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Für Irland steht beim Brexit viel auf dem Spiel

Für Irland steht beim Brexit viel auf dem Spiel

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Vor knapp 20 Jahren entschlossen sich Briten, Nordiren und Iren im Karfreitagsabkommen zum Frieden. Soll eine neue Grenze sie nach dem Brexit wieder trennen? Niemals! lautet ihr Schlachtruf.

Eine Brücke. Drei kurzbeinige Schafe im Regen zur Linken. Ein Schild mit dem Tempolimit in Meilen pro Stunde. Das war’s. Zwei Minuten später ist man in Aughnacloy, einem Straßendorf mit Krämer und Tankstelle, Café und China-Imbiss. Viele fahren von Emyvale einfach kurz zum Mittagessen hinüber.

Es ist der Grenzübergang zwischen der Republik Irland und Nordirland, an dem vor weniger als 30 Jahren der 24-jährige Aidan McAnespie auf dem Weg zu einem Football-Spiel von einem Soldaten erschossen wurde. Aus Versehen, wie es damals hieß.

Betonbarrieren und Maschinenpistolen

Es ist die Stelle, wo noch vor weniger als 20 Jahren Betonbarrieren und Grenzer mit Maschinenpistolen Iren und Nordiren stoppten, bisweilen den Wagen auseinandernahmen auf der Suche nach Waffen und Sprengstoff. Als der örtliche Grundschulrektor 1974 mit Frau und Tochter von Aughnacloy über die Grenze zum Essen fuhr, kidnappte ihn die Irisch-Republikanische Armee, denn der Rektor war nebenberuflich Polizist. Man fand ihn später tot auf einem Feld bei Aughnacloy.

Es sind alte Geschichten aus dunklen Zeiten des Nordirlandkonflikts, den der Rest Europas fast vergessen hat. Aber in Irland kommen sie jetzt wieder hoch. Denn dieser Übergang bei Aughnacloy und 300 weitere Punkte, an denen man heute fast unbemerkt aus der Republik nach Nordirland fährt und zurück: Das wird nach dem EU-Austritt Großbritanniens 2019 die Außengrenze der Europäischen Union.

Langer Schatten der nahen Vergangenheit

Für die Iren und Nordiren ist diese Grenze ein Trauma, ein sehr langer Schatten einer sehr nahen Vergangenheit: Keiner will sie zurückhaben. Für die Brexit-Unterhändler in Brüssel ist sie ein Alptraum: Keiner weiß wirklich, wie man eine neue Grenze vermeiden soll, wenn Großbritannien aus der EU, aus dem Binnenmarkt und der Zollunion geht und Nordirland mitnimmt. Bis Montag (4.12.) soll zumindest ein Formelkompromiss stehen, sonst wären die Verhandlungen über den britischen EU-Austritt weiter blockiert.

Gabriel D’Arcy erinnert sich noch gut genug daran, wie es einmal war, um sich vorzustellen, wie es wieder werden könnte. Der leutselige Geschäftsmann vereint ein Gutteil der jüngeren irischen Geschichte in seiner Biografie. Er nennt die Idee einer neuen Grenze: lächerlich.

Einkaufen im britischen Norden

D’Arcy wuchs in den 1960er Jahren mit neun Geschwistern in Irland auf, das sich nach einem Unabhängigkeitskrieg 1922 von Großbritannien losgesagt und 1949 zur Republik erklärt hatte. Doch die nächste Stadt lag jenseits der Grenze im britischen Norden: Enniskillen. Großeinkäufe machte die Familie dort, vor allem Unterwäsche für die Kinder. Der Norden, das war ein anderes Land mit anderer Währung, und Socken, Unterhemden und Slips waren dort viel billiger, so erinnert sich der Ire verschmitzt.

Auf dem Rückweg allerdings kamen D’Arcys Eltern ins Schwitzen, wenn Zöllner die Familienkarosse inspizierten. Die zehn Geschwister perspirierten ebenfalls, denn um die Beamten hinters Licht zu führen, mussten sie alle neuen Sachen übereinander ziehen. So wurden auch schlanke Kinder auf dem Weg zurück nach Irland flugs erstaunlich pummelig.

