Nach sechs Monaten Brexit-Verhandlungen haben die Europäische Union und Großbritannien am Freitag endlich die ersten Streitfragen geklärt und ein Scheitern vorerst abgewendet. So wird London nach dem für 2019 geplanten EU-Austritt nach eigener Schätzung noch 40 bis 45 Milliarden Euro an Brüssel überweisen. Außerdem wird London EU-Bürgern im Land umfassende Bleiberechte gewähren und eine offene Grenze zu Irland garantieren.
Damit scheint der Weg frei für die nächste Verhandlungsphase ab Mitte Dezember. Es seien «ausreichende Fortschritte» erreicht, sagte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker in einer Pressekonferenz mit Premierministerin Theresa May in Brüssel.
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— BrexitCentral (@BrexitCentral) December 8, 2017
Wirtschaftsverbände auf beiden Seiten reagierten erleichtert, dass demnächst wohl Gespräche über die künftigen Handelsbeziehungen beider Seiten beginnen können und die Gefahr eines ungeordneten Brexit kleiner wird. Doch blieben viele Reaktionen aber verhalten – sowohl bei der Bundesregierung als auch im Europaparlament. Viele wiesen auf weitere erwartete Schwierigkeiten hin. Die Einigung vom Freitag gilt nur als Grundstock eines Austrittsvertrags, der bis Oktober 2018 fertig sein soll.
In Großbritannien, wo es bis zuletzt massive Widerstände gegen Kompromisse mit der EU gegeben hatte, erntete May Lob von mehreren Kabinettsmitgliedern, darunter der Außenminister und Brexit-Befürworter Boris Johnson. Auch die nordirische Partei DUP, die May mit ihren Stimmen im Parlament stützt, schien die Einigung trotz Bedenken anzunehmen.
«Keine harte Grenze»
Der letzte große Knackpunkt der ersten Verhandlungsphase war die Frage, wie Grenzkontrollen zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland vermieden werden können. Irland pochte auf eine schriftliche Zusage Großbritanniens. Nun sagte May: «Wir werden garantieren, dass es keine harte Grenze gibt.»
Die beiden anderen Topthemen waren schon vor Tagen weitgehend geklärt. Bei den künftigen Rechten der 3,2 Millionen EU-Bürger in Großbritannien hat die EU aus Junckers Sicht durchgesetzt, dass sie ihr Leben dort weiter führen können wie bisher. Zudem ging Großbritannien auf finanzielle Forderungen der EU für gemeinsam eingegangene Verpflichtungen ein.
Forderungen von bis zu 100 Milliarden Euro
Die EU beziffert diese nicht, und in der Vereinbarung sind nur Berechnungsmethoden aufgeführt. Daraus errechnet die britische Regierung aber ein Volumen von bis zu 45 Milliarden Euro, wie ein Sprecher bestätigte. Auf EU-Seite war inoffiziell einmal von Forderungen über 60 bis 100 Milliarden Euro die Rede gewesen.
Der EU-Gipfel am 15. Dezember wird nun voraussichtlich offiziell die zweite Verhandlungsphase einläuten. Großbritannien hofft auf ein starkes Handelsabkommen mit der EU, um der Wirtschaft nicht zu schaden. Die EU will allerdings nach den Worten von Ratspräsident Tusk zunächst nur über die von Großbritannien vorgeschlagene Übergangszeit nach dem Brexit reden. In der Zeit soll London weiter Beiträge an die EU überweisen und alle Regeln des Binnenmarktes einhalten, aber kein Stimmrecht auf EU-Ebene mehr haben.
Erst danach soll es nach Tusks Plan im Detail um den Handelspakt gehen. EU-Chefunterhändler Michel Barnier sagte erstmals, wie er sich diesen Pakt vorstellt: ähnlich wie das Handelsabkommen Ceta mit Kanada.
Schmuglerland Irland ist vorprogrammiert. Whisky, women and wine.