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«Ohne mich» ist keine Option! (Teil 1)

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Überlegungen zur Diskussion über die Sozialdemokratie.

«Neues schaffen heißt Widerstand leisten. Widerstand leisten heißt Neues schaffen», schrieb Stéphane Hessel in seinem Buch «Empört euch», in dem er vor allem die Jugend zum friedlichen Widerstand aufruft; zum Widerstand gegen die Ungerechtigkeit in unserer Gesellschaft, gegen die Diktatur des Finanzkapitalismus, gegen die Unterdrückung von Minderheiten, gegen die Zerstörung unseres Planeten.

Egal ob man sich für Politik, Wirtschaft oder Umwelt interessiert, die Angst um die Zukunft, die Perspektivlosigkeit, die Sorge um die eigene soziale Absicherung sind präsent, und sicherlich nicht nur bei den jungen Menschen. Die Welt ist zu komplex, zu problematisch geworden, und die Auswirkungen sind sehr schnell spürbar.
Wer hinter den Kulissen die Entscheidungen wirklich beeinflusst, ist fast unmöglich in diesem Meer von Verflechtungen zu beurteilen.

Wie lange kann unser aktuelles Wirtschafts- und Gesellschaftssystem noch bestehen? Angesichts der heutigen Situation drängt sich diese Frage auf: steigende Ungleichheiten, fehlende Fortschritte im Klimaschutz durch engstirnige Machthaber und geldhungrige Wirtschaftseliten, Deregulierung der Wirtschaft und Prekarisierung großer Teile der Bevölkerung durch falsche Entscheidungen der Politiker, die von einem Heer aus Finanz- und Industrielobbyisten tagtäglich umzingelt werden. Zum Glück werden diese Herausforderungen in letzter Zeit häufig thematisiert: Wirtschaftsnobelpreisträger, Philanthropen, bekannte Persönlichkeiten und sogar manche Milliardäre warnen die politischen Entscheidungsträger vor den Problemen und deren erheblichen Folgen auf die Gesellschaftsentwicklung. Und weshalb rechte und rechtsextreme Parteien an Zustimmung gewinnen, wird ebenfalls lange diskutiert. Nach den Wahlen in Frankreich hat man sich darüber gefreut, dass Marine Le Pen «nur» 33% der Stimmen erhielt. Wie blind sind wir eigentlich, dass genau jene rechtsextremen Parteien jetzt schon fester Bestandteil des Parteienspektrums geworden sind?

Hass ernährt den Hass

In Österreich haben sie jetzt sogar Regierungsgewalt. Wir gewöhnen uns an die starke Präsenz rechtsextremen Gedankengutes, weil es salonfähig geworden und in den sozialen Netzwerken verbreitet ist. Das Problem wird so zur Banalität.

Aber statt gegen Populismus und Rechtsextremismus zu kämpfen, kopieren viele Politiker die Rhetorik und betreiben damit Wahlkampf. Doch richten Politiker wie Sebastian Kurz in Österreich oder Mark Rutte in den Niederlanden langfristig nicht mehr Schaden an als nötig? Die Situation wird dadurch nur noch verschlimmert, da sich rechtsextreme und rechtskonservative Politiker fälschlicherweise bestätigt fühlen. Der Hass ernährt den Hass. Wenn man das in Luxemburg vor kurzem votierte Vermummungsgesetz betrachtet, dann fragt man sich, wozu die Konvention mit den Glaubensgemeinschaften aus dem Jahr 2015 noch dient. Wie soll die Trennung von Kirche und Staat vorangetrieben werden, wenn unsere Regierung Gesetze ausarbeitet, die sich klar auf bestimmte religiöse Gemeinschaften beziehen?

Gleichzeitig haben viele etablierte Politiker oft jeglichen Hang zur Realität verloren. Es ist nur die Spitze des Eisbergs, wenn etwa der frühere Parteivorsitzende, Ex-Regierungsmitglied und Kandidat bei den «Primaries 2017» der «Les Républicains», Jean-François Copé, einst behauptete, ein Croissant würde 0,10 bis 0,15 Euro kosten. Politiker glauben, sie hätten den nötigen Überblick oder könnten gut informierte Entscheidungen treffen. Hat ein Minister, der oft mehrere Ressorts zu verwalten hat, überhaupt die Möglichkeit, sich tiefgründig in Projekte hineinzuarbeiten, alle möglichen Blickpunkte und Aspekte in Erwägung zu ziehen? Hat er die nötige Zeit, seine Berater und Direktoren zu kontrollieren, die sich in einem Konkurrenzkampf für höhere Posten und Verwaltungsräte sehen und schwachsinnige, überteuerte Prestigeprojekte vorantreiben? Sogar der EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat sich gewundert, wieso fast die Hälfte seiner Kommissare die diesjährige «Davos-Konferenz» besuchte. Und Gipfeltreffen wie in Hamburg im Juli dieses Jahres sind für die Allgemeinheit nur zum sündhaft teuren «tourisme mondain» geworden: keine Resultate, dafür dürfen sich die Regierungschefs regelmäßig zum Plaudertausch treffen und teuren Kaviar essen.

