Der Brexit hat in Großbritannien deutlich an Zustimmung verloren: Mehr als die Hälfte der Briten (51 Prozent) wollen einer Umfrage zufolge nun doch in der Europäischen Union bleiben. Nur noch 41 Prozent sind für den EU-Austritt, wie die von der Zeitung «The Independent» veröffentlichte Befragung ergab. Die zehn Prozentpunkte Differenz sind demnach der größte Abstand zwischen Brexit-Gegnern und -Befürwortern seit dem Referendum im Juni 2016. Premierministerin Theresa May verurteilte indes Todesdrohungen gegen Parlamentarier im Streit um die Trennung von der EU aufs Schärfste.
In der Brexit-Umfrage waren sieben Prozent unentschlossen, ein Prozent antwortete gar nicht. Verantwortlich für den immer größer werdenden Abstand zwischen Brexit-Gegnern und -Befürwortern sind nach Angaben des Umfrageinstituts BMG Research vor allem Briten, die sich nicht an dem Referendum im Juni 2016 beteiligt hatten. Die damaligen Nichtwähler würden nun mit überwältigender Mehrheit im Verhältnis 4:1 für einen EU-Verbleib stimmen. Dagegen seien die Befürworter und Gegner eines Austritts zu rund 90 Prozent bei ihrer Meinung geblieben seien.
Zuletzt hätten die Brexit-Befürworter im Februar in Umfragen geführt, seitdem habe es eine Verschiebung in der öffentlichen Meinung in Richtung der Gegner gegeben. Die Briten hatten am 23. Juni 2016 mit knapper Mehrheit von 52 zu 48 Prozent für den EU-Austritt gestimmt.
Kein «Vasallenstaat» der EU
Im Streit um den Brexit waren in jüngster Zeit mehrfach Tory-Rebellen bedroht worden. «So etwas hat in unserer Politik keinen Platz», sagte May am Sonntag. Eine Abgeordnete hatte nach eigenen Angaben sogar die Nachricht bekommen, sie sollte in der Öffentlichkeit gehängt werden. Die EU hatte am vergangenen Freitag in Brüssel das Startsignal für die zweite Phase der Brexit-Verhandlungen gegeben. May musste dafür erhebliche Zugeständnisse machen. Nun droht neuer Ärger: Dabei geht es um die zweijährige Übergangsphase nach dem EU-Austritt.
Außenminister Boris Johnson und sein erzkonservativer Parteikollege Jacob Rees-Mogg appellierten an May, dass Großbritannien kein «Vasallenstaat» der EU werden dürfe. Sie spielten damit auch auf jüngste Äußerungen des EU-freundlichen Schatzkanzlers Philip Hammond an. Er hatte auf einer China-Reise betont, dass diese Übergangsphase «den Status quo nachbilden» wird. Nach dem Austritt aus der EU, der Zollunion und dem EU-Binnenmarkt würden in Großbritannien noch zwei Jahre lang die derzeitigen Gesetze gelten, etwa beim Handel.
Drohende Brexit-Schlappe
May gab sich im «Sunday Telegraph» hingegen optimistisch und sprach mit dem Startschuss für die zweite Verhandlungsphase von einem Wendepunkt. Zumindest ein Hindernis scheint inzwischen für die Premierministerin aus dem Weg geräumt zu sein. Sie wird ihre nächste drohende Brexit-Schlappe im Parlament aller Voraussicht nach mit einem Kompromiss verhindern können. Dabei geht es um das im geplanten EU-Austrittsgesetz vorgesehene Scheidungsdatum: Tory-Rebellen fürchten, dass der 29. März 2019 nicht eingehalten werden kann.
Jetzt hat man sich hinter den Kulissen auf einen Kompromiss geeinigt, wie britische Medien berichteten. Der 29. März 2019 wird demnach zwar im Gesetz verankert – aber das Datum kann noch geändert werden, falls sich die Brexit-Verhandlungen hinziehen sollten. Ein entsprechender Vorstoß dürfte in der kommenden Woche ausreichend viele Stimmen bekommen, hieß es. «Der neue Änderungsantrag zeigt, wie alle konservativen Parlamentarier zusammenarbeiten können», sagte Tory-Rebellin Nicky Morgan. Mit einer Mehrheit von nur sieben Mandaten ist Mays Minderheitsregierung sehr anfällig für Revolten.
May hatte erst am vergangenen Mittwoch eine herbe Niederlage aus den eigenen Reihen hinnehmen müssen. Bei einer Abstimmung sicherten sich die Abgeordneten ein Veto-Recht über das Brexit-Abkommen. Tory-Rebellen hatten sich dafür mit der Opposition verbündet.
May's Regierung wird vom nord-irischen DUP getragen, die im Gegenzug eine Milliarde £ für Nord-Irland herausschlugen und eine Partei, deren Abgeordnete bis jetzt noch nie im Parlament ihren Platz einnahmen. Sollte es zu einer Abstimmung kommen, werden der guten Theresa gerade diese Stimmen fehlen.