Von Jean Pisani-Ferry (*)
Das diesjährige Weltwirtschaftsforum in Davos hat sich als neuerliche Gelegenheit für US-Präsident Donald Trumps Regierung erwiesen, ihre übliche verbale Inkontinenz unter Beweis zu stellen und Schockwellen durch die Weltwirtschaft zu schicken. Diesmal gab
es zwei Ursachen.
Die erste Erschütterung ging von US-Finanzminister Steven Mnuchin aus, der mit mehr als zwei Jahrzehnten strenger Disziplin brach, indem er suggerierte, dass ein schwächerer Dollar in Amerikas Interesse wäre. Die zweite ging von Handelsminister Wilbur Ross aus, der sich auf die Aussicht zu freuen schien, einen Handelskrieg zu führen und zu gewinnen.
Zur Abwechslung war es Trump selbst, der die Ruhe wiederherstellte, indem er abstritt, dass die USA eine Strategie zulasten ihrer Nachbarn verfolgen. Aber das tat er erst, nachdem die Aussagen seiner Minister geharnischte Reaktionen seitens der internationalen Partner hervorgerufen hatten.
Wenn Trumps erstes Amtsjahr ein Hinweis auf Kommendes ist, gibt es wenig Grund, sich auf eine stabilere Führung der USA in Wirtschaftsfragen zu freuen. Ein Jahr nach seiner Amtseinführung brachte Davos eindrucksvoll in Erinnerung, dass Trump bisher alles andere als normalisiert ist.
Die Regierung Trump ist mit Sicherheit nicht die erste, die eine Politik des „America first“ verfolgt. Aufgrund ihres nach innen gewandten politischen Systems und der Beharrungskraft starker isolationistischer Strömungen waren die USA schon immer abgeneigter als die europäischen Länder, internationale Verpflichtungen einzugehen oder einzuhalten. Die Ablehnung der Charta von Havanna (einem frühen Versuch zur Gründung einer globalen Handelsorganisation) im Jahr 1948, die Feindseligkeit des US-Kongresses gegenüber den Bretton-Woods-Organisationen oder die Weigerung von Präsident George W. Bush, das Kioto-Protokoll zur Bekämpfung des Klimawandels zu unterzeichnen, sind nur einige Beispiele.
Genauso begann der Einsatz rücksichtsloser Maßnahmen zur Verteidigung von US-Interessen nicht mit Trump. Präsident Richard Nixons einseitige Entscheidung zur Aufgabe des Goldstandards 1971 versetzte dem internationalen Währungssystem einen schweren Schlag. Das monetaristische Experiment der US Federal Reserve Ende der 1970er führte zur lateinamerikanischen Schuldenkrise. Beim Druck auf Japan in den 1980n wurden die etablierten Handelsregeln umgangen. Und im Gefolge der globalen Finanzkrise von 2008 setzte die Fed die quantitative Lockerung um – Protesten zum Trotz, dass diese es den USA erlaubte, eine Deflation zu exportieren.
Trotzdem ist diesmal etwas anders. Von dem Moment an, an dem die USA – symbolisiert durch die Unterzeichnung der Atlantik-Charta im Sommer 1941 – die globale Führung von Großbritannien erbten, bis zur Wahl Trumps 75 Jahre später konnte kaum ein Zweifel bestehen, dass die Vereinigten Staaten letztlich die Verantwortung für das internationale Wirtschaftssystem trugen. Je nach Zeitpunkt und politischen Umständen weichten sie manchmal die Regeln auf oder halfen, sie durchzusetzen; sie agierten manchmal eigennütziger und manchmal großzügiger, und sie verfolgten teilweise enge, kurzfristige Interessen und dann wieder breit gefasste, langfristige Ziele. Doch egal, was die USA taten: Sie blieben der dominante Teilhaber des globalen Systems. Und die übrige Welt wusste das ganz genau.
Es gab starke geopolitische Gründe für diese Haltung. Bis zum Ende des Kalten Krieges betrachtete das US-Establishment das System von Regeln und Organisationen, das die institutionelle Infrastruktur der internationalen Handels-, Investitions- und Finanzaktivitäten bildete, als unverzichtbar für den Wohlstand der „freien Welt“ und die Eindämmung des sowjetischen Einflusses. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion diente das System als strategisches Mittel zur Einbindung der ehemaligen kommunistischen Länder in das internationale kapitalistische Wirtschaftssystem.
