber zum Vergleich: In Deutschland wurden im vergangenen Jahr mehr als 186.600 neu ankommende Flüchtlinge registriert.
Es hilft wenig, wenn der italienische Außenminister Angelino Alfano auf der Migrationskonferenz vor Populismus warnt – und gleichzeitig vor IS-Kämpfern, die per Flüchtlingsboot nach Italien gelangen könnten. Im Gegenteil, er verschafft wohl dem politischen Gegner Zulauf.
Auf der Welle der Ausländerfeindlichkeit reitet vor allem Lega-Chef Matteo Salvini. Die Partei, die einst nur im reichen Norden stark war, weil sie die Abspaltung vom armen Süden wollte, hat sich unter Salvinis Führung Fremdenhass auf die Fahnen geschrieben. So will sie auch im Süden punkten. «Italiener zuerst» heißt Salvinis Motto – in Anlehnung an das Motto seines Vorbilds Donald Trump «America First».
Angstmacherei oder richtige Kritik?
Salvini ließ offensichtlich kalt, dass Traini bei den Kommunalwahlen im vergangenen Jahr für seine Partei kandidiert hatte. In dem aufgeheizten Klima weiß man nicht, ob das der Lega sogar zugutekommen könnte.
Es wird mit falschen Zahlen jongliert, übertrieben, und jede Straftat eines Migranten wird zum Politikum. So spricht Berlusconi stets von mehr als 600.000 «Illegalen» in Italien. Das sind aber lediglich die Zahlen aller angekommenen Migranten seit 2013. Die Zahl derer, die wirklich ohne Aufenthaltsgenehmigung im Land sind, ist geringer, sagte Experte Villa.
Die Regierung von Paolo Gentiloni muss sich, statt nur von «Angstmacherei» zu sprechen, selbst Vorwürfen stellen. Statt die Probleme anzugehen, wurde stets mit den Finger auf Europa und die mangelnde Solidarität gezeigt. Überbordende Bürokratie verhindert oft die Rückführung Illegaler. Migranten hausen oft in besetzten Gebäuden oder lagern in Parks und Bahnhöfen. Sie müssen betteln oder Drogen verkaufen und hinterlassen bei vielen Menschen ein Gefühl der Angst. Das alles trägt zur öffentlichen Wahrnehmung von einer «Invasion» bei – selbst wenn es die rein faktisch nicht gibt.
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