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Mit Luxemburger Hilfe in die Stratosphäre

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Auf dem zivilen Teil des militärischen Flughafens in Payerne im Schweizer Kanton Waadt werden große Pläne geschmiedet. Der Schweizer Abenteurer und Flugzeugpilot Raphäel Domjan will eine neue Variante eines „Stratonauten“ ins Leben rufen. Der Ikarus-Jünger möchte als erster Mensch in einem rein mit Solarenergie angetriebenen Flugzeug die Stratosphäre erreichen.

Von Christian Schaack

Raphäel Domjan

Der 46-Jährige wirkt wie ein lockerer Strahlemann mit Surfer-Allüren. Gleichzeitig versprüht Raphäel Domjan eine gewaltige Portion Begeisterungsfähigkeit und eine scheinbar unendliche Sachkenntnis. Er ist das Aushängeschild der SolarStratos-Gesellschaft, der der gebürtige Luxemburger Roland Loos als CEO vorsteht. Um das Vorhaben einleuchtend zu erläutern, werden die Besucher bei SolarStratos zuerst an einem hauseigenen Museum vorbeigelotst. Respektvoll, gar andächtig erläutert Domjan jede einzelne Großtat im Gebiet der solarangetriebenen Fortbewegungsmittel: Solar One, Solar Challenger, Solar Taxi, Sun 21, Planet Solar oder auch Bertrand Piccards Solar Impulse. Mit Piccard ist Domjan eng befreundet und kann so zu jeder Zeit auf dessen Unterstützung zählen.

In eisige Höhen

Dass ein Flug in die Stratosphäre ein riskantes Unterfangen ist, liegt auf der Hand. In der anvisierten Flughöhe herrschen Temperaturen von bis zu minus 70 Grad und es gibt neben extrem lebensbedrohlichen Druckverhältnissen zu wenig Sauerstoff.

Was bedeutet, dass der eidgenössische Rekordversuch auf technische Innovationen angewiesen ist. Nachdem zuletzt der Weltraumanzug in realistischen Bedingungen vom Piloten bei der russischen Firma Zvedzda getestet wurde, stehen nun technische Optimierungen an. Welche Herausforderungen und Gefahren noch auf die Solar-Abenteurer zukommen, das verriet Raphäel Domjan dem Tageblatt in einem Exklusivinterview.


Tageblatt: Herr Domjan, man kann Sie als Abenteurer bezeichnen. Doch welche Berufe haben Sie bis hierhin ausgeübt?
Raphäel Domjan: Ich habe eine Mechanikerlehre bestanden und übte den Beruf einige Jahre aus. Danach war ich Rettungshelfer bzw. Notfallwagengehilfe. Seit 2008 beschäftige ich mich hauptberuflich nur noch mit der Sonnenenergie. Zudem habe ich meinen ersten Segelflug mit 15 Jahren gemacht, ehe ich als 17-Jähriger meinen Flugschein erhielt. Seitdem hat die Fliegerei mich nicht mehr losgelassen.

Weshalb sind die Schweizer so „leistungsstark“ in Sachen Sonnenenergie?
Seit den 90er Jahren wird hierzulande tatsächlich ständig sehr aktiv im Solarbereich geforscht. Da wir ein kleines Land sind, möchten wir wohl gerne die große Welt entdecken. Deshalb kommt auch der Pioniergeist in unserem Wesen nicht zu kurz. Ein elektrisches Auto wurde weltweit zuerst in der Schweiz von einem Radar erfasst und mit einem Strafzettel „belohnt“. Und die Sonnenenergie ersetzt teilweise auch die uns fehlenden Bodenschätze. Zudem wurde das Umsatteln auf grüne Energien politisch abgesegnet: Wir wenden uns in der Schweiz zügig von fossilen Energieträgern ab.

Wie entstand die Idee vom SolarStratos?
An Bord von Planet Solar (auf dem nur mit Solarenergie angetriebenen Katamaran glückte dem damaligen Projektleiter Domjan 2011 die erste Weltumrundung, d. Red.) sahen wir mitten im Pazifik 28 Tage lang nicht das geringste Lebenszeichen. Nachts aber genossen wir eine einzigartige Aussicht auf die Sterne der Milchstraße. So kam mir die Idee: sich den Sternen per Solarflieger nähern. Das war damals nur ein Traum, aber jetzt wird er so langsam zur Realität.

Wie viele Mitglieder zählt das Unternehmen?
Professionelle Mitarbeiter gibt es nur zehn. Dieser Umstand ermöglicht eine effiziente Entscheidungsfindung. Zum Vergleich: Breitling Orbiter kostete zwei Millionen Dollar und wurde von zehn Mitarbeitern auf die Beine gestellt, dagegen verschlang die Solar Impulse 100 Millionen Dollar und hatte 150 Mitarbeiter. Ein kleines Team ist also auch kosteneffizienter.

