Das Fachmagazin «Nature» hat die zehn wichtigsten Menschen der Wissenschaft für das Jahr 2017 gekürt – darunter ein Mädchen, das durch eine revolutionäre Gentherapie geheilt wurde.
Vom visionären Quanten-Physiker über den Experten für Gen-Editing bis hin zum umstrittenen neuen Chef der US-Umweltbehörde EPA – sie alle gehören zu den zehn Menschen, die nach Ansicht des Fachmagazins «Nature» im Jahr 2017 eine entscheidende Rolle in der Wissenschaft gespielt haben. Jeder Einzelne habe dauerhafte Spuren hinterlassen, betonte Brendan Maher, leitender Redakteur bei «Nature»: «Diese Liste beschreibt die Höhen und Tiefen für die Wissenschaft und für Wissenschaftler.» Ein Überblick:
Gen-Korrektor: Das CRISPR-Verfahren – eine universelle Gen-Schere, die Veränderungen im Erbgut ermöglicht – hat sich binnen weniger Jahre rasant in Laboren weltweit verbreitet. Doch es hat noch Schwächen: Das meist verwendete Enzym Cas9 schneidet zwar exakt, aber es fügt die DNA-Abschnitte anschließend nicht verlässlich wieder zusammen. Der US-Biologe David Liu vom Broad Institute in Cambridge hat mit seinem Team ein neues Enzym entwickelt, das genau dies leistet: Anfälligere DNA-Basen können damit verlässlich in stabilere umgewandelt werden. Bis zum Einsatz in der Gentherapie sei es jedoch noch ein Stück Arbeit, betont Liu.
Lebender Beweis: Emily Whitehead wurde im Sommer zum Gesicht eines medizinischen Durchbruchs. Als schwerkranke Sechsjährige hatte sie vor fünf Jahren in Philadelphia eine experimentelle Gen-Therapie gegen ihre Akute Lymphatische Leukämie (ALL) erhalten. Dazu waren Emilys Immunzellen gentechnisch verändert worden, so dass sie anschließend, zurück in der Blutbahn, den Krebs bekämpften und besiegten. Im August unterstützte Emily ihren Vater, als dieser vor der US-Zulassungsbehörde FDA dafür warb, die Therapie mit CAR-T-Zellen für schwerstkranke Betroffene zu genehmigen. Zwei Wochen später kam die Zulassung.
Fusions-Expertin: Die Astronomin Marica Branchesi landete im August einen Erfolg in internationaler Zusammenarbeit: Forscher des VIRGO-Kollaboratiums in Italien und Kollegen der großen LIGO-Observatorien in den USA dokumentierten gemeinsam die Kollision zweier ferner Neutronensterne – über Gravitationswellen. Gleich darauf richteten sich die Teleskope von über 70 Expertenteams aus aller Welt in die Richtung, um die Folgen zu beobachten. Seit Jahren hatte die Italienerin unermüdlich für mehr Kooperation zwischen beobachtenden Astronomen und Gravitationswellenforschern geworben. Von den zahlreichen Fachartikeln über das Spektakel fertigte Kommunikationstalent Branchesi im Oktober dann eine Zusammenfassung an – unter Nennung von mehr als 3500 Koautoren.
Vater der Quanten: So nennen manche in China den Physiker Pan Jianwei. Im Juli gelang es dem in Europa ausgebildeten Experten von der Universität Hefei, den Rekord in Quanten-Teleportation zu brechen. Dazu beamte das Team den Quanten-Zustand eines Photons auf der Erde zu einem anderen Photon auf einem Satelliten in 1400 Kilometern Höhe. Im September nutzten die Forscher ihren Satelliten, um Photonen nach Wien und Peking zu beamen – dank der Quanten-Verschlüsselung konnten Teams in beiden Städten abhörsicher via Video chatten. Grund: Photonen ändern ihren Quantenzustand, sobald sie aufgespürt werden, so dass jeder Hacking-Versuch bemerkt würde. Jianwei, so glauben Experten, liegt damit vorne auf dem Weg zu einem Quanten-Internet.
