Die Debatte um den Vorsitz der Eurogruppe sei erstaunlich substanzlos verlaufen, so die hinter vorgehaltener Hand erhobene Kritik aus dem Finanzministerium. Pierre Gramegna habe zwar ein gutes Abstimmungsresultat erhalten – bei der Wahl sei es den anderen Staaten jedoch nur wenig um Kompetenz, sondern vor allem um «ein politisches, institutionelles Gleichgewicht» gegangen. Ein Blick hinter die Kulissen.
Fünf bis sechs Personen haben Lobbyarbeit für Luxemburg in Sachen Eurogruppen-Vorsitz geleistet: Finanzminister Pierre Gramegna (DP) und Premier Xavier Bettel (DP) sowie ihre jeweils zwei engsten Mitarbeiter. Wer jedoch erwartet, dass die EU-Kommission von Jean-Claude Juncker (CSV) Luxemburgs Kandidatur unterstützt hätte, irrt. Zum einen ist sie nicht dazu befugt, zum anderen herrscht bei dieser europäischen Frage strenge Parteiräson.
War Juncker hilfreich?
«War die EU-Kommission oder Jean-Claude Juncker auf irgendeine Weise hilfreich? Nicht dass es uns aufgefallen wäre», heißt es lakonisch aus mit dem Dossier befassten Kreisen aus Luxemburg. «Die EU-Kommission muss sich bei solchen Fragen neutral verhalten. Wir gehen auf jeden Fall davon aus, dass sie das getan hat», wird nachgeschoben.
Allerdings macht man kein Geheimnis daraus, dass der ganze Prozess der Wahl mit Blick auf das Zusammenspiel zwischen EU-Kommission und EU-Rat fragwürdig sei: «Es ist merkwürdig, dass die EU-Kommission ihre Vorschläge für die Reform der Eurozone erst zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht. Demnach sind die Rahmenbedingungen für solch eine Wahl merkwürdig. In einer optimalen Welt müssten eigentlich die Vorschläge der EU-Kommission auf dem Tisch liegen und dann müsste man sich über diese unterhalten.»
Erst dann müsste man festlegen, wer bei den Staaten der beste Gesprächspartner ist, um die nächsten Monate den Dialog mit der EU-Kommission zu führen. Auch hier bräuchte es Konsens. «Aber so läuft es in Realität leider nicht ab. Es geht nur um Personen und nicht einmal um ihr ganzes Können, sondern um ein politisches, institutionelles Gleichgewicht», lautet die Kritik. Es frage zum Beispiel niemand, ob es von Vorteil sein könne, ob ein Kandidat nur zwei oder fünf Sprachen spreche.
Dass man allerdings keine schlechten Verlierer sei, ist ebenfalls zu hören. Die Kritik habe nicht mit Frustration oder Ärger zu tun. Allerdings sei die Substanzlosigkeit beim Auswahlprozess stark bemerkbar gewesen. Die Kritik ist nicht von der Hand zu weisen.
Keine Inhalte, nur Arithmetik
Dem Tageblatt liegen die unterschiedlichen Bewerbungsschreiben der vier Kandidaten vor, die sich in ihrer Qualität doch erheblich voneinander unterscheiden. «Seit letztem Donnerstag konnten sich alle EU-Mitgliedstaaten einen Eindruck davon verschaffen, wofür die einzelnen Kandidaten überhaupt stehen. Es hat sich heute (am Montag, Anm. d. Red.) herausgestellt, dass dies nicht ausschlaggebend war. Es wurde ganz wenig über Inhalte diskutiert. Es blieb bei der arithmetischen Frage.» Demnach hat das politische Kalkül wie so oft bei der Vergabe von europäischen Spitzenposten eine wichtigere Rolle als die Kompetenz gespielt.
Dass die Liberalen am Ende den Kürzeren zogen, habe demnach auch viel mit der aktuellen politischen Konstellation in der EU zu tun. Selbst das Scheitern der Koalitionsgespräche in Deutschland wird als mögliche Schwächung interpretiert. «Wären in Deutschland die Koalitionsgespräche anders verlaufen, gäbe es dort vielleicht einen liberalen Finanzminister» und damit eine andere Ausgangslage.
Polit-Poker
Dass Gramegnas Kandidatur jedoch aussichtslos gewesen sei, wäre eine übertriebene Bewertung. Allerdings gehört es zum Polit-Poker, dass niemand sich bis zum Schluss in die Karten blicken lässt. «Am Anfang tastet man sich ab. Es gibt unterschiedliche Posten und Politiken», heißt es, und weiter: «Dann fangen die Gerüchte an. Das können zum Teil Journalisten sein, die wild spekulieren. Es gibt aber auch unterschiedliche Personen, die einfach mal Versuchballons steigen lassen, um die Reaktionen zu beobachten. Und es gibt Politiker, die ihre Kandidatur formell oder informell bekannt geben.»