Wann begann Ihr Abenteuer konkret?
Die Planungen starteten 2014, bevor 2015 mit dem eigentlichen Flugzeugbau begonnen wurde.

Der Solarflieger von Innen

Wie liegen Sie im Zeitplan?
In diesem Sommer möchten wir die 10.000-Meter-Marke knacken, um Bertrand Piccards bestehenden Rekord zu brechen. Daneben gibt es noch eine weitere Weltpremiere, welche wir zeitgleich aufstellen möchten. Diese halten wir jedoch bis dahin geheim. Jedenfalls müssen Spannweite von 24 Metern und ein Gesamtgewicht inklusive Batterien von etwa 350 Kilo reichen. Dieses Gewicht möchten wir noch etwas verringern.

Weshalb einen Höhenrekord in einem Solarflieger?
Es geht um die Einstellung, um den Geist. Höher zu fliegen als ein normales, mit konventionellen Triebwerken betriebenes Flugzeug, ist eine Herausforderung. Da die Luft mit steigender Höhe dem Kerosin weniger Sauerstoff liefert, verlieren die Triebwerke an Effizienz. Bei Solarzellen geht es genau andersrum. Da die Zellen sich auf Meereshöhe auf 70 Grad erhitzen, verlieren sie im Sommer bei 30 Grad Außentemperatur eine Menge Energie. In großer Höhe ist es kalt. Es herrschen eher minus 65 Grad und die Solarzellen geben 18% mehr Energie als auf Meereshöhe. Es gibt jedoch eine reale Unbekannte: In großer Höhe gibt es weniger Feuchtigkeit.

Wir wissen heute nicht, wie sich dies auf die Energieausbeute auswirken wird, wir müssen es halt ausprobieren. Zudem liefern die Sonnenstrahlen rund 1.000 Watt/m² auf Meeresebene, dagegen 1.350 Watt/m² in großen Höhen. Allerdings verlieren wiederum die Flügel und der Propeller mit steigender Höhe an Effizienz und werden an ihre physikalischen Grenzen stoßen. Wir sehen uns also sowohl als optimistische wie auch nützliche Umweltschützer. Wir probieren es einfach aus und erforschen das Unbekannte.

Doch im Grunde sind wir Unternehmer. Wir kämpfen auch keineswegs für das Verschwinden aller fossilen Energieträger. Eine Welt mit 100% sauberer Energie wäre langweilig. Um Energie zu sparen, würden wir keine Opernhäuser mehr bauen und anstelle schöner Autos gäbe es nur noch Nutzdesign … Auch sollte man nicht vergessen, dass es oft nutzlose Erfindungen waren, welche die Menschheit nach vorne brachten. Oft kann sich also der Traum, etwas Nutzloses zu erreichen, als sehr nützlich erweisen und so den Traum wahrhaftig erfüllen!

Welche Maximalhöhe peilen Sie an?
30.000 Höhenmeter sind physikalisch unmöglich. Unser Traum wäre die Rekordmarke des Lockheed SR-71 Blackbird aus dem Jahre 1976 zu knacken: 25.929 Meter. Diese Flughöhe wurde per stabilisierten Flug erreicht und nicht durch einen ballistischen Paraboloid-Flug. Doch teilweise hängt das Ganze auch von unseren finanziellen Mitteln ab. Bis jetzt besitzen wir einen Hangar, einen Flugsimulator, ein zweisitziges Flugzeug einer Art, von der es weltweit nur ein weiteres Beispiel gibt. Dieses Material ist eigentlich nicht von schlechten Eltern. Wir verkaufen ja die Sonne und keine laue Luft. Doch da das Flugzeug eine sehr gute Gleitzahl hat und sehr wenig wiegt, ist es momentan eher schwierig, zu landen. Also brauchen wir noch etwas Geld, um das Problem besser lösen zu können.

Welche Gefahren lauern dort oben auf Sie?
Ist ein Rekordflug technisch wirklich machbar? Wir wissen es nicht mit absoluter Sicherheit. Einen Rettungsfallschirm kann ich nicht mitnehmen und die geringste Undichte an meinem Anzug würde fatale Folgen haben: Alle Körperflüssigkeiten würden augenblicklich kochen, immerhin wird der Tod dann blitzschnell eintreten … Wegen des Raumanzugs ist auch ein Autopilot unumgänglich. Wird dieser tadellos funktionieren? Es bleibt zu hoffen! Bleibt noch das Wetter. Da gibt es ein seltenes, jedoch reales Phänomen: Große und sehr heiße Luftblasen zischen mit einer Geschwindigkeit von 35 m/sek durch die Stratosphäre. Diese Strukturen besitzen die Kraft einer Kumulonimbus-Wolke (Gewitterwolke), und falls das Flugzeug davon getroffen wird, wird es mit Sicherheit zerstört. Tatsächlich ist die Stratosphäre noch recht unerforscht und sie birgt eine Reihe Geheimnisse …

