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„Keine einfache Lösung in Katalonien“

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Der Katalane Toni Novellas trat 2015 auf der Liste der als Gegenbewegung zur Unabhängigkeit gegründeten Ciutadans an.

Von unserem Korrespondenten Chrëscht Beneké, Barcelona

Schnelle Neuwahlen am Donnerstag sollten nach dem Willen der Madrider Zentralregierung die katalanische Krise lösen. Die Vorhersagen zeigen jedoch etwa gleichstarke Blöcke ohne absolute Mehrheit. Das vergiftete Klima zeigt sich auch darin, dass etliche Unabhängigkeitsbefürworter wegen erster staatlicher Repressionen vorsichtiger wurden, sich namentlich zu äußern. Im Gegensatz zu Toni Novellas positionieren sich wegen ihrer katalanischen Mitbürger seit jeher auch nur wenige Unionisten öffentlich.

Der 57-jährige Antonio Novellas Aguirre de Cárcer ist Philosophieprofessor und Vater dreier erwachsener Kinder. Der Katalane lebt in Mataró, der Hauptstadt der Küstenregion Maresme, 30 Kilometer nordöstlich von Barcelona. Bei Kommunalwahlen trat er im April 2015 erfolglos auf der Liste der als Gegenbewegung zur Unabhängigkeit gegründeten Ciutadans (C’s) an.

Tageblatt: Nach wochenlangen Grabenkämpfen kam es am 1. Oktober zum Referendum und zu umstrittenen Polizeiaktionen. Wie fanden Sie das?

Toni Novellas: Traurig. Ich habe den ganzen Tag die Nachrichten im Fernsehen verfolgt und es war einfach traurig. Dass so viele Menschen diese Farce unterstützen, die bereits im Vorfeld keinen Wert hatte, die auch laut internationalen Wahlbeobachtern keinen demokratischen Regeln entsprach und die weltweit von niemandem anerkannt wurde. Von einer solchen Farce bis zum Einsatz von Knüppeln ist aber ein weiter Weg, und auch das Verhalten der Nationalen Polizei hat mich traurig gemacht. Auf der anderen Seite muss man auch sehen, dass die Mossos (die katalanische Regionalpolizei, der von der Regierung Passivität vorgeworfen wird; Anm. d. Red.) nicht getan haben, was sie hätten tun müssen.

Die Generalidad (die katalanische Regionalregierung) hat nach dem 1-O jedoch nicht unmittelbar die Unabhängigkeit ausgerufen. Was halten Sie vom damaligen Zögern?

Die Nationalisten haben mit aller Gewalt und gegen die Verfassung ihre Abstimmung durchgesetzt, aber hatten dann nicht die Eier, das auch bis zum Ende durchzuziehen. Sie haben den Menschen viel versprochen: In ganz Europa würden sie Unterstützung finden, aber keine einzige Regierung weltweit hat sie unterstützt. Wir können froh sein, dass am Ende nicht als Einzige Nordkorea uns anerkennen. Sie sind nur herum geeiert und haben schließlich nicht einmal die Unabhängigkeit wirklich ausgerufen. Sie haben Katalonien vor der ganzen EU zum Gespött gemacht. Es ist eine Schande, denn ich hatte sie nicht gewählt, aber sie repräsentierten auch mich.

In jenen Wochen haben Sie auch einen Dialog angeboten, doch die Zentralregierung ließ nur eine Wahl: Unabhängigkeit aufgeben oder Artikel 155.

Welche Wahl hatte denn Madrid? Wie will man mit jemandem diskutieren, der nur sagt: Referendum, Referendum, Referendum und Unabhängigkeit, Unabhängigkeit, Unabhängigkeit? Wenn man das wirklich will, hätte man das viel länger und besser vorbereiten müssen. Schottland hatte von Großbritannien schließlich auch sein Referendum erhalten.

Seitdem das Verfassungsgericht im Juni 2010 einige Artikel des neuen Autonomiestatuts kippte, verlangten jährlich über eine Million Katalanen ein Referendum, doch der ursprüngliche Kläger Mariano Rajoy verweigerte in all den Jahren jegliche politische Lösung.

