Nach 55 Jahren deutsch-französischer Freundschaft ist es nun auch mal gut mit all der Sonntags-Prosa. Da ist alles gesagt, manchmal bis zum Überdruss. So wie das Reden über Europa manchmal auch Überdruss erzeugt. Es geht nicht mehr um das Schließen tiefer Wunden; seit dem Krieg sind zwei neue Generationen gewachsen. Die deutsch-französische Freundschaft muss konkret sein, sie muss den Menschen etwas bringen. So wie Europa auch.
Von unserem Korrespondenten Werner Kolhoff
Bundestag und Nationalversammlung haben gestern dazu einen bemerkenswerten Schritt getan. Statt eine Gedenkstunde zu veranstalten, haben sie in getrennten Sitzungen beide beschlossen, den Elysée-Vertrag zu erneuern, der die deutsch-französische Freundschaft seit 1963 begründet. Nicht im Grundsatz. Sondern in vielen Details. Aus dem historischen Versöhnungsprojekt soll noch viel stärker als bisher ein Projekt des Alltags werden.
Und wenn man das Dokument liest, staunt man darüber, was da alles noch verbessert werden kann: die Verkehrsverbindungen, gemeinsame Energie- und Klimapolitik, Anerkennung von Berufsabschlüssen, die Verbreitung der beiden Sprachen, alle Fragen der Sozial- und Familienpolitik, die Bewältigung der Zuwanderung, der gemeinsame Wirtschaftsraum, zahlreiche Projekte mehr. Die Grenzen sind schon lange gefallen, doch alle Möglichkeiten der Kooperation noch längst nicht genutzt.
Zwei Wermutstropfen
Es gibt zwei Wermutstropfen nach diesem ansonsten sehr würdigen Ereignis: Deutschland hat noch einen direkten großen Nachbarn, nämlich Polen. Aber eine ähnlich vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der dortigen Regierung liegt in weiter Ferne. Und ein ähnlich gutes Verhältnis zwischen den Bürgern beider Länder im Alltag auch. Ziel muss es auch in Richtung Polen sein, das Verhältnis irgendwann so zu vertiefen, dass ihm kurzzeitige politische Irrungen der einen oder anderen Seite nichts mehr ausmachen können.
Der zweite Wermutstropfen: Erneut haben CDU und CSU die Linksfraktion von einem gemeinsamen Vorstoß des Parlaments ausgeschlossen, aus prinzipieller Ablehnung dieser Partei. Diesmal war das besonders dumm, denn die Linke ist keine nationalistische Anti-Europa-Partei wie die AfD. Sie will nur ein sozialeres Europa. So schwächt man ohne Not das Lager der Pro-Europäer.
Impuls für die EU
Der gestern beschlossene Vorstoß für eine neue Ebene der deutsch-französischen Zusammenarbeit ist zur richtigen Zeit auch ein starker Impuls für die EU. Deutschland und Frankreich müssen die kriselnde EU jetzt zu einem Aufbruch führen, wenn es nicht dem Zerfall und einem neuen nationalen Wahn anheimfallen soll, der sich mit den Rechtspopulisten überall schon breitmacht.
Emmanuel Macron, nicht Angela Merkel, hat dazu Vorschläge gemacht. Sollten die Verhandlungen über eine große Koalition gelingen, gäbe es dafür in Berlin einen Partner. Denn was dazu im Sondierungspapier steht, lässt hoffen, dass auch Deutschland seine bisherige Europabremse lockert. Endlich.
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