Militär- statt Grenzposten

Die Zollgrenze verschwand über Nacht, als Irland und Großbritannien 1973 gleichzeitig der EU beitraten, auch daran erinnert sich D’Arcy. «Leider wurden sie durch Militärposten ersetzt. Und dann begannen 30 Jahre grauenhafter Verzweiflung und Gewalt.»

Es begannen die «Troubles», der blutige Konflikt in Nordirland zwischen katholischen Nationalisten, die auf Vereinigung mit Irland hofften, und protestantischen Unionisten, die unbedingt bei Großbritannien bleiben wollten. Es begannen endlose Jahre der immer gleichen Nachrichten von Entführungen, Attentaten, Bombenanschlägen. Am Ende waren 3600 Menschen tot, fast 50 000 verletzt, 500 000 traumatisiert.

Eine ganze Generation war schließlich so erschöpft, so zerrüttet und zerschlissen, dass sie die Waffen streckte und trotz aller Bitterkeit und offener Wunden zu Karfreitag 1998 Frieden schloss. Die Republik Irland änderte ihre Verfassung und gab das Ziel einer Vereinigung mit Nordirland auf. Dafür verschwand die Grenze, und im Norden durfte sich nun jeder aussuchen, ob er Ire, Brite oder beides sein möchte. «Das war ein Wendepunkt», sagt D’Arcy. «Über Nacht verschwanden die Sicherheitsposten und langsam, aber sicher, konnte man wieder Geschäfte machen.»

Irische Butter für Europa

D’Arcy leitet heute die Großmolkerei LacPatrick im Nordwesten der Insel, die den Rest Europas mit irischer Butter versorgt und den Nahen Osten, Afrika und Asien mit Milchpulver. Zwei Betriebsteile sind in Nordirland, einer in der Republik. Zusammen schlagen sie jährlich 600 Millionen Liter Milch von mehr als 1000 Farmern rechts und links der Grenze um.

Das Geniale am Karfreitagsabkommen, so sieht es die irische Regierung, war die Zweideutigkeit. Jeder durfte sich eine Identität aussuchen, unter dem Schirm der EU lebte es sich einfach nebeneinanderher. Die staatliche Einheit legte man erst einmal ad acta, aber eine Ebene darunter entstand ein neues Gebilde, eine gemeinsame Wirtschaftszone, eine kleine EU in der EU.

Der nordirische Bezirk Strabane, in dem auch D’Arcys Molkerei liegt, ist seit 2015 offiziell eine Planungs- und Verwaltungseinheit mit dem westlich davon gelegenen irischen Bezirk Donegal. In der Nähe von Derry ist im Altnagelvin Area Hospital ein Herz- und ein Krebszentrum für die gesamte Region entstanden, gemeinsam finanziert von beiden Seiten, gemeinsam genutzt von Kranken diesseits und jenseits der Grenze.

1,8 Millionen Autos

Monatlich fahren nach Angaben der irischen Regierung mehr als 1,8 Millionen Mal Autos über die quasi unsichtbare Grenze, bis zu eine Million Menschen kommen von hüben nach drüben. Selbst Enten werden monatlich zehntausendfach hin und her kutschiert, denn die Silver Hill Farm in Emyvale lässt in Nordirland brüten und in Irland mästen und umgekehrt, bis zu fünf Mal queren die Tiere in ihrem kurzen Leben die Demarkationslinie, die längst keine mehr ist.

Sollen hier künftig wieder Zöllner stehen? Sollen irische Veterinäre nach anderen Regeln prüfen als britische? Sollen Herzpatienten auf dem Weg nach Altnagelvin ihren Pass vorlegen? Die irische Regierung hält das alles für ausgeschlossen. «Wir werden nicht erlauben, dass eine Grenze auf der irischen Insel entsteht», sagt Außenminister Simon Coveney.

