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Wie geht es weiter mit Polen?

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Erstmals wird ein Rechtsstaatsverfahren nach Artikel 7 des Lissabonner Vertrages gegen ein EU-Land eingeleitet.

Von unserem Korrespondenten Eric Bonse, Brüssel

Nach rund zwei Jahren, während denen die EU-Kommission den Dialog mit der polnischen Regierung gesucht hat, um diese dazu zu bewegen, ihre Justizreform im rechtsstaatlichen Rahmen zu halten, hat Brüssel nun gehandelt. Erstmals wird ein Rechtsstaatsverfahren nach Artikel 7 des Lissabonner Vertrages gegen ein EU-Land eingeleitet. Im Folgenden ein Überblick in Form von Fragen und Antworten.

Die EU-Kommission hat ein bisher noch nie erprobtes Sanktionsverfahren gegen Polen eingeleitet. Warum?

EU-Kommission berät über Polen

Im Kern geht es um die Unabhängigkeit der polnischen Justiz – und um die Weigerung der Regierung in Warschau, auf die Bedenken und Beschwerden aus Brüssel einzugehen. In den vergangenen zwei Jahren habe die rechtsgerichtete PiS-Regierung «mehr als 13 Gesetze» erlassen, die «die gesamte Struktur des Rechtssystems» verändern, kritisiert Kommissions-Vizepräsident Frans Timmermans. Seine Behörde habe mehr als 25 Beschwerde-Briefe nach Warschau geschickt, doch das habe nichts geändert. Nun bestehe die «ernste Gefahr», dass die Rechtsstaatlichkeit in Polen missachtet wird – und damit ein Grundprinzip der EU.

Die Vorwürfe sind nicht neu – warum hat Brüssel so lange gezögert?

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker

Die Brüsseler Behörde hat sich schon im Januar 2016 eingeschaltet. Zunächst hat sie einen «konstruktiven Dialog» gesucht, wie dies im EU-Jargon heißt. Als das zu nichts führte, hat sie im Juli 2017 erstmals mit einem Sanktionsverfahren gedroht. Passiert ist jedoch nichts – weil damals noch nicht alle EU-Staaten bereit waren, das Verfahren mitzutragen. Vor allem Deutschland zögerte, nicht zuletzt mit Blick auf die Bundestagswahl. Beim letzten EU-Gipfel Mitte Dezember hat die deutsche Kanzlerin Angela Merkel dann aber Unterstützung signalisiert.

Auf welcher Grundlage handelt die EU-Kommission?

EU-Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans

Die Rechtsgrundlage ist Artikel 7 des EU-Vertrages, in dem es um eine «schwerwiegenden Verletzung» der europäischen Grundwerte geht. Dabei unterscheidet der Vertrag zwischen einer «eindeutigen Gefahr» und der tatsächlichen Verletzung. Die «Gefahr» muss von vier Fünfteln der 28 EU-Mitglieder festgestellt werden – nach Zustimmung des Europäischen Parlaments und Anhörung des betroffenen Landes. Erst danach geht es um die sogenannte «Nuklearoption», also um die Aussetzung des Stimmrechts. «Dies ist nicht die Nuklearoption», betonte Timmermans. Dennoch stellt der Start eines Sanktionsverfahrens eine historische Premiere dar – Artikel 7 ist bisher noch nie angewandt worden.

Wie geht es jetzt weiter?

Demonstranten protestieren auf dem Alten Marktplatz in Posen (Polen) für «Freie Gerichte, freie Wahlen und ein freies Polen»

Zunächst dürfte Polen angehört werden. Premierminister Morawiecki wird am 9. Januar in Brüssel erwartet. Wenn die Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit weiter bestehen, muss das Europaparlament dem Sanktionsverfahren zustimmen. Erst danach wäre eine Entscheidung des Rates möglich. Allerdings hat die EU-Kommission Polen noch einmal drei Monate Zeit gegeben, um es sich doch anders zu überlegen. Konkret geht es um fünf Empfehlungen, die die Regierung in Warschau umsetzen soll. Unter anderem soll die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts wieder hergestellt werden. Sollte dies geschehen, könne man das Sanktionsverfahren immer noch stoppen, sagte Timmermans. In der Praxis wird man also wohl bis Ende März warten.

Der Rat muss einstimmig feststellen, dass eine schwerwiegende und anhaltende Verletzung der EU-Werte vorliegt. Wie wahrscheinlich ist das?

Der PiS-Vorsitzende Jaroslaw Kaczynski in Warschau

Es ist so gut wie ausgeschlossen, denn Ungarn hat sich bereits hinter Polen gestellt und ein Veto angekündigt. Demgegenüber hat Frankreich das nun eingeleitete Verfahren genau wie Deutschland begrüßt. Die EU-Kommission hat also die Rückendeckung der beiden wichtigsten EU-Staaten. Sie weiß jedoch auch, dass sie bei einer Kampfabstimmung den Kürzeren ziehen würde.

Droht das Verfahren auch anderen Ländern der EU?

Nein. Gegen Ungarn laufen zwar mehrere sogenannte Vertragsverletzungsverfahren. Dabei geht es aber um die Flüchtlingspolitik und andere strittige Themen. Ein Sanktionsverfahren nach Artikel 7 zeichnet sich in keinem anderen EU-Land ab.

Ist es politisch klug, ein Land so zu isolieren und an den Pranger zu stellen?

Das hat man sich in der EU-Kommission auch gefragt – und lange gezögert. Erst als klar war, dass Deutschland und Frankreich mitziehen würden, wagten sich Kommissionschef Jean-Claude Juncker und sein Team aus der Deckung. Vizepräsident Timmermans betont nun, dass sich die Prozedur nicht gegen Polen und seine Bürger richte – im Gegenteil: Man wolle sicherstellen, dass auch die polnischen Bürger in den Genuss einer unabhängigen Justiz kommen. «Für mich ist Polen ein Land, ohne das die EU nicht existieren kann», betonte Timmermans.

Was passiert, wenn wieder nichts passiert? Ist die EU dann gescheitert?

Darüber möchte man in Brüssel lieber nicht nachdenken. Die EU-Kommission hat schon jetzt Autorität eingebüßt, weil sie zwei Jahre lang nicht in der Lage war, die Rechts-Regierung in Warschau in die Schranken zu weisen. Für ein Scheitern im Ministerrat wäre aber nicht nur Brüssel verantwortlich – dort sind alle EU-Staaten gefragt.