Vor knapp zehn Jahren kam es zu diesem einen kurzen, fast magischen Moment, einer Art musikalischem «Déclic». Während eines Konzerts der Redinger Musikschule wurde es auf einmal ganz ruhig. Der Klang eines Cellos beanspruchte den gesamten Raum für sich, und dies, ohne nur eine einzige Sekunde lang aufdringlich zu wirken. Es war nicht irgendein Cello. Man vernahm den treuen Weggefährten der Ausnahmemusikerin und Cello-Lehrerin Lisa Berg. Durch den unglaublich sanften Umgang miteinander bewies dieses Paar stets eine Stärke, die schwer in Worte zu fassen ist. Der Komponist Maurice Ravel soll einst gesagt haben, die größte Kraft auf der Welt sei das Pianissimo. Eine Aussage, die im Zusammenhang mit der luxemburgischen Cellistin passender nicht sein könnte.
Wenn Lisa Berg Cello spielte, hatte sie ihre ganz eigene Grazie, es mutete majestätisch an. Und das, obwohl gerade sie mit Pomp und Prunk herzlich wenig anfangen konnte. Direkt im Anschluss an besagtes Konzert legte sie ihr langes schwarzes Kleid ab, schlüpfte erst in Ringelsocken, dann in Doc Martens und lümmelte in einem alten Bandshirt herum. Konventionen blind zu folgen, kam für sie nicht infrage. Weder auf gesellschaftlicher noch auf musikalischer Ebene. Vielmehr schöpfte sie aus einem großen Wissens-Fundus und setzte Einzelteile anders zusammen, schuf dadurch Neues. Sie scheute sich nicht davor, klassische Musik auf dem Elektro-Cello zu spielen oder auf dem klassischen Cello experimentelle Musik entstehen zu lassen. Bei diesem Prozess wirkte sie immerfort konzentriert und ruhig. Stillstand war jedoch nie eine Option, dafür lag es diesem kreativen Kopf zu sehr, zu erschaffen.
Mixtape für Schüler
Als Lehrerin vermittelte sie weitaus mehr als nur eine Technik. Einmal jährlich erhielt jeder der Schülerinnen und Schüler ein Mixtape mit jener Musik, die sie entdeckt hatte und teilen wollte. Dies waren nur Auszüge aus einem Großprojekt, denn hätte Berg wirklich ihre musikalische Visitenkarte drucken lassen, sie hätte in keine Hosentasche der Welt gepasst. Wer sich die Folge des Formats «Musikalesch Visittekaart» in der Mediathek von Radio 100,7 noch einmal anhört, bei der Angie Maquil Lisa Berg am 19. Juni 2016 interviewte, stößt nicht nur auf spannende Aussagen der Musikerin sowie des Menschen Lisa Berg, sondern auch auf eine bemerkenswerte Vielfalt an Musikrichtungen. Hier folgt Nick Cave auf Max Bruchs «Kol Nidrei», während mithilfe des ehemaligen Noir-Désir-Sängers Bertrand Cantat, mit dem Berg zusammenarbeiten durfte, gewollt politische Töne angeschlagen werden. Mit Rickie Lee Jones reiht sich ebenfalls eine starke Frau ein, die musikalische Experimente wagte. Genau wie Berg selbst.
Ihre Offenheit und Neugierde spiegelten sich in vielerlei Projekten wider, die sie inner- sowie außerhalb des Großherzogtums anging. Neben der Zusammenarbeit mit namhaften Größen aus dem kulturellen und sozialen Bereich und dem Mitwirken in hochkarätigen Orchestern spielte sich ihr Schaffen auch auf kleineren Bühnen ab, die in manchen Fällen nicht mal Bühnen waren, sondern Räumchen, in denen Musikliebhaber zusammenkamen, um sich auf dem Spielplatz der Musik auszutoben. Das Line-up auf jenem Konzert, das 2016 in der Kulturfabrik stattfand, als sie das erste Mal, nachdem die Leukämie sie zeitweilig vom Instrument weggezerrt hatte, endlich wieder spielen konnte, ist nur eine kleine, aber feine Stichprobe dessen, was sie als Kulturschaffende ausmachte. Denn hier standen längst nicht nur Musiker(innen), sondern auch Schauspieler(innen) und Schriftsteller(innen) gemeinsam mit ihr auf der Bühne.
Es ging zumindest Lisa Berg nie um das Rampenlicht. Was zählte, war eine bereichernde Interdisziplinarität, eine Grenzüberschreitung im positiven Sinne.
Sie schwärmte oft von Finnland, das sie mehrmals bereist hatte. Irgendwie passt dieses dünn besiedelte skandinavische Land mit seiner ungebändigten Natur und seinen atemberaubenden Landschaften zu ihr. Denkt man daran, wie all dies unter einer Schneedecke schlummert, so fühlt man sich auch an ihr letztes Album «White» erinnert. Vor ungefähr zwei Jahren hieß es in der Zeitschrift forum diesbezüglich: «Durch das Ausleben ihrer Leidenschaft bietet die luxemburgische Cellistin Lisa Berg anderen Menschen eine Art Musiktherapie, vielleicht sogar, ohne dies selbst zu wissen. Ihr Sound nimmt die Zuhörerinnen und Zuhörer mit auf eine Gedankenreise. Auf dieser Expedition durch das eigene Innere darf auch an manchem Punkt verharrt werden, aber es geht immer weiter, von Ausweglosigkeit kann nicht die Rede sein. Genau dies spiegelt ihr Album «White» wider: Es ist dynamisch und gleichzeitig beruhigend. Es hält jenen melancholischen Klang bereit, den man von ihren Eigenkompositionen kennt, und doch ist es keine typische, sondern eine einzigartige Melancholie, die – im Bewusstsein des Traurigen – trotzdem das Leben bejaht und ihm mit offenen Armen und jeder Menge Energie entgegenläuft.»
Cellistin, Mutter, Schwester, Kind
Diese Zeilen stellen keine reine Beschreibung einer musikalischen Leistung dar, sondern es geht auch um den Menschen hinter dem Instrument. Lisa Berg war nie nur Cellistin, wenn auch sie bei ihrem Spiel stets mit dem ihr angetrauten Instrument zu verschmelzen schien. Mit ihr verabschiedet sich nun nicht nur eine leidenschaftliche Musikerin, sondern auch eine Mutter, eine Schwester und ein Kind.
Lisa Berg war eine Kämpfernatur am Cello. Ebenso energisch hat sie auch bis zuletzt gegen ihre Krankheit gekämpft. Zu behaupten, sie habe nun verloren, wäre falsch, denn sie hat sich getraut, sich dem Ganzen entgegenzustellen, und dieser Mut verdient hohen Respekt.
In meinem Kopf hallt noch immer der Klang des ersten Konzerts mit ihr nach, das nun ein Jahrzehnt zurückliegt. Es gibt einen ganz bestimmten prägenden «Lisa-Sound», der bleibt. Ein wunderschönes Echo, das nicht verklingen wird, wenn wir entscheiden, sie nicht zu vergessen. Die Kulturredaktion des Tageblatt wünscht Lisa Bergs Familie und ihren Freunden Kraft für die kommende Zeit.
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