Die EU-Partner weiß Dublin dabei hinter sich, und auch Großbritannien bekennt sich zu diesem Ziel: Keine feste Grenze. «Wir haben denselben Wunsch, wir wollen sicherstellen, dass die Bewegung von Menschen und Handel über die Grenze genauso weiter gehen wie jetzt und dass wir keine neuen Barrieren bauen», sagt Premierministerin Theresa May.

Dublin will Lebensversicherung

Nur, wie dies funktionieren soll, wenn Großbritannien den Binnenmarkt und die Zollunion und einheitliche Standards hinter sich lässt, das hat bis heute niemand beantwortet. Lösen ließe sich das bestenfalls mit extrem engen Handelsbeziehungen zwischen der EU und Großbritannien. Doch wird ein Abkommen darüber noch Monate oder Jahre brauchen, wenn es überhaupt zustande kommt. Darauf will sich Irland nicht verlassen: Dublin will eine «Lebensversicherung» aus London, eine Garantie, und zwar jetzt, bevor die EU mit der britischen Regierung über künftige Beziehungen redet. Bis zuletzt rangen Brüssel und London, um diese Hürde bis Montag zu nehmen.

In Derry am westlichen Ende Nordirlands beobachten sie sehr genau, was am grünen Tisch über die Grüne Insel entschieden wird. Dort begannen 1972 die «troubles» mit dem «Bloody Sunday», als britische Soldaten 14 katholische Demonstranten erschossen. Bis heute künden riesige Wandgemälde und das Bloody Sunday Museum vom Widerstand in «Free Derry».

«Es ist unmöglich, wieder eine Grenze einzuziehen, es geht einfach nicht», sagt der Aktivist Denis Bradley. Der drahtige Mann mit dem zerzausten Haar war einmal Pfarrer, später beriet er die nordirischen Behörden beim Aufbau neuer Polizeistrukturen. In Derry ist er so etwas wie eine Instanz.

Kommen die Soldaten wieder?

Gäbe es eine Grenze, sagt Bradley, dann müsste die Polizei sie sichern, und bald schon würde die Polizei das nicht mehr schaffen, dann bräuchte man Soldaten, und kaum sähen die Nationalisten Soldaten, dann gäbe es auch wieder Gewalt. In Derry, so berichten es örtliche Sozialarbeiter, rüsten sich angeblich wieder paramilitärische Gruppen, Strafaktionen soll es schon gegeben haben, Prügel und Schüsse.

Der alte Konflikt schwele, sagt Bradley, aber der Brexit «bringt den Kessel umso schneller zum Kochen». Alle Beziehungen auf der Insel stünden wieder auf dem Spiel. «Manchmal funktioniert die Politik erst in der Krise», sagt der alte Aktivist. «Und in einer Krise stecken wir jetzt.»

ROBERT POLFER
2. Dezember 2017 - 22.56

Bei den massiven Problemen die diese unsinnige Volksbefragung mit sich gebracht hat bin nicht nur ich der Meinung dringend und sofort eine neue Befragung vorzunehmen - wo keine Personen über 40 Jahren teilnehmen dürften . Schlussendlich hat die britische Jugend die Arschkarte. Die Alten Querulanten haben dieses Unheil angerichtet .

Serenissima, en Escher Jong
1. Dezember 2017 - 22.33

Leider gibt es keine Lösung was die Grenze angeht da GB ja aus dem Binnenmarkt und der Zollunion austreten will; la quadrature du cercle , also wie soll das gehen...? Da ist guter Rat teuer, es sei denn am Ende haben wir wieder einen Konflikt zwischen den Parteien die die Wiedervereinigung wollen und die die stur die Queen haben wollen...und das in Europa! Die Brexiters können dann stolz sein auf das was sie erreicht haben...

Open Doors
1. Dezember 2017 - 22.30

Lasst die Ir(r)en zu uns kommen, auf die kommt es auch nicht mehr an. Aber die Guinness Brauerei bitten mitbringen

Open Doors
1. Dezember 2017 - 22.29

Lasst die Irren zu uns kommen, auf die kommt es auch nicht mehr an