Mit Studenten aus über 100 Ländern und Dozenten, die aus mehr als 20 unterschiedlichen Staaten kommen, ist die Uni Luxemburg stolz auf ihre Internationalität. Wie viel Platz bleibt bei dieser breiten Ausrichtung für die Luxemburger Wissenschaftler? Das Tageblatt hat nachgefragt. Den Auftakt unserer Porträtserie macht Professor Dr. Fernand Anton. Der Biopsychologe erforscht den Schmerz und das Schmerzempfinden.
Von Claude Wolf
„Ich will nicht untersuchen, was der einzelne Mensch an Schmerz aushalten kann. Das wäre auch ethisch nicht vertretbar. Mir geht es vielmehr darum, zu analysieren, wie Schmerzinformationen im menschlichen Organismus verarbeitet werden und durch welche Faktoren die Schmerzempfindungen verändert werden können.
Wir testen in diesem Zusammenhang zum Beispiel den Einfluss von Stress auf die Schmerzsensibilität und untersuchen durch die Verabreichung von Placebos (Scheinarzneien ohne Wirkstoff), welche Rolle psychologische Faktoren bei der Schmerzwahrnehmung spielen. Im Rahmen unserer Disziplin ‹biologische Psychologie› interessieren uns dabei nicht nur psychologische Messwerte, sondern wir erforschen auch, in welchen Bereichen des Gehirns die entsprechenden Verarbeitungsprozesse stattfinden und welche Botenstoffe dabei von den Nervenzellen freigesetzt werden. Das wird in biologischen Labors untersucht.“
Professor Anton ist bei der Erläuterung seiner wissenschaftlichen Arbeiten sehr vorsichtig und betont immer wieder, dass die Forschung am Menschen nur auf nicht-invasiven Beobachtungen basiert, bei denen dem Körper keine Verletzungen zugefügt werden.
Als Psychologe bringt er seine Patienten nicht auf den Operationstisch, sondern in ein Universitätslabor oder in die Röntgenabteilung einer Klinik, wo mit technisch hochentwickelten Gerätschaften wie der Magnetresonanztomografie das Gehirn untersucht wird. „Wir machen das viel gründlicher als eine klassische Untersuchung, weil wir nicht nur strukturelle Aspekte dokumentieren, sondern untersuchen, wie verschiedene Regionen des Gehirns miteinander ‹telefonieren’“, unterstreicht der Professor und betont noch einmal, dass es bei seinen Arbeiten nicht um eine Diagnose bzw. ein Heilverfahren geht, sondern um Grundlagenforschung mit dem Ziel einer möglichst präzisen Analyse des Schmerzempfindens und des Umgangs mit dem Schmerz. Erst in einer weiteren Etappe könne die Weiterentwicklung der Diagnostik und der klinischen Behandlung erfolgen.
Um den Schmerz wissenschaftlich zu erforschen, wird dieser mit kontrollierten Methoden zuerst experimentell ausgelöst und dann gemessen. Danach wird herausgefunden, ob er durch psychologische Einwirkungen abgeschwächt oder verschärft wird. „Stellen Sie sich eine junge Mutter bei einem Autounfall vor. Obwohl sie selbst schwer verletzt ist, wird sie in dieser extremen Stresssituation nach ihren Kindern schauen und darüber die eigenen Schmerzen vergessen. Andere Situationen, zum Beispiel Mobbing, können aber auch zum Gegenteil, nämlich zur deutlichen Verstärkung der Schmerzsensibilität führen“, veranschaulicht Anton das punktuelle und individuelle Schmerzempfinden.
Ausmaß des Leidens
Wissenschaftlich wird er dabei drei Aspekte untersuchen, für die jeweils unterschiedliche Teile des Gehirns zuständig sind: Bei der sensorischen Wahrnehmung des Schmerzes will man herausfinden, wie stark das Schmerzempfinden ist, wie lange es dauert und wo genau es wehtut. Die emotionale Komponente betrifft die Frage nach dem Ausmaß des Leidens und als Letztes kommt die kognitive Evaluierung. Auch hier hat Professor Anton wieder ein praktisches Beispiel, das seine Forschungsarbeit veranschaulicht: Er zeichnet das Bild eines Soldaten, der an der Front verletzt wird. Seine Verletzung ist zwar schmerzhaft, bedeutet jedoch, dass er von der Front wegkommt und damit die unmittelbare Lebensgefahr gebannt ist. Er wird seinen Schmerz demnach anders interpretieren und empfinden als ein Unfallpatient in Friedenszeiten mit vergleichbaren Verletzungen.
