Die amerikanische Aufsichtsbehörde FCC hat die sogenannte Netzneutralität aufgehoben. Künftig können Netzbetreiber einzelne Angebote im Netz bevorzugt behandeln und andere drosseln. Kritiker sprechen von Korruption und kündigen Klagen an.
Von Sebastian Moll, New York und Christian Muller, Luxemburg
Die Abstimmung der US-Telekommunikationsbehörde dauerte nur wenige Sekunden. Es war das wenig spektakuläre Ende eines langen Dramas. Mit drei zu zwei Stimmen schaffte die Bundeskommunikationskommission FCC am Donnerstagnachmittag die Netzneutralität in den USA ab, nachdem Verfechter und Befürworter der Neutralitätsstatuten von 2015 wochenlang leidenschaftlich debattiert hatten.
Vor der Wahl fasste der Kommissionsvorsitzende Ajit Pai in seiner Rede noch einmal seine Argumente dafür zusammen, jene Regulierungen der Obama-Regierung abzuschaffen, die freien und gleichen Zugang zum Internet garantieren sollen.
Es sei nicht das Ende der Demokratie und schon gar nicht das Ende des Internets, so Pai, wenn man nun zu der Gesetzeslage von vor 2015 zurückkehre. Ganz im Gegenteil, die Abschaffung der Obama-Regulierungen würden ein freieres, gleicheres Internet garantieren.
«Korrupter Prozess»
Demokratische Politiker und Konsumentengruppen, die sich für die Erhaltung der Regeln in den USA einsetzen, sehen das anders. So protestierte das demokratische Kommissionsmitglied Jessica Rosenworcel gegen den „korrupten Prozess, der uns an diesen Punkt gebracht hat“.
Die Offenheit des Netzes, so Rosenworcel, habe die Internetwirtschaft der USA zum Neidobjekt der ganzen Welt gemacht. Das Ende der Neutralitätsregeln würde das Ende dieser Offenheit bedeuten.
Die größte Befürchtung der Neutralitätsanhänger ist nun, dass die Internetdienstleistungsanbieter nach Belieben bestimmte Dienste befürworten oder benachteiligen können. So könnte der Breitbandanbieter Comcast etwa Streamingdienste wie Netflix verlangsamen, um sein eigenes Kabelfernsehpaket zu schützen.
Obamas Änderungen werden abgeschafft
Breitbandanbieter könnten gestaffelte Preise für verschiedene Internetgeschwindigkeiten verlangen und so den Zugang und die Wettbewerbsfähigkeit bestimmter Teilnehmer klar behindern.
Die größte Sorge gilt in diesem Zusammenhang weniger Riesen wie Netflix oder Facebook, die genügend Kunden und Kapital besitzen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Deutlich größer ist die Befürchtung, dass die Möglichkeiten von Jungunternehmen eingeschränkt werden, sich zu entfalten und den großen Firmen Konkurrenz zu machen.Das Thema ist in den USA besonders aufgeladen, weil die meisten Verbraucher von einem einzigen Anbieter abhängig sind. Lokal haben die meisten Firmen ein Quasi-Monopol und können dem Verbraucher Preise und Leistungen nach Belieben diktieren. Pais Argument, dass der Wettbewerb den Markt schon regulieren werde, gilt deshalb als trügerisch. „In Wahrheit handelt es sich um die größte Schenkung an die Telekommunikationsriesen der Geschichte“, schrieb das „Wired“-Magazin.
Solche Argumente werden dadurch gestärkt, dass Pai vor seinem jetzigen Posten als Anwalt für den Telekommunikationsriesen Verizon gearbeitet hat. Demokratische Kongressabgeordnete verlangen seit Wochen eine Untersuchung Pais wegen seiner Verstrickungen mit der Branche.
Zuletzt fällte Pai mehrere Entscheidungen zugunsten des rechtskonservativen Sendenetzwerks Sinclair und lockerte die Kartellbestimmungen, die es Sinclair erschwert hätten, die Tribune-Zeitungsgruppe aufzukaufen.