So sei etwa Bruno Le Maire am Anfang im Gespräch gewesen, was sich als Unfug herausstellte. Auch Pierre Gramegnas Name habe bereits kursiert, bevor dieser sich überhaupt erst für eine Kandidatur entschieden habe. «Es entwickeln sich sehr unterschiedliche Dynamiken bis zur offiziellen Abgabe einer Kandidatur», erinnert sich eine mit dem Dossier vertraute Quelle.
Strategie nicht verraten
Weshalb sich Pierre Gramegna bis zum Schluss bedeckt hielt, hat eine Vielzahl von Ursachen: «Man weiß bei verschiedenen Kandidaten, dass es keinen Sinn ergibt zu kandidieren, wenn diese auch im Rennen mit dabei sind. Wenn man aber sieht, dass es nicht nur eine Chance, sondern auch eine echte Nachfrage gibt, um sich für einen Posten zu bewerben, muss man das auch berücksichtigen.» All dies erklärt zum Teil, weshalb eine Kandidatur erst im letzten Moment eingereicht wird.
«Das hat jeder gemacht. Das wurde nicht nur von Luxemburg getan. Es gibt keinen Kandidaten, der seine Kandidatur vor letztem Donnerstag um 10 Uhr eingereicht hat. Jeder hat bis zum letzten Moment beobachtet und abgewartet», wurde gestern nach der Abstimmung verraten.
Luxemburg will sich zudem nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Gerade in Finanzfragen hat das Großherzogtum auf internationaler Ebene mit viel Kritik zu kämpfen. «Wenn man in der Eurogruppe das Einhalten von Regeln verlangt, wäre es hilfreich, wenn man sich bei der Kandidatur um diesen Posten selbst an Regeln hält. Das hat Luxemburg getan.» Allerdings hatte Gramegna letzte Woche vor versammelter Presse in Tokio auf Nachfrage geantwortet, er würde bereits einen Tag vor Bewerbungsfrist bekannt geben, ob er seine Kandidatur einreiche oder nicht.
Mangelnde Transparenz
Auf diesen Widerspruch erhält man keine wirklich stimmige Antwort. Gramegna habe sich eventuell im Tag geirrt. Und tatsächlich verkündete Gramegna seine Kandidatur nicht vorzeitig. «Erst nachdem andere Kandidaten an die Öffentlichkeit drängten, entschied sich Luxemburg ebenfalls dafür, nach vorne zu preschen», heißt es. Einer der zentralen Kritikpunkte an der Abstimmung über den neuen Eurogruppen-Vorsitzenden ist die mangelnde Transparenz. Bohrt man nach, wie die Abstimmung abgelaufen ist, zeigt sich folgendes Bild.
Die lettische Finanzministerin Dana Reizniece-Ozola hat wohl ein schlechtes Ergebnis erhalten. «Sie hat sich nach der ersten Abstimmungsrunde zurückgezogen. Das Abstimmungsresultat haben immer nur die Kandidaten gesehen», erzählt eine mit dem Dossier vertraute Quelle. «Das macht den Poker für die EU-Mitgliedstaaten noch interessanter. Dann kam eine Pause. Die Delegationen haben zueinander gefunden und miteinander diskutiert. Verschiedene Personen haben versucht Kandidaten davon zu überzeugen, ihre Kandidatur zurückzuziehen. Auch das ist Polit-Poker.»
«Platz zwei» für Gramegna
All diese Anstrengungen haben tatsächlich etwas bewirkt. So habe sich der slowakische Finanzminister Peter Kazimir vor der zweiten Abstimmungsrunde zurückgezogen. Damit seien nur noch zwei Kandidaten übrig geblieben. «Pierre Gramegna soll nach der ersten Runde auf Platz zwei gelegen haben», wird vermutet. Der Abstimmungmechanismus sehe für die zweite Runde, wenn nur noch zwei Kandidaten übrig sind, Folgendes vor: «Es wird nur bekannt gegeben, wer die meisten Stimmen hat, beziehungsweise wenn ein Kandidat mehr als zehn Stimmen hat, wird gesagt, der Kandidat habe zehn oder mehr Stimmen. Mehr wird nicht gesagt. Dann fragt der amtierende Eurogruppen-Chef, ob der gewählte Kandidat die Unterstützung der EU-Mitgliedstaaten hat.»
Sagten alle Staaten «Ja», habe der neue Eurogruppen-Chef einen Schutz. Danach könne niemand sagen: «Wann ech just knapp d’Halschent vun de Stëmmen hätt, géif ech elo net déck téinen.»
