Von unserem Korrespondenten Ralph Schulze
Am Donnerstag, drei Tage vor Weihnachten, finden in der spanischen Konfliktregion Katalonien Neuwahlen statt. Doch bei der Abstimmung geht es nicht nur um eine neue Regierung in der Mittelmeerregion, die mit mehr als 17 Millionen ausländischen Touristen pro Jahr Spaniens unangefochtene Ferienhochburg ist. Die Separatisten erklärten die Wahl zu einem indirekten Referendum über die Unabhängigkeit. Vom Wahlausgang wird abhängen, ob die Region den von der früheren separatistischen Regierung eingeschlagenen Weg der Abspaltung von Spanien weiterverfolgt. Oder ob ein Machtwechsel einen Spanien-freundlicheren Kurs möglich macht.
Warum gibt es Neuwahlen in Katalonien?
Spaniens Zentralregierung in Madrid hatte die katalanische Separatistenregierung in Barcelona wegen fortgesetzten Ungehorsams und zahlreicher illegaler Entscheidungen Ende Oktober abgesetzt. Um so schnell wie möglich für stabile Verhältnisse zu sorgen, wurden noch vor Weihnachten Neuwahlen anberaumt. Bis eine neue Führung im Amt ist, wird Katalonien von Madrid aus verwaltet. Dieser außergewöhnliche Eingriff in die regionalen Kompetenzen ist durch Artikel 155 der Verfassung gedeckt und wurde durch eine breite Mehrheit des spanischen Parlaments abgesegnet.
Was wurde der früheren Separatistenregierung konkret vorgeworfen?
Dem ehemaligen katalanischen Ministerpräsidenten Carles Puigdemont und seinen 13 Ex-Ministern wird vorgehalten, mit unerlaubten Methoden versucht zu haben, die Abspaltung Kataloniens von Spanien durchzusetzen. Unter anderem wird ihnen angelastet, am 1. Oktober ein illegales Unabhängigkeitsreferendum organisiert und am 27. Oktober eine widerrechtliche Unabhängigkeitserklärung durchgesetzt zu haben. Dies war nach Meinung der spanischen Zentralregierung ein massiver Verstoß gegen Spaniens Verfassung, die eine Abtrennung von Regionen nicht vorsieht.
Der Nationale Gerichtshof in Madrid ermittelt gegen die frühere katalanische Regierung wegen Rebellion und Anzettelns eines Aufstandes. Die Separatisten sollen ihre Anhänger zum Ungehorsam gegenüber Gerichtsverboten sowie Gesetzen und damit zu Straftaten aufgerufen haben. Zudem geht es um den Vorwurf der Veruntreuung von Steuergeldern. Drei katalanische Politiker sitzen deswegen in U-Haft, genauso wie zwei Anführer von separatistischen Bürgerinitiativen. Fünf weitere Politiker, darunter Ex-Ministerpräsident Puigdemont, flüchteten nach Belgien. Gegen sie wurde in Spanien Haftbefehl erlassen. Sie müssen bei der Rückkehr mit einer Festnahme rechnen.
Wie sehen die politischen Machtverhältnisse aus?
In Katalonien stehen sich zwei politische Blöcke gegenüber, die jeweils aus drei Parteien bestehen: Das Spanien-freundliche Lager wird angeführt von der liberalen Partei Ciudadanos (Bürger), flankiert von den Sozialisten und den in Madrid regierenden Konservativen. An der Spitze der Separatistenfront steht die Partei Esquerra Republicana (Republikanische Linke), gefolgt von Puigdemonts nationalistischer Junts per Catalunya (Zusammen für Katalonien) und der linksradikalen Candidatura d’Unitat Popular (Kandidatur der Volkseinheit). Die Unabhängigkeitsbewegung könnte an Stimmen verlieren und ihre absolute Mehrheit im Katalonien-Parlament einbüßen.
Die prospanischen Parteien scheinen Boden gutzumachen. Doch weder die Separatisten noch der Spanienblock können auf klare Mehrheiten hoffen. Es zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen ab. Eine Regierungsbildung könnte schwierig werden, zumal es innerhalb der Blöcke Streit über den Kurs gibt. Entscheidend könnte die kleine linksalternative Partei Catalunya en Comú (Katalonien gemeinsam) werden, die für einen „dritten Weg“ und eine blockübergreifende Regierung wirbt – was auch den Sozialisten gefällt. Comú ist nicht für die Abspaltung, unterstützt aber ein legales Unabhängigkeitsreferendum nach schottischem Vorbild, für das aber Spaniens Verfassung geändert werden müsste.
