Zum Galgenhumor in den sozialen Medien Ägyptens gehörte zuletzt auch das Video eines 100-Meter-Laufs. Es stammt aus dem Film «Der Diktator» von Komiker Sacha Baron Cohen, der dort als arabischer Alleinherrscher mit Militäruniform auftritt. Bei besagtem Wettrennen startet er als Erster, feuert danach die Startpistole selbst ab und schießt aufholende Konkurrenten nieder. In Ägypten verbreitete sich der Ausschnitt als Twitter-Nachricht eines bekannten Bloggers viral. Dazu hatte er geschrieben: «Ägyptens Präsidentschaftsrennen».
Obwohl Cohen als Diktator einen langen Bart trägt, erinnerte er die mehr als 1.000 Nutzer, die das Video teilten, offensichtlich an den akkurat rasierten ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi. Der autoritäre Herrscher und wichtige Partner des Bundesregierung will als Präsident wiedergewählt werden und versprach in einer Rede mit der für ihn typischen, ruhigen Stimme, dass die Abstimmung Ende März «frei und transparent» ablaufen werde. Es solle gleiche Chancen für alle Kandidaten geben.
Keine echten Gegenkandidaten
Die Realität zwei Monate vor der Wahl ist, dass es nicht einmal echte Gegenkandidaten gibt. Das liegt nicht daran, dass es kein Interesse am höchsten Staatsamt gibt. Vielmehr wurden alle namhaften Konkurrenten schon vor einer möglichen Registrierung aus dem Weg geräumt – und zwar in den Augen des Ägypten-Experten Stephan Roll von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) auf so offensichtliche Weise, dass er den «Tiefpunkt in der politischen Entwicklung Ägyptens» erreicht sieht.
Vor genau sieben Jahren, Ende Januar und Anfang Februar 2011, begann in Kairo und anderen Städten Ägyptens, die Hoffnung auf Veränderung zu wachsen. Vor allem die jungen Ägypter zogen auf den Tahrir-Platz, durchbrachen Absperrungen der Polizei und stürzten Langzeitherrscher Husni Mubarak – in der Hoffnung, künftig an der Gestaltung des Landes teilhaben zu können.
Diese Hoffnungen haben sich zerschlagen. Bei der Präsidentschaftswahl 2018 wurde der Kandidat und ehemalige Armee-Stabschef Sami Annan wegen angeblicher Verfehlungen und Dokumentenfälschung festgenommen. Seit einer Woche ist unklar, wo er festgehalten wird. Der Menschenrechtsanwalt Chaled Ali zog sich aus dem Rennen zurück. Seinen Angaben zufolge wurden Mitglieder seines Wahlkampfteams festgenommen.
Ex-Ministerpräsident unter Hausarrest
Ex-Ministerpräsident Ahmed Schafik wurde nach seiner Wiederkehr aus dem Exil nach Angaben der New York Times wochenlang in einem Hotel quasi unter Hausarrest gestellt. Medien berichteten, er habe seine angekündigte Kandidatur auf Druck der Behörden gestoppt. Der Neffe des ehemaligen Staatschefs Anwar al-Sadat, Mohammed Anwar al-Sadat, wollte sich nach eigenen Aussagen nicht aufstellen lassen, weil er sich um die Gesundheit seiner Anhänger sorgte.
Was bleibt, ist neben dem großen Favoriten Al-Sisi ein Kandidat, der kurz vor Ablauf der Frist auftauchte und gegen Al-Sisi antritt. Die Nominierung von Mussa Mostafa Mussa von der regierungsnahen Partei Al-Ghad nennt der Ägypten-Experte Roll eine «Verzweiflungstat» der Führung, damit Al-Sisi zumindest auf dem Papier einen Gegner hat. Die Abstimmung Ende März wird damit – wie schon unter Mubarak und anderen Vorgängern Al-Sisis – zur Farce.
Aus der ägyptischen Opposition spricht derweil die schiere Verzweiflung. «Es gibt praktisch keinen Weg, um etwas auf demokratische Art zu verändern», sagt Masum Marsuk, der unter Mubarak Vertreter des Außenministers und Botschafter unter anderem in Finnland war. Obwohl er gar keiner Partei mehr angehöre, sei er – wie seine Familie – von den Al-Sisi-treuen Medien angegriffen worden. Treffen von Regierungsgegnern seien auch daran gescheitert, dass kein Hotel den Oppositionellen Räume zur Verfügung stellen wollte.
Eine Reihe von Al-Sisi-Kritikern hat angesichts der ägyptischen Verhältnisse zum Boykott der Wahl aufgerufen. Trotz der Wut vieler Bürger wegen der schmerzhaften, aber notwendigen Wirtschaftsreformen der Regierung erwartet Fachmann Roll aber keine größeren Proteste in Ägypten. Die Regierung am Nil ist auf diese nicht mehr so unvorbereitet wie noch unter Mubarak.
Und in zwei Monaten, daran zweifelt am Nil eigentlich niemand, wird Al-Sisi seine zweite Amtszeit einleiten. Der Verfassung zufolge müsste es seine letzte sein. Ob es so sein wird, bleibt abzuwarten.
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