Öffner des Sesames: Im Nahen Osten zu vermitteln ist auch in der Wissenschaft manchmal eine Kunst: Der Physiker, Ex-Minister und frühere Universitätspräsident Khaled Toukan aus Jordanien beherrscht sie. Seinen unermüdlichen Gesprächen ist es zu verdanken, dass SESAME – das erste Elektronensynchrotron im Nahen Osten – 2017 nach fast 20 Jahren Planung in der Nähe von Amman den Betrieb aufnahm. Der Teilchenbeschleuniger-Ring ist ein gemeinsames Projekt von Israel, der Türkei, Palästina, Zypern, Ägypten, Iran, Pakistan und Jordanien. Mehrmals stand es wegen politischer Auseinandersetzungen auf der Kippe. Für Toukan ist SESAME, an dem Forscher all dieser Länder zusammenarbeiten, mehr als eine Photonenquelle: «Es ist ein Licht in einem Meer von Konflikten.»
Fehler-Detektivin: Tagsüber erforscht die Australierin Jennifer Byrne am Kinderkrankenhaus Westmead in Sydney die Genetik von Krebserkrankungen. Abends durchforstet sie seit Jahren Fachartikel ihres Fachgebiets nach Fehlern. Dutzende Veröffentlichungen mit nicht korrekten DNA-Sequenzen hat sie schon entdeckt, alleine 2017 wurden daraufhin sieben Arbeiten von Fachjournalen zurückgezogen. Seit 2016 arbeitet Byrne zusammen mit einem Forscher aus Grenoble an einem Computerprogramm, das Fachverlagen helfen soll, fehlerhafte Manuskripte frühzeitig aufzuspüren.
Atomwaffen-Tracker: Für den Geophysiker Lassina Zerbo war 2017 kein einfaches Jahr. Als Kopf der Organisation CTBTO, die einen internationalen Vertrag zum Stop von Atomwaffentests durchsetzen möchte, führt er Buch über solche Versuche weltweit. Die Tests Nordkoreas und der aggressive Schlagabtausch zwischen Staatsführer Kim Jong-Un und US-Präsident Donald Trump stellten Zerbo in den vergangenen Monaten vor Herausforderungen. Neben seinen Bemühungen, das weltweite Monitornetz aus Sensoren für Infraschall, Hydroakustik, seismische Signale und Radionuklide auszubauen, wirbt Zerbo unermüdlich weiter für den Atomwaffentest-Bann.
Erdbeben-Jäger: Das erste heftige Erdbeben erlebte Victor Cruz-Atienza 1985 als Elfjähriger in seiner Heimatstadt Mexico-City – sein Interesse an Geophysik war geweckt. Seit 2016 leitet er das Seismologie-Institut der Universität in Mexico-City und beschrieb in einem Artikel, wie sich die Bodenerschütterungen in dem urzeitlichen Seebecken, in dem die Stadt liegt, ausbreiten. Das große Beben vom September, das 7,1 auf der Richterskala erreichte und dessen Zentrum 120 Kilometer von der Stadt entfernt lag, bestätigte die Vorhersage exakt: Die weichen Sedimente verstärkten die Erschütterungen zur Mitte des Seebeckens hin. Nur weil das Beben kürzer war und die Häuser stabiler gebaut als 1985, gab es weniger Tote als damals.
Me-Too-Anwältin: Mit der Welle der #MeToo-Bekenntnisse musste Ann Olivarius den Mitarbeiterstab ihrer Kanzlei im britischen Maidenhead kräftig aufstocken, um alle Telefonanrufe annehmen zu können. Seit Jahrzehnten kämpft die Juristin gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, speziell im akademischen Bereich. Ausschlaggebend dafür war, was sie als Studentin in Yale miterlebte. Gemeinsam mit Kollegen verklagte sie die Elite-Uni und brachte die US-weite Diskussion über sexuelle Diskriminierung an Hochschulen in Gang. Ihr Ziel: Institutionen sollen Strafe zahlen, wenn sie übergriffige Mitarbeiter schützen.
Agentur-Auflöser: Auch Scott Pruitt hinterlässt 2017 Spuren. Mit dem Klima-Skeptiker hat die vormals strenge US-Umweltbehörde EPA seit Februar einen Chef, der die Agentur in seiner Zeit als Generalstaatsanwalt in Oklahoma 14 Mal verklagt hatte. Deregulation ist seine Marschrichtung. Entsprechend fuhr Pruitt bereits dutzende Umweltgesetze zurück, die zuvor zum Beispiel Schadstoffausstoß, Bergbau und Gefahrenabfall begrenzt hatten oder das Wasser schützten. Innerhalb der EPA drängt Pruitt viele Wissenschaftler beiseite und ersetzt sie durch Industrie-Vertreter oder Forscher mit engen Verbindungen dorthin.
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