Warum ist ein solches Referendum in Spanien derzeit nicht möglich?
In Spaniens Verfassung ist die Einheit der Nation verankert. Ein verbindliches Unabhängigkeitsreferendum wäre somit verfassungswidrig. Allerdings stellten Spaniens Verfassungsrichter fest, dass die Verfassung geändert werden kann. Sie sagen zudem, dass es nicht verboten ist, nach regionaler Unabhängigkeit zu streben, solange dies auf legale Weise geschieht. Also durch Überzeugungsarbeit, um in Spanien eine politische Mehrheit für eine Verfassungsänderung zu gewinnen.
Was denkt die Bevölkerung über die Unabhängigkeit?
Die katalanische Gesellschaft ist gespalten in dieser Frage. Die Behauptung des Unabhängigkeitslagers, dass die Mehrheit der 7,5 Millionen Katalanen einen eigenen Staat wünscht und die radikale Abspaltungspolitik der letzten Monate stützt, ist bisher nicht belegt. In der vergangenen Regionalwahl in 2015 hatten die Separatisten 47,8 Prozent der Stimmen auf sich vereint, der Spanienblock erhielt 39 Prozent.
Laut Meinungsforschern könnte sich das Stimmenverhältnis nun zugunsten des prospanischen Lagers verschieben. Die Umfragen lassen zugleich wenig Zweifel daran, dass die meisten Katalanen mehr Autonomie für ihre Region wünschen, in der die Menschen seit Jahrhunderten eine eigene Sprache und Kultur pflegen. Genauso glaubt eine breite Mehrheit der Katalanen, dass ein legales und verbindliches Unabhängigkeitsreferendum wie in Schottland 2014 hilfreich wäre, um den Dauer-Konflikt endlich zu lösen.
Und was ist mit den Hintergründen? Die sollten beleuchtet werden, denn ohne die Vorgeschichte wäre es wohl nie so weit gekommen.
2006 wurde Katalonien vom spanischen Parlament mehr Autonomie zugestanden. Eine einzige Partei, die Partidio Popular, war dagegen und reichte Klage beim Verfassungsgericht ein. Das Verfassungsgericht stellte 2010 fest, dass 14 Artikel des neuen Autonomiestatuts verfassungswidrig seien. Ausserdem erklärte es das Wort "Nation" im Texttitel für juristisch nicht bindend ("la "ineficacia jurídica" del Preámbulo (donde constaba el término nación al referirse a Cataluña)".
Inwieweit der Autonomiestatus von der spanischen Regierung seither respektiert wurde, war in der kurzen Zeit nicht herauszufinden (hab eigentlich was anderes zu tun), aber es gab einige Reportagen, in der katalonische Bürger sich über die spanische Willkür beklagten und es scheint, dass von den 223 Artikeln der Reform nur wenige realisiert wurden. Es wäre schön, wenn Tageblatt dazu ein paar Recherchen publizieren würde.
Carlos Puigdemont ist gewählt worden, um den Autonomiestatus zu festigen oder aber die Unabhängigkeit Kataloniens zu forcieren. Er hat sich dabei nicht gerade mit Ruhm bekleckert, aber er hat das getan, was viele Katalonier verlangten.
Meiner ganz privaten Meinung nach hat die spanische Regierung jegliche Legitimität in Katalonien verloren, als sie mit Gewalt gegen demokratische Wähler und öffentliches Eigentum vorging, statt eine Verfassungsänderung ins Auge zu fassen, die ein demokratisches Referendum ermöglicht hätte. Die elegante Vorgehensweise Grossbritanniens hätte Beispiel machen sollen.
Und - ich bin noch immer schockiert, dass die Europäische Union diesen Gewaltausbruch nicht verurteilt hat. Sie hätte sehr gut gegen das Referendum und gleichzeitig gegen die unverhältnismässigen Repressalien protestieren können. Innerstaatliche Divergenzen müssen innerstaatlich gelöst werden, aber die Katalonier sind EU-Bürger wie wir und keine Kriminellen, gegen die die Polizei hätte vorgehen müssen. Es macht Angst, dass die EU die Gewalt stillschweigend geduldet hat.