Kein Interesse
Dennoch bleibt der bittere Nachgeschmack, dass die Wahl des neuen Eurogruppen-Vorsitzenden die breite Öffentlichkeit wenig interessiert hat. «Es ist erstaunlich, dass die Eurogruppe die mediale Öffentlichkeit tagtäglich während der Griechenland-Krise bestimmte. Bei der Wahl des neuen Eurogruppen-Chefs ist das genaue Gegenteil passiert. Es interessiert niemanden.» Dies sei eigentlich erstaunlich. Gerade in Deutschland sei man doch wegen Griechenland überempfindlich. Jetzt komme der neue Präsident der Eurogruppe aus einem Land, das nicht gerade eine Schäuble-Linie vertrete – und nichts passiere.
«Momentan läuft alles gut und es gibt keine größeren Probleme. Solange interessiert die Eurogruppe niemanden.»
Einblick in die Bewerbungen
Dem Tageblatt liegen die vier unterschiedlichen Kandidaturen für den Eurogruppenvorsitz vor. Vergleicht man die vier Dokumente, zeigen sich bereits beim Inhalt und der Form große Qualitätsunterschiede. Lediglich Luxemburg hat seine Anliegen auf fünf Seiten formuliert. Die Slowakei und Portugal haben sich mit jeweils zwei Seiten und Lettland mit drei Seiten begnügt. Auch die Inhalte gehen nicht über Allgemeinplätze hinaus und wirken stark floskelhaft.
Prinzipiell muss aber darauf hingewiesen werden, dass sich keine substanziellen Unterschiede zwischen den einzelnen Bewerbungen ausmachen lassen, was letztlich wohl auch mit der Kürze der besagten Bewerbungen zu tun hat. Auch Pierre Gramegna weicht nicht von seinem Kurs ab, mit dem sowohl ein Hardliner wie Wolfgang Schäuble hätte leben können, der aber wesentlich respekt- und verständnisvoller mit Blick auf Staaten wie Griechenland ist. Dennoch heißt es in Gramegnas Bewerbung, dass «viele von uns weitreichende und manchmal schmerzhafte Reformen in den letzten Jahren umgesetzt haben» und dennoch mehr getan werden müsse, um das Wachstumspotenzial und die Kompetitivität der europäischen Wirtschaft zu gewährleisten.
Lëtzebuerg huet als eenzegt een neien Klimafong ageriicht mat RENDITEN! Dat as déi greng Säit vun onser Politik zu deem Thema an alt rëm typesch fir eist Land. Entgeet och kengem, déi doten Zort 'nation branding'.
Da haben Sie recht, es ist eine Frage der Perspektive. Herr Marius Kohl hatte sich auch so gedacht: 1% Steuern für Luxemburg sind mehr als 20 % Steuern für Andere. Solange die Anderen davon nichts erfahren, kann man das auch so machen. Nur die Anderen haben es erfahren, daher der Glaubwürdigkeitsverlust.
Es sind nicht Holland, Malta, Irland und Luxemburg due eine aggresive Steuerpolitik betreiben. Es sind die anderen Ländern die eine aggresive Steuerpolitik gegen ihren Bevölkerung und Betriebe betreiben, so dass diesen nichts anderes übrig bleibt als ihre Einkommen durch legale Steuertricks in Holland, Malta, Irland und Luxemburg zu schützen!
Was ist geschehen ???? Ma et huet einfach den Beschten den Job kruut . Net ewei zu Letzelbuerch . ?
Was zählt ist die Glaubwürdigkeit. Holland, Malta, Irland und Luxemburg sind die Länder, deren aggressive Steuerpolitik sich ätzend auf die Volkswirtschaften ihrer europäischen Partner ausgewirkt haben. Seit Lux-leak und Panama-Paper wissen die Menschen mehr. Es ist also nicht verwunderlich, wenn Politikern aus diesen Ländern, niemand vertraut.
Luxemburg hat seine Glanzzeit hinter sich in der es geschickt solche Posten ergatterte weil es sich als Kompromisskandidat der grossen Staaten präsentiertierte die sich nicht einigen konnten. Zudem ist den meisten Ländern ein Juncker oder der allerorts Ratschlag austeilende Asselborn genug Luxemburger. Wenn schon Finanzthemen, warum nicht lieber über Projekte berichten welche für den EU Bürger von viel einschneidender Bedeutung sein werden und das Potential zum Finanzerdbeben hat: die EDIS Haftungsunion die in typischer EU Manier vom Ottonormalverbraucher wenig beachtet in kleinen Schritten eingeführt wird?