In Frankreich werden seine Vorhaben als deutsche Sparpolitik kritisiert, in Deutschland wirft man ihm mangelnde Budgetdisziplin vor: Ein Exklusiv-Interview mit EU-Wirtschafts- und Währungskommissar Pierre Moscovici.
Wie so ziemlich jeder hochkarätige französische Politiker ist auch der Sozialist Pierre Moscovici (60) ein énarque: Moscovici, Mitglied des „Parti Socialiste“ (PS), absolvierte wie Frankreichs ehemaliger Präsident und Parteikollege François Hollande die Elitehochschule ENA. Er diente Hollande als Wahlkampfleiter, der es ihm dankte und ihn 2012 zum Wirtschafts- und Finanzminister ernannte. Er unterstützte Hollande zudem im Streit mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Debatte um den Fiskalpakt. Moscovici hatte das Amt bis 2014 inne, bevor er EU-Wirtschafts- und Währungskommissar wurde.
Heute muss Moscovici jedoch zuhause mit der Kritik kämpfen, seine Politik sei zu „deutsch“. In Deutschland wird ihm das genaue Gegenteil vorgeworfen: Er verwässere den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Moscovici hat am Mittwoch seine Reformvorschläge der Eurozone in Brüssel präsentiert. Das Tageblatt konnte ihn im Anschluss mit Journalisten von u.a. Die Zeit, ORF, Le Soir, El Pais, La Stampa und L’Obs interviewen.
Tageblatt: Es wird Ihnen vorgeworfen, dass Ihre Reform der Eurozone einen sehr deutschen Stempel hat und noch mehr Austeritätspolitik bedeutet.
Pierre Moscovici: Ich glaube, dass das eine Interpretationsweise ist, die immer mit Fehlern enden wird. Die Tatsache, dass bereits davon gesprochen wurde, dass das neue Paket asymmetrisch zustande gekommen sei, bevor man überhaupt erst seinen Inhalt kennt, zeigt, dass viel darauf gewartet wurde. Es bestand also Interesse. Ich glaube, dass wir die goldene Mitte getroffen haben.
Inwiefern?
Wenn ich Jean Quatremer von Libération in Paris lese, habe ich das Gefühl, dass wir ein Super-Austeritätsbudget verfolgen. Wir stünden als EU-Kommission auf der Rechten mit der CDU. Das ist für mich persönlich eine Neuigkeit (lacht). Und wenn ich verschiedene Zeitungen in Deutschland lese, habe ich das Gefühl, dass es sich wirklich um ein „paquet de laxisme“ handelt, das den Stabilitätsmechanismus zerstören wird. Nein, die Wahrheit ist eine andere. Sie hat ihre eigene Logik. Wenn es auf diese Weise zu einem Konsens kommt: umso besser! Für uns zählen lediglich die Prinzipien Einheit, Konvergenz und Demokratie.
Die Deutschen haben sich also nicht durchgesetzt?
Wenn ich jetzt konkret an die Vergemeinschaftung von verschiedenen europäischen Fragen denke, kann ich folgendes sagen: Das Gefühl, dass es nur die deutschen Kollegen wären, die wollen, dass der ESM in die Europäischen Institutionen integriert wird, trügt. Das ist keine deutsche Vision. Die Idee eines europäischen Finanz- und Währungsministers ist auch keine deutsche Vision. Die Existenz eines Eurozonenparlaments, das Teil der Institutionen ist, entspricht keiner deutschen Vision. Man darf nicht so denken. Die Arbeit der EU-Kommission besteht nicht darin, dem einen oder dem anderen Freude zu bereiten. Es geht darum, ein Paket aufzubauen, das sich auf bestimmte Prinzipien stützt.
Sie haben aber bei der Vorstellung Ihrer Eurozonen-Reform deutlich gesagt, dass es keine Transferunion geben wird.
Wir wissen, dass verschiedene Vorschläge, wenn sie gemacht werden, auf völlige Opposition stoßen. Man beachtet solche roten Linien. Würden wir eine Transferunion vorschlagen, wäre das neue Paket bereits tot, bevor es überhaupt losgehen kann. Das bringt überhaupt nichts. Außerdem muss man sich darüber einigen, was eine Transferunion überhaupt ist. Es gibt bereits die europäische Solidarität. Beim neuen Paket kommt die Konvergenz hinzu. Wenn es Bedürfnisse gibt, muss die Politik der europäischen Solidarität greifen. Ich betone, dass wir nicht ignoriert haben, was sich in Paris oder Berlin getan hat. Wir sind nicht weltfremd (lacht).
► Lesen Sie das vollständige Interview bereits heute Abend in unserer Premium-Rubrik online oder in der Freitagausgabe (08.12.2017) des Tageblatt.
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