Werden Sie Messungen in der Stratosphäre vornehmen?
Während der Trainingsflüge mit Sicherheit. Doch für den Rekordversuch müsste ich um die 10 Kilogramm Körpergewicht abnehmen, ich werde vor dem Flug pinkeln gehen und Abführmittel zu mir nehmen … Der Weltraumanzug wiegt 12 kg, die Umluft-Anlage wiegt 18 kg, zusammen also 30 kg. In anderen Zahlen ergibt das 10% vom Gesamtgewicht des Flugzeugs. Der Anzug heißt Sokol und er wird noch an unser Flugzeug angepasst. Er wurde eigentlich für die Sojus-Raumstation entworfen. Wir werden den Anzug zuerst ausgiebig im Simulator testen. Doch bereits jetzt steht fest, dass alle meine Bewegungen an Bord recht knifflig sein werden. Dies stellt uns vor große Herausforderungen und für Letztere müssen wir geeignete Automatismen entwickeln. Am großen Tag muss schlussendlich alles funktionieren, oder?

Wie verhält sich das Flugzeug in puncto VNE (velocity never exceed: die nicht zu überschreitende maximale Fluggeschwindigkeit, ansonsten kann das Flugzeug wegen zu großen Kräften auseinanderbrechen) in großer Höhe?
Ja, die VNE und auch die VMC (velocity minimum control: die niedrigste Fluggeschwindigkeit, die das Flugzeug erlaubt) nähern sich wegen der steigenden Flughöhe trichterähnlich. Dadurch rücken sie so nahe, dass uns eine echte Gratwanderung bevorsteht. Doch das Design des Flügelprofils ist so geformt, dass Letzteres auch noch bis auf eine unerreichbare Flughöhe ausreichend Auftrieb liefert. Dieses Flügelprofil erschwert jedoch den Flug in niedriger Höhe und insbesondere den Landeanflug. Und trotzdem erscheint es machbar, und genau das ist die Hauptsache.

Werden Sie auf dem Rekordflug Angst um Ihr Leben haben?
Nein, die Konzentration und die Verantwortung, den öffentlichen und privaten Sponsoren gegenüber werden so groß sein, dass kein Platz für Angstgefühle bleiben wird. Die Herausforderung muss gelingen, das Vertrauen darf nicht enttäuscht werden, die Medien oder die Mannschaft mit ihren jeweiligen Erwartungen müssen belohnt werden. Deswegen wird die Konzentration maximal sein und ich werde wohl eher Konzentrationsstress als Angstgefühle haben.

Welche Perspektiven wird der Rekordflug eröffnen?
Wir bemühen uns bei unserem Projekt nur bestehende und erschwingliche Technologien anzuwenden. Wir werden diese jedoch bis zum Maximum ausreizen. So haben wir das Gewicht unserer Solarzellen pro m² auf 0,750 kg heruntergedrückt. Im Vergleich dazu: Die im Bau verwendeten Zellen belasten die Dachwerke mit 12 kg pro m². Das heißt, dass dank unserer Optimierung jeder Mensch diese Zellen nach dem Rekord zu ordentlichen Preisen kaufen kann.

«Ein gewaltiger Gewinn für die Menschheit»

Eine zweite abgeleitete Idee besteht darin, die Sonnenstrahlen auch mit den Trennungsflächen zwischen den Zellen einzufangen.

Die Abstände zwischen den Zellen sind eigentlich Ausdehnungsdichtungen, die wir so beschichten, dass die darauf fallenden Strahlen auf die Zellen umgelenkt werden. Dies bringt uns zwischen zwei und vier Prozent mehr Energiegewinn. Stellen Sie sich vor, alle Zellen weltweit würden diesen Prozentsatz Mehrenergie erzeugen. Das wäre ein gewaltiger Gewinn für die Menschheit!

Ein weiteres Beispiel: Durch unsere Erfahrungen werden effizientere Sonnendrohnen entwickelt werden. Denen von Google ganz ähnlich … mit dem Unterschied, dass die bestehenden Entwicklungen von Solar Impulse mit hineinfließen werden. Diese Drohnen werden also monatelang ununterbrochen in der Stratosphäre verharren können, ohne den normalen Flugbetrieb zu belasten. Sie werden zum Marktführer aufsteigen.


EXTRA: Die SolarStratos – technische Daten

Länge: 8,5 m
Spannweite: 24,8 m
Gewicht: 450 kg
Plätze: 2
Motor: Elektrisch, max. 32 kW, 2.200 U/min
Autonomie: mehr als 24 Stunden
Zwei Solarzellen 22 m²
Batterien: 20 kWh, Lithium-ion