Nur allzu oft wird dem Bürger weisgemacht, dass der Staat die Kosten der sozialen Errungenschaften nicht mehr tragen könne. Aber wie kann das Geld dafür nicht vorhanden sein, wenn doch der Reichtum heute so viel größer ist als in der Nachkriegszeit, als Europa in Trümmern lag und in den folgenden Jahrzehnten der Wohlfahrtsstaat ausgebaut wurde?
Liegt der Grund nicht etwa in der immer größer werdenden Macht des Geldes und eines Systems, das den Egoismus belohnt und Lobbyisten bis in die höchsten Ränge des Staates befördert? Es geht dabei nicht darum, die Privatwirtschaft als Konzept zu diskreditieren, sondern darum, kleine und mittelständische Betriebe gegenüber den Großunternehmen zu stärken. Es geht darum, dass Unternehmen in unserer Gesellschaft zum Wohlstand beitragen sollen, nicht zur Befriedigung einiger Großaktionäre und Manager. Es geht darum, die wachsende Anzahl von Betrieben, die sich ihrer sozialen Verantwortung bewusst sind, systematisch zu fördern. Es geht darum, das System vor den Einflüssen einzelner zum Wohle der Allgemeinheit abzusichern.

Unsere Gesellschaft riskiert nur durch die Kurzsichtigkeit und arrogante Süffisanz zerstört zu werden. Süffisanz darüber, dass etwa CETA trotz Widerstand, Petitionen und Mobilisierung von Millionen von Menschen durchgeboxt worden ist. Nur wenige Politiker fassen sich an die eigene Nase und stellen sich die Frage: Was habe ich falsch gemacht? Dafür wird weiterhin neoliberales Gedankengut in schön klingenden Phrasen eingepackt: Wir müssen die Wirtschaft ankurbeln. Die Frage nach der Qualität der Arbeitsplätze gerät in den Hintergrund. Der Zahlenfetischismus mit dem Wirtschaftswachstum wird nicht hinterfragt – dabei sind es gerade die ärmeren Menschen, die am wenigsten davon profitieren. Dies wirkt sich nicht nur auf die Lebensqualität aus, sondern gefährdet gleichzeitig die Demokratie.

Den Aufschwung rechtsextremer Parteien kann man nicht einfach mit «Fremdenfeindlichkeit» abstempeln. Die meisten ihrer Wähler sind nicht einmal Rassisten, sie wollen lediglich eine Veränderung, egal wie katastrophal sie sein könnte. Sie sind es überdrüssig, dass die Machthabenden sich nicht für sie einsetzen und immer wieder ihre Wahlversprechen nicht erfüllen.

Jimmy Skenderovic und Fabio Spirinelli sind Präsident bzw. Generalsekretär der «Jeunesse socialiste Luxembourg»

Teil 2 lesen Sie in unserer Montagausgabe.

Lucas
11. November 2017 - 18.08

- “Wie soll die Trennung von Kirche und Staat vorangetrieben werden, wenn unsere Regierung Gesetze ausarbeitet, die sich klar auf bestimmte religiöse Gemeinschaften beziehen?”

Ganz einfach: Weil gewisse religiöse Gemeinschaften es bewusst drauf ankommen lassen, Unmut in der Bevölkerung anzuzetteln. Die Regierung reagiert auf die Unzufriedenheit der Bevölkerung. Genau so wie jetzt in der Stadt überall “Polleren” aufgestellt werden, da, wo große Menschenmengen angefahren werden könnten. Der Schutz der eigenen Bevölkerung gehört zum Auftrag einer jeglichen Regierung. Gewisse Freiheiten sind anderen übergeordnet! So ist die Religionsfreiheit keine absolute! Wenn dies bis verstanden ist, vielleicht braucht sich eine Regierung dann auch gar nicht mehr einzumischen.

- “Es geht darum, das System vor den Einflüssen einzelner zum Wohle der Allgemeinheit abzusichern.”

War das nicht die Devise vieler Länder, wie der einstigen DDR? Wie ein Kartenspiel ist die doch von innen zusammengefallen und wer beklagt sie heute?

- “Der Zahlenfetischismus mit dem Wirtschaftswachstum wird nicht hinterfragt – dabei sind es gerade die ärmeren Menschen, die am wenigsten davon profitieren.”

Die ärmeren Menschen sind leider oft die, die am wenigsten wissen und können. Das muss man auch schreiben dürfen, ohne jemanden an den Pfeiler stellen zu wollen. Es müsste also sehr früh bei der Bildung angesetzt werden. Aber, wird das nicht schon heute so gehandhabt? Schulabbrecher kann man nicht an Fessel legen! Und es gibt ihn nicht, den Nürnberger Trichter! Realität kann man verschönern, sie aber nicht wegretuschieren! Heute ist man sogar geneigt zu fordern, die Begabten noch weiter (und besser) zu fördern, als die Minderbegabten. Kommen in eine Schulklasse viele weniger begabte Kinder hinzu, dann leidet das Niveau der ganzen Klasse! Eben weil das Personal sich mehr um die Kinder kümmert, die schwer haben, den Stoff zu meistern. Und den Stoff einfach erleichtern? Damit fördert man nicht die Begabteren! Ganz im Gegeteil!

- “Die meisten ihrer Wähler [rechtsextremer Parteien] sind nicht einmal Rassisten, sie wollen lediglich eine Veränderung, egal wie katastrophal sie sein könnte.”

Das sehen die Autoren zum Teil schon richtig. Allerdings, wer hat diese “Unzufriedene” denn heraufbeschworen? Wer war denn all die Jahre in der Regierung und hat den Geist mitgetragen, ihn vielleicht gefördert, der zu dieser doch massenhaften Unzufriedenheit geführt hat? Der “Muff unter den Thalaren” wurde damals weggeräumt. Aber wer sagt denn, dass nach 60 Jahren sich nicht wieder “Muff” angesammelt hat, im Verständnis von vielen Bürgern? Und vielleicht wollen die gar keine totale Veränderung, wie sie zwar damals eingefordert und umgesetzt wurde. Sondern eher nur Einsicht in verschiedene Aspekte: Auch linke Ideologie kann durchaus in die Katastrophe führen.