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Aufbruch mit mulmigem Gefühl

Aufbruch mit mulmigem Gefühl

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Von unserem Korrespondenten Stefan Vetter

Umringt von zahlreichen Kameras und Mikrofonen läuft Robert Habeck am Bühnenrand auf und ab. Zwischendurch schaut er immer wieder nach oben auf die große Leinwand. Als sein Wahlergebnis dort endlich aufleuchtet, huscht ein Lächeln über sein Gesicht. Keine Triumph-Pose, eher stille Freude. Wohl auch darüber, dass es „nur“ 81 Prozent geworden sind.

Der Hype um Habeck kannte ja zuletzt kaum noch Grenzen. Als eine Art grünen Messias hatte man ihn schon gefeiert. Doch Habeck graut vor dem Schulz-Schicksal. Er wisse, dass da jetzt „was Neues“ kommt. „Ich habe aber auch ein mulmiges Gefühl vor der Herausforderung“, bekennt der 48-jährige Umweltminister aus Schleswig-Holstein.
Zeitenwende bei den Grünen. Alte und vertraute Parteiobere räumen das Feld. Zum Auftakt des Delegiertentreffens in Hannover werden Simone Peter und Cem Özdemir würdig verabschiedet. Die eine stand vier Jahre lang an der Spitze der Grünen, der andere sogar zehn. Wirklich harmoniert haben die Parteilinke und der Ober-Realo allerdings nie.

Zwei Realos, keine Linken

Mit Habeck und der unmittelbar vor ihm gewählten Bundestagsabgeordneten Annalena Baerbock aus Brandenburg soll nun alles besser werden. „Die rockt die Hütte“, begeistert sich eine Delegierte über Baerbock. „Der gibt der Partei ein Gesicht für neue Zeiten“, freut sich eine andere über Habeck.

Dabei ist die Wahl der beiden Realos ins höchste Parteiamt nicht unbedingt ein Selbstläufer. Unklar bleibt zunächst, wie stark der linke Flügel der Grünen noch ist. Denn während Habeck ohne einen Gegenkandidaten antritt, bekommt es Baerbock mit einer erfahrenen Linken, der Fraktionschefin im niedersächsischen Landtag, Anja Piel, zu tun.
Dem Temperament und rhetorischen Talent von Baerbock hat Piel allerdings kaum etwas entgegenzusetzen. Und dann kommt auch noch Pech hinzu. Bei ihrer Bewerbungsrede versagt der Niedersächsin immer wieder die Stimme.

Baerbock dagegen redet, als ginge es um ihr Leben. Sie beschwört die grüne Klimapolitik, pocht auf Radikalität für ihre Durchsetzung, wettert gegen die Unbarmherzigkeit beim Familiennachzug von Flüchtlingen und lässt sich auch sonst nicht die Butter vom Brot nehmen: „Wir wählen hier heute nicht nur die Frau an Roberts Seite, sondern die neue Bundesvorsitzende der Grünen“, ruft Baerbock, und der Saal johlt vor Begeisterung. Am Ende kann die 37-Jährige fast zwei Drittel der Delegiertenstimmen auf sich vereinen – für eine Kampfkandidatur ein sehr gutes Ergebnis.

Robert Habeck indes hat dem Parteitag viel zugemutet. Seine schon länger gemachte Ansage, nur zu kandidieren, wenn ihm die Grünen eine Übergangsfrist von wenigstens acht Monaten einräumen, um sein Ministeramt in Kiel geordnet zu übergeben, sorgt auch noch auf offener Bühne für Frust. Muss doch eigens für ihn die Parteisatzung geändert werden. „Ich lasse mich von dir nicht erpressen“, schimpft deshalb eine Rednerin aus Nordrhein-Westfalen.

Grün für alle attraktiv machen

Doch es ist ausgerechnet das linke Urgestein Jürgen Trittin, der für Habeck in die Bütt geht und das einst hehre Partei-Prinzip der strikten Trennung von Amt und Mandat infrage stellt. Die Grünen sollten doch „aufhören, so zu tun, als gäbe es eine unbefleckte Tätigkeit in der Partei, und alles was Regierung ist, ist falsch“, donnert Trittin. Nach einigem Wirrwarr – wegen falscher Wahlzettel muss der Wahlgang wiederholt werden – wird die Satzungsänderung schließlich sogar mit deutlich mehr Stimmen als der erforderlichen Zweidrittel-Mehrheit durchgewinkt.

Damit ist der Weg für Habeck frei. Seine Bewerbungsrede gerät zu einer philosophischen Betrachtung über gesellschaftlichen Zusammenhalt und der Vision, grünes Gedankengut für alle Bevölkerungsschichten attraktiv zu machen. Er fordert aber auch „Umverteilung“ und eine „härtere Besteuerung von Kapital und Vermögen“. Es sind große Linien, die Habeck da zeichnet. So kennt ihn die Partei. So mag sie ihn. „Habeck steht für die Sehnsucht nach Regieren und Gestalten“, bringt es ein Delegierter auf den Punkt.

Bleibt die Frage, ob sich der linke Partei-Flügel mit dem Realo-Duo an der Spitze auf Dauer so einfach abfindet. Denn abgesehen von einem kleinen Zwischenspiel Anfang der 2000er-Jahre, als die Super-Realos Renate Künast und Fritz Kuhn die Partei führten, war die grüne Chefetage immer nach dem Links-rechts-Muster gestrickt.

Im Realo-Lager geht man davon aus, dass die Linken zum Ausgleich für den personellen Einflussverlust mehr linke Inhalte einfordern werden. Gelegenheit dazu gibt es bald reichlich – bis 2020 wollen die Grünen ein neues Grundsatzprogramm erarbeiten.