Von unserem Korrespondenten Manfred Maurer
Österreichs neue Regierung will Sozialgeld für im Ausland lebende Kinder kürzen und riskiert den ersten Konflikt mit Brüssel, der doppelt spannend wird: Denn in diesem Streit wird ausgerechnet EU-Verächter Orban als Hüter der EU-Verträge auftreten.
Eine der ersten konkreten Maßnahmen, welche die ÖVP-FPÖ-Regierung beschlossen hat, ist die Indexierung der Familienbeihilfe für Eltern, deren Kinder im Ausland leben. Derzeit gibt es pro Kind je nach Alter und Anzahl der Geschwister zwischen 114 und 165 Euro – unabhängig vom Aufenthaltsort. In Österreich arbeitende Ausländer, deren Kinder im Heimatland wohnen, haben denselben Anspruch wie Einheimische.
Bundeskanzler Sebastian Kurz ist „sehr froh, dass nun endlich beschlossen wurde, was mit der SPÖ nie möglich gewesen wäre“. Künftig wird die Familienbeihilfe an die Lebenshaltungskosten im Wohnsitzland des jeweiligen Kindes angepasst. Da es sich dabei meist um Länder mit einer deutlich geringeren Kaufkraft als in Österreich handelt, werden die Beihilfesätze deutlich sinken.
2016 hat Österreich 273 Millionen Euro an 132.000 Kinder im Ausland überwiesen. 114 Millionen Euro sollen durch die Indexierung eingespart werden, bei vernachlässigbaren Mehrkosten von knapp 120.000 Euro für die wenigen Kinder, die etwa in der Schweiz leben und aufgrund der dort höheren Lebenshaltungskosten künftig sogar mehr bekommen werden.
Hauptverlierer dieser Maßnahme ist ausgerechnet ein Land, dessen Regierungschef ein besonderes Näheverhältnis zur neuen Regierung in Wien nachgesagt wird. Nach Ungarn flossen 2016 mehr als 80 Millionen Euro österreichisches Kindergeld. Nach der Neuregelung wird es etwa die Hälfte sein. Ministerpräsident Viktor Orban, der erst vorige Woche die Bildung der ÖVP-FPÖ-Koalition als „Wiederherstellung der Demokratie“ bejubelt hatte, wird das kaum unwidersprochen lassen.
EU blockte bisher ab
Denn der Konflikt ist nicht ganz neu. Schon im vergangenen Februar hatte sich Orban als Hüter der EU-Verträge inszeniert und Österreich vorgeworfen, diese „auf hinterlistige Art und Weise Schritt für Schritt zu verändern“. SPÖ und ÖVP planten nämlich schon vor einem Jahr genau das, was Kurz nun als Kanzler mit den Rechtspopulisten durchzieht. Ungarn werde das nicht akzeptieren, protestierte Orban schon damals gegen die Indexierungspläne.
Er brauchte sich aber nicht weiter als Supereuropäer in Szene zu setzen, weil es ohnehin seitens der EU-Kommission das klare Signal gab, dass die Wiener Absichten nicht EU-konform wären. Auch jetzt hat die Brüsseler Behörde bereits angekündigt, die Pläne, sobald sie in Gesetzesform vorliegen, auf ihre EU-Konformität prüfen zu wollen.
Kurz ist allerdings überzeugt, dass alles mit EU-rechten Dingen zugeht. Er hat sich vom ÖVP-nahen Sozialrechtler Wolfgang Mazal ein Gutachten schreiben lassen, demzufolge die Indexierung der Familienbeihilfe EU-konform wäre. Die Argumentation: Weil diese Transferleistung eine Unterstützung zum Kauf täglicher Güter sei, könnte sie für Kinder in Ländern mit niedrigerem Preisniveau entsprechend gekürzt werden.
Was für die Briten recht war …
Und noch ein Argument führt die ÖVP ins Treffen: Im Februar 2016 war dem damaligen britischen Premier David Cameron im Vorfeld des Brexit-Referendums ein weitgehendes Zugeständnis gemacht worden: Der EU-Rat fasst einen Grundsatzbeschluss, wonach die Mitgliedstaaten künftig nicht mehr verpflichtet sein sollten, Kindern von EU-Ausländern den vollen Familienbeihilfensatz zu zahlen, wenn diese in den Herkunftsländern leben.
Nicht nur Ungarn wird gegen die Kürzung des Kindergeldes mobilmachen. Unter den größten Profiteuren des österreichischen Sozialtransfers sind neben Rumänien auch die Slowakei, Polen und Tschechien. Die gesamte Visegrad-Gruppe, als deren heimliches Mitglied manche Österreich nach dem jüngsten Rechtsruck schon betrachten, hat also hier in einen Konflikt mit Wien.
EU-Regel
Das EU-Recht ist ziemlich klar: Gemäß der EWG-Verordnung 883/2004 hat eine Person auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen des zuständigen Mitgliedstaats, als ob die Familienangehörigen dort wohnen würden. Der Wohnsitz spielt also keine Rolle.
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