Wie sah denn in den letzten 40 Jahren die Situation in Spanien aus? Wenn ich mich nicht irre, so hatte nur zwei Mal die PSOE von González und einmal die PP von Rajoy die absolute Mehrheit. Für den Rest haben sie sich bei den baskischen oder katalanischen Nationalisten ihre Mehrheit besorgt. Wie? Das hat sich Pujol (der kat. Präsident von 1980 bis 2003, gegen den es massiven Korruptionsverdacht gibt; Anm. d. Red.) doch gut bezahlen lassen, und es ist unmöglich, dass Mas (der kat. Präsident von 2010-2016; Anm. d. Red.) nichts von den drei Prozent wusste. Genau wie natürlich auch Rajoy im Fall Barcenas (der wegen Korruption bereits verurteilte ehemalige Schatzmeister der PP) informiert war.

Wenn Sie beide Blöcke diskreditieren, was erwarten Sie sich dann von den Wahlen?

Die Ciutadans (C’s) werden die Mehrheit der Stimmen und vielleicht sogar der Sitze bekommen. Seit langem wird wieder mal an einem Werktag gewählt und auch weil die Arbeiter fürs Wählen freigestellt werden, wird es eine Rekordbeteiligung geben. Die Nationalisten bekommen dann zwar immer noch ihre zwei Millionen Stimmen, aber mit den vielen anderen Stimmen kann es zu Überraschungen kommen. Auch die Vorhersagen müssen nicht stimmen, denn wie Sie selber gemerkt hatten, wollen wenige Katalanen zugeben, dass Sie Ciutadans oder sogar PP wählen. Es gibt sie aber und es sind nicht wenige.

Alle Vorhersagen halten eine absolute Mehrheit der Unionisten aber, jedenfalls ohne Koalition mit Catalunya en Comú-Podem, für sehr unwahrscheinlich.

Glauben Sie nicht, was diese Politiker sagen. Sie geben sich gemäßigt, auf nationalem Niveau sagt Iglesias auch wieder was anderes, aber es sind und bleiben Nationalisten. Doch auch unter ihnen sind die Koalitionen nicht klar, die CUP (Antikapitalisten, die in der letzten Regierungskoalition Mas ablehnten und damit Puigdemont ermöglichten, Anm. d. Red.) wird nicht einfach so wieder eine Koalition eingehen. Bei den Unionisten soll man sich aber keine Illusionen machen, wir werden keine absolute Mehrheit erhalten. Denn auch die Sozialdemokraten der PSC sind hier in Katalonien eigentlich Nationalisten. Sogar wenn die PSOE den 155 national erst einmal mitgetragen hat.

Wenn aber die Unabhängigkeitsbefürworter gewinnen und nicht von ihren Plänen abrücken, hat man dann nicht das Problem, dass die PP den 155 einfach weiterführt?

Wo ist da das Problem? Die Gelder werden etwas anders ausgegeben, sie fließen endlich in Krankenhäuser, in Dienste, die die Bürger wirklich brauchen, statt in den Weg zur Unabhängigkeit. Die letzten zwei Monate hat es ja auch keine Probleme damit gegeben.

Der katalanischen PP wird aber nur der Minusrekord von ungefähr sechs Prozent prognostiziert. Der 155 wäre vielleicht weiter legal, es hängen ja Verfassungsklagen an, aber wäre mit dem Resultat eine weitere «Präsidentschaft» von Rajoy in Katalonien demokratisch legitimiert?

Es wird in Katalonien keine einfache Lösung geben. Die Situation ist verfahren, die Wirtschaft wurde von den Nationalisten an die Wand gefahren, nahezu alle großen Firmen und die beiden einzigen Banken sind bereits weg. Die Nationalisten haben dafür keine Lösung, auch ihre Immersion in den Schulen funktioniert nicht. Da braucht man ja nur einigen Politikern der CUP zuzuhören, wenn sie versuchen, Spanisch zu sprechen. In diesem Wahlkampf haben sie keine Pläne für die Zukunft aufgezeigt, sondern nur gesagt, wählt uns, damit die Gefangenen frei kommen. Das Versprechen können sie aber nicht einmal bei einem Wahlsieg mit absoluter Mehrheit einhalten.