Mit seiner Arbeitsgruppe untersucht der Professor nicht nur das Nervensystem, sondern interessiert sich auch für die hormonalen Auswirkungen des Schmerzes (Ausschüttung von Stresshormonen) und für seine Auswirkungen auf das Immunsystem. „Sie hängen alle drei zusammen und beeinflussen sich gegenseitig.“
Diese Schmerzforschung wird zum Teil in Kooperation mit Kliniken betrieben. Neben schmerz- und stressbezogenen Körperreaktionen wie einer Erhöhung des Blutdrucks, der Atemfrequenz und der Muskelanspannung, die im Uni-Labor gemessen werden, wird in Zusammenarbeit mit der Zitha-Klinik mit bildgebenden Verfahren analysiert, wie und wo das Gehirn den Schmerz verarbeitet.
In einem neuen Forschungsprojekt, das vom nationalen Forschungsfonds FNR unterstützt wird, untersucht eine Mitarbeiterin des Professors, Dr. Marian van der Meulen, in den nächsten drei Jahren das Schmerzempfinden bei älteren Menschen, wie sie es einstufen und verarbeiten. „Wir arbeiten dabei in einem ersten Ansatz mit gesunden Menschen“, unterstreicht der Professor.
In einem weiteren Projekt, das in Zusammenarbeit mit der neurochirurgischen Abteilung des „Centre hospitalier“ und einer amerikanischen Firma entsteht, werden chronische Schmerzpatienten beobachtet, denen schmerzhemmende Elektroden am Rückenmark eingepflanzt wurden. „Wir selbst dürfen keine solchen Eingriffe herbeiführen, wir können uns aber durchaus in bestehende Behandlungen einbinden und damit unsere eigenen Erfahrungen bereichern“, sagt der Professor, der durch diese Behandlung erfahren möchte, über welche Mechanismen die neuartige elektrische Stimulationsmethode zu einer Schmerzhemmung führt.
Am Herzen liegt Fernand Anton, der mit einer gewissen Wehmut seinem anstehenden Ruhestand entgegensieht, aber auch eine neue Forschungsrichtung, die sich auf den Einfluss von Stress bei der Geburt (z.B. Trennung von der Mutter bei Frühchen, die viel Zeit im Brutkasten verbringen müssen) auf die Entwicklung des Gehirns, des Hormon- und des Immunsystems auswirkt. Es deutet sich immer mehr an, dass solche frühen Stressbelastungen dieser Systeme zu Umprogrammierungen führen können, die für den Rest des Lebens anhalten, möglicherweise mit negativen Folgen für die seelische Gesundheit und für die Schmerzempfindlichkeit.
Zur Person: Fernand Anton
Der 1954 in Luxemburg-Stadt geborene Fernand Anton studierte Psychologie in Innsbruck, wo er sich von Anfang an für Neurowissenschaften interessierte. Seine Doktorarbeit im Bereich der Schmerzforschung wurde in Heidelberg durchgeführt, wo er zwei Jahre lang als Assistent in der medizinischen Fakultät arbeitete. Nach weiteren zwei Jahren an den „National Institutes of Health“ in Bethesda (Maryland), dem wichtigsten Zentrum für biomedizinische Forschung in den USA, ging der Luxemburger nach Erlangen, wo er 1994 in Physiologie habilitiert wurde.
Aus familiären Gründen wollte Anton gerne zurück nach Luxemburg kommen, wo er zunächst am „Centre hospitalier“, am „CAP Santé“ und später am „Cours universitaire“ arbeitete, bevor er 2003 als Professor für biologische Psychologie zur neu gegründeten Uni Luxemburg kam.
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