Anbieter können Tempo drosseln
Der Kampf um die Netzneutralität in den USA ist jedoch mit der Entscheidung der FCC nicht vorbei. Zahlreiche Verbraucherschutzgruppen haben bereits angekündigt, dagegen zu klagen. Im Kongress ist die Stimmungslage ebenfalls uneindeutig.
Mehrere republikanische Abgeordnete befürworten die Neutralitätsregelungen der Obama-Ära und fordern eine gesetzliche Regelung, die einzelne Regierungen überdauert. So war die Entscheidung der FCC von Donnerstag wohl nur der Anfang einer langen Auseinandersetzung. (S. Moll)
«In Luxemburg gesichert»
«Die Netzneutralität ist in Luxemburg garantiert», sagt Luc Tapella, Direktor der Aufsichtsbehörde IRL, auf Tageblatt-Nachfrage. Die betreffenden EU-Regeln von 2015 seien hierzulande umgesetzt worden und seit April 2016 in Kraft.
Schlussendlich gehe es darum, dem Endkonsumenten die Entscheidungsfreiheit darüber zu lassen, was er sehen will – und was nicht, unterstreicht Luc Tapella.
Von der gestern angekündigten Entscheidung in den USA sei er jedoch nicht überrascht. In den USA sei die Aufsicht „viel politischer“ als in Europa. Und mit der Wahl von Donald Trump sei die Richtung klar gewesen.
Des Weiteren glaubt der Direktor der (unabhängigen) Luxemburger Aufsichtsbehörde ILR nicht, dass die US-Entscheidung einen direkten Einfluss auf Europa haben werde. „Das sind zwei unterschiedliche Märkte.“
Innovation Opfer der US-Regeln?
Ein Opfer der neuen US-Regeln könnte jedoch die Innovation werden, glaubt er. Neue junge Start-up-Unternehmen mit wenig Kapital könnten es in Zukunft in den USA viel schwerer haben, um mit ihrem Produkt beim Endverbraucher anzukommen. Platzhirsche wie Google, Facebook oder Netflix könnten ihre Finanzreserven nutzen, um im Internet privilegiert zu werden. Die Chancen für Neueinsteiger in den USA würden somit schrumpfen.
In Europa jedoch garantiere man den kleinen die gleichen Chancen wie den großen. Und Europa stehe mit seiner Sicht der Dinge nicht alleine da, so der ILR-Direktor weiter. Auch Indien habe beispielsweise die Netzneutralität gesetzlich festgeschrieben. (C.Muller)
EU-Digitalkommissar will an Netzneutralität festhalten
Ungeachtet der entgegengesetzten Entscheidung der US-Behörden will die EU-Kommission am Prinzip der Netzneutralität im Internet festhalten. „Wir werden die Netzneutralität in Europa weiter schützen“, teilte der für den Digitalmarkt zuständige Vizepräsident der Brüsseler Behörde, Andrus Ansip, gestern über den Kurznachrichtendienst Twitter mit.
We will continue to protect #netneutrality in Europe. Right to access the open internet without discrimination or interference (like blocking or slowing down) is enshrined in EU law. Our rules enable continued network & service #innovation. Q&A: https://t.co/KCSasUkJmd https://t.co/HUcKgzUhtz
— Andrus Ansip (@Ansip_EU) 15. Dezember 2017
„Das Recht, einen offenen Zugang zum Internet ohne Diskriminierung oder Beeinträchtigung (wie Blockade oder Verlangsamung) zu erhalten, ist im EU-Recht verankert.“ Die EU hatte 2015 Regeln zum Erhalt der Netzneutralität beschlossen.
Die US-Aufsichtsbehörde FCC hatte dagegen am Donnerstag die Regel aufgehoben, dass das Internet als öffentliche Dienstleistung eingestuft wird, die allen gleichberechtigt zur Verfügung gestellt werden muss. Mit der bisherigen Regelung wurde Netzanbietern untersagt, bestimmte Inhalte zu blockieren, zu verlangsamen oder gegen Bezahlung zu beschleunigen. (Reuters)
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