Lotse von Bord gegangen
Schließlich dann wurde das Weltwirtschaftssystem Anfang der 2000er-Jahre als die beste Plattform betrachtet, um Chinas Aufstieg zu begegnen. China wurde eingeladen, dem Club beizutreten – mit dem stillschweigenden Versprechen, dass es, wenn es erst einmal gelernt habe, sich an die Regeln zu halten, dabei würde mitwirken können, sie zu ändern. Es würde eine Chance haben, sich an der Lenkung des internationalen Systems zu beteiligen und allmählich an Macht und Einfluss zu gewinnen. Chinas Beitritt zur Welthandelsorganisation im Jahr 2001 war dabei ein wichtiger Meilenstein.
Was sich mit der Regierung Trump grundlegend geändert hat, ist nicht, dass sie egoistischer agiert als ihre Vorgänger, sondern die Tatsache, dass sie nicht überzeugt scheint, dass eine Stützung des globalen Systems den strategischen Interessen der USA dient. Und ganz wichtig: Sie scheint nicht überzeugt, dass die Einbindung Chinas in dieses System und das Angebot eines Platzes mit am Tisch der beste Weg sind, um der wachsenden Wirtschaftsmacht des Reichs der Mitte Rechnung zu tragen.
Für die übrige Welt lautet die zentrale Frage nun, ob das globale System robust genug ist, um den Rückzug seines Schöpfers zu überleben. Oberflächlich betrachtet scheinen die internationalen wirtschaftlichen Auswirkungen Trumps bemerkenswert harmlos. Die Sorgen über Währungskriege sind abgeklungen. Die Weltwirtschaft ist nicht in eine protektionistische Spirale abgeglitten. Selbst der Rückzug der USA vom fragilen Pariser Klimaabkommen hat nicht zu dessen Zusammenbruch geführt.
Im Gegenteil: Alle anderen Staats- und Regierungschefs – angefangen beim chinesischen Präsidenten Xi Jinping – haben ihr Bekenntnis zum Pariser Abkommen bekräftigt, und 174 Länder haben es offiziell ratifiziert. Schwerwiegender scheinen aufgrund von Streitigkeiten über das Nuklearabkommen mit dem Iran und die Unsicherheit über den Umgang mit den nordkoreanischen Raketentests die Bedenken im Bereich der Sicherheit.
Doch die Ansicht, dass zumindest die Wirtschaft auf sicherem Boden stünde, ist gefährlich fehlgeleitet, weil sie davon ausgeht, dass die globalen Wirtschaftsregeln und -institutionen das Äquivalent einer Wirtschafts- und Finanzverfassung geschaffen hätten. Tatsächlich bleibt das System zu unvollständig, um sich selbst zu regulieren, und damit es funktioniert, sind ständige Steuerungsmaßnahmen und häufige freiwillige Initiativen erforderlich. Dies ist der Grund, warum informelle Gruppen wie die G7 und die G20 unverzichtbar bleiben: Sie sorgen für den nötigen politischen Antrieb. Doch auch sie sind entscheidend von der Unterstützung und Führung der USA abhängig.
So waren es beispielsweise nicht die Regeln des Systems, die eine Antwort auf die Krise von 2008 boten; es war eine Reihe von Ad-hoc-Initiativen – Stillstand beim Handelsprotektionismus, koordinierte Bankenrettungen, ein globales Konjunkturprogramm und die Bereitstellung von Dollarliquidität durch Swap-Linien, um nur die wichtigsten zu nennen –, die den USA viel verdankten. Ohne ihre Führung und die Initiativen von wichtigen Akteuren wie Großbritannien und Frankreich wäre die Krise sehr viel schlimmer ausgefallen.
Es stimmt, dass andere wichtige Akteure – Europa, China, Indien und Japan – irgendwann in der Lage sein könnten, eine globale Führungsrolle auszuüben. Doch noch fehlt es ihnen am Willen, an den Fähigkeiten und am Zusammenhalt, die dafür erforderlich wären. Darum sollte sich die Welt keinen Illusionen hingeben. Das Schiff auf Kurs zu halten, nachdem der Lotse von Bord gegangen ist, ist eine Sache; es im Sturm zu steuern, eine ganz andere. Wir wollen hoffen, dass der nächste Sturm nicht allzu bald ausbricht.
* Jean Pisani-Ferry ist Professor an der Hertie School of Governance (Berlin) und der Sciences Po (Paris) sowie Inhaber des Lehrstuhls Tommaso Padoa-Schioppa am Europäischen Hochschulinstitut. Copyright: Project Syndicate 2018. Aus dem Englischen von Jan Doolan. www.project-syndicate.org.
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