Nicht die philosophische und schon gar nicht die moralische Stärke der neuen Rechten führt in zahlreichen europäischen Ländern (und auch in den USA) zu elektoralen Zugewinnen neuer extrem rechter Parteien; es ist vielmehr die Unfähigkeit etablierter Parteien, die Bedürfnisse der Wähler zu erkennen. Dies war eine der Haupterkenntnisse eines Kolloquiums, das die Arbeiterkammern Luxemburgs, des Saarlandes und aus Wien in Remich veranstalteten.
Die klassischen Volksparteien erkennen oder behandeln jene Themen, die für die Wähler bedeutend sind, nicht oder ungenügend, sie setzen ihre Prioritäten falsch und bieten den – zwar politisch interessierten, aber der klassischen politischen Methode und den etablierten Parteien abgeneigten – Bürgern zu wenig.
«Der Aufstieg der extremen Rechten in Europa und ihre Gefahr für die Arbeitnehmerschaft» lautete der Titel der Veranstaltung, an der neben Wissenschaftlern und Experten auch Arbeitsminister Nicolas Schmit teilnahm, der neben Politologe Philippe Poirier, dem freien Journalisten Bernard Schmit, dem Soziologen Alexander Häusler und dem Experten für Rechtsextremismus Michael Bonvalot ebenfalls zum Thema referierte und dabei u.a. auch selbstkritisch auf die europäische Sozialdemokratie blickte.
Zur Begrüßung riss Serge Schimoff (Vorstandsmitglied der Luxemburger Arbeitnehmerkammer) das Thema an: In einigen europäischen Ländern, wie Österreich, seien die rechtsextremen Parteien schon seit Jahrzehnten stark am politischen Leben beteiligt. In anderen habe ihr Mitwirken am politischen Geschehen gerade erst begonnen, sagte Schimoff, der darauf verwies, dass diese Bewegungen in den letzten 15 Jahren im Westen an Stärke gewinnen. Rechtspopulisten und Nationalisten haben bei den jüngsten Urnengängen von sich reden gemacht, im Wahlkampf, in Debatten und allzu oft durch positive Wahlresultate. Die deutsche AfD steigerte sich seit der Wahl 2013 (3,4 Prozent der Stimmen) um ganze 370 Prozent und zog als drittstärkste Kraft mit 94 Sitzen in den Bundestag ein. Front national in Frankreich, FPÖ in Österreich sind weitere Beispiele dieser Entwicklung.
Mehr als 70 rechte Bewegungen
In Europa, so Schimoff, gebe es derzeit mehr als 70 rechtspopulistische Bewegungen, die erst jetzt in der breiten Öffentlichkeit sichtbar werden. Analysten sehen in der aktuellen Erfolgswelle der neuen Rechten den Ausdruck einer tiefen systemischen und strukturellen Krise, die sowohl wirtschaftlicher als auch sozialer und politischer Natur ist und für die traditionelle Parteien keine Lösungen anbieten.
Die Nutzung der digitalen Kommunikation erlaubt es diesen Parteien, ein breites Publikum zu erreichen und ihre Anhängerschaft auszubauen. Dabei hat sich ihr Diskurs gewandelt: Sie geben sich neuerdings einen sozialen Anstrich und profilieren sich als Parteien der Arbeiter. Dieser Wandel ist beim französischen Front national besonders klar erkennbar, wie Referent Bernard Schmid aufzeigte. Von der wirtschaftsliberalen und gewerkschaftsfeindlichen Partei in den Achtzigern wandelte sich die rechtsextreme Le-Pen-Partei zu einer Gruppe, die selbst versuchte, Gewerkschaften zu gründen (was ihr zumindest bei der Polizei und regionalen Personentransportbetrieben gelang).
Dabei vertreten diese Parteien, trotz ihres sozialen Anstrichs, Werte wie Prokapitalismus, Fremdenhass, Integrationsfeindlichkeit und Eindämmung der Einwanderung, die den Werten der Gewerkschaften (Solidarität und Gleichberechtigung) diametral gegenüberstehen.
Diese Rechnung geht zum Leidwesen der demokratischen Parteien und der Gewerkschaften oft auf. Wie im Verlauf der Veranstaltung gezeigt wurde, gibt es sowohl bei den Gewerkschaftsmitgliedern als auch bei ehemaligen Wählern der Linken neuerdings Unterstützer der extremen Rechten …
«Der Schoß ist fruchtbar noch …», mit diesem Brecht-Zitat eröffnete der Sprecher der AK Saarland Roman Lutz seine Intervention und beschäftigte sich u.a. mit den rechtsextremen und rechtspopulistischen Tendenzen in der Arbeitswelt. Dieses Phänomen stelle eine große Gefahr auch für die Vertreter der arbeitenden Menschen dar. So fordere die saarländische AfD zum Beispiel, und dies sei symptomatisch, die Abschaffung der dortigen Arbeiterkammer. Dennoch würden 20 bis 25 Prozent der gewerkschaftlich organisierten Wähler in Deutschland der Afd ihre Stimme geben. Es gelte also, die Ursachen zu analysieren, Gegenmaßnahmen zu entwickeln und Gegenwehr zu leisten.
Nicolas Schmit versuchte sich seinerseits an eben dieser Analyse und unterstrich, es sei angesichts der jüngsten Entwicklungen in ganz Europa höchste Zeit, sich mit dem Aufschwung der Rechten zu beschäftigen. Eigentlich müsste angenommen werden, dass die europäische Geschichte rechtsextreme Bewegungen verhindert.
«Kein Land ist gefeit»
Die Realität sei aber eine andere. Es sei der neuen Rechten gelungen, alte Ideologien neu aufzubereiten und damit auch Arbeitnehmer wieder zu erreichen. Fremdenhass, oft Antisemitismus und neuerdings Islamfeindlichkeit sind die treibenden Kräfte. Die Bürger werden als Opfer dargestellt, die jeweiligen extrem rechten Parteien als ihre alleinigen Vertreter bzw. Retter. Sie würden sich nach außen gegen Eliten stellen; paradoxerweise würden ihre Politiker aber selbst zu diesen gehören (Millionäre, Professoren …). Die Ablehnung von Pluralitäten sei diesen Parteien gemein; sie reduzieren alle Probleme und Lösungen auf einen Nenner (heute das Volk, morgen die Rasse …), bewegten sich nahe am Nationalsozialismus. Das Volk brauche in dieser Ideologie keine Demokratie, lediglich sie als Fürsprecher …
Die klassischen Parteien, auch die Sozialdemokratie, habe nicht schnell und nicht offensiv genug auf reelle soziale Probleme reagiert, so Schmit: Dies habe der neuen Rechten erlaubt, die Probleme nach ihrer Manier zu drehen und mit Protest statt mit Lösungen zu punkten. Regionen, die den Strukturwandel nicht schafften (etwa Nordfrankreich), Länder, wo eine Immigrationspolitik ohne Integration stattfand, sozial fragile Gesellschaften usw. seien der Nährboden der Rechtsextremen.
Als Gegenmaßnahmen riet Schmit dazu, diesen Parteien nicht solche Themen wie die Immigration zu überlassen, Alternativen und Lösungen anzubieten. Auch die weiteren Redner sprachen sich gegen Tabus im politischen Diskurs aus. Der Weg gegen die neue Rechte sei oft ein schmaler Grat und ein anstrengender Parcours, aber es sei notwendig, ihn zu gehen …
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