Eine aktuelle Autorin und „ihre“ Morde (teil 1)
„Der Mensch von heute: das dümmste Lebewesen, das die Erde hervorgebracht hat: Er kriecht mit seinem Auto in der Großstadt wie eine Schnecke, nimmt die Umweltgifte in sich auf wie ein Staubsauger und ist obendrein noch stolz auf das, was er zustande gebracht hat.“ – John Boynton Priestley (englischer Schriftsteller, Journalist und Literaturkritiker, 1894-1984)
Gift. Ein normales, alltägliches Thema? Wohl eher in den Kriminalromanen. Und da gibt es bekanntlich Spezialisten. Wer nämlich den in diesen Zeilen visierten Titel „Gift“ in ebendiesen Kontext setzt, kommt um sie nicht herum. Sie, Agatha Christie, die „Queen of Crime“, die von 1890 bis 1976 lebte. Sie schuf den modernen, britischen Kriminalroman. Sie war eine der erfolgreichsten Autorinnen der Welt und schrieb in ihrem Schriftstellerleben 68 Krimis, über 100 Kurzgeschichten, rund 20 Theaterstücke, eine Autobiografie, drei Gedichtbände, sechs Liebesromane (diese unter dem Pseudonym Mary Westmacott) und zwei Sachbücher.
Ihre wunderliche und verschrobene Miss Jane Marple und der selbstgefällige belgische Detektiv Hercule Poirot (den sie pikanterweise, wie sie in einem ihrer sehr seltenen Interviews zugab, mehrere Male selbst „ermorden“ wollte – was sie glücklicherweise für uns Lesefans nie tat!) sind heute noch regelmäßig auf dem Bildschirm zu sehen, ein Christie-Stück wird unablässig irgendwo auf der Welt von irgendeiner Theatergruppe aufgeführt. Weltweit verkauften sich ihre Bücher, die teilweise natürlich auch erfolgreich verfilmt wurden, schätzungsweise weit über zwei Milliarden Mal.
Sie war Apothekenhelferin, Krankenschwester und darüber hinaus eine fähige Archäologin. Dabei war das Leben der am 15. September 1890 als Agatha May Clarissa Miller im englischen Badeort Torquay an der Küste von Devonshire geborenen Schriftstellerin nicht weniger spannend als ihre Romane.
Sie starb im Alter von 85 Jahren am 12. Januar 1976. Erst kürzlich konnte der Autor dieser Zeilen, der als Agatha-Christie-Fan eine Krimi-Sammlung ihres Gesamtwerkes besitzt, eine Sendung, die sich mit dem grandiosen Roman „Alibi“, der unter dem Original-Titel „The Murder of Roger Ackroyd“ im Jahre 1926 veröffentlicht wurde, beschäftigte, auf Arte verfolgen. Wie weit auch das wissenschaftliche Interesse an den Werken dieser Krimiautorin geht, beweist eben dieser Roman, der sowohl Literaturwissenschaftler als auch Psychiater beschäftigte.
Im Kontext dieses Beitrags aber geht es – einleitend zum eigentlichen Thema – um Agatha Christies Giftmischungen in ihren Romanen, Gifte, die vom Feinsten sind.
41 Morde mit Gift
In 41 ihrer Krimis kommt das Mordopfer nämlich durch Gift ums Leben. Die britische Krimiautorin hat sich nicht von ungefähr immer wieder für diese Todesursache entschieden, war sie doch in ihren jungen Jahren einige Zeit in einer Apotheke tätig.
Wie gut sie dort aufgepasst und sich Kenntnisse über unheilvolle Substanzen angeeignet hat, haben zwei Berliner Rechtsmediziner untersucht. Sie kommen zu dem Schluss: Agatha Christies Darstellungen der Symptome und Wirkungen von Giften haben fast Lehrbuchniveau und die Ergebnisse der Studie werden von der Gesellschaft für toxikologische und forensische Chemie veröffentlicht. Gifte und Vergiftungen nachzuweisen, erfordert schon einige Kenntnisse und Erfahrungen. Beinahe wäre deshalb 1977 in England ein neunzehn Monate altes Kind an einer Thalliumvergiftung gestorben – wäre da nicht eine krimiversessene Krankenschwester gewesen.
Diese erinnerten die Symptome des gerade ins Krankenhaus eingelieferten Kindes an die Geschichte „Das fahle Pferd“ von Agatha Christie.
Was wieder einmal ein Beweis ist, wie hilfreich und effektiv auch die Lektüre spannender Kriminalromane im wirklichen Leben sein kann! In diesem Krimi war nämlich eine Thalliumvergiftung beschrieben, eine Mordvariante, die eher außergewöhnlich war.
Denn Thallium, ein in der Erdkruste nur in geringen Mengen verbreitetes Metall, war erst 1896 erstmals isoliert worden und wurde chemisch u.a. als Rattengift bekannt. Die Rechtsmediziner der Freien Universität Berlin haben sich in einer Studie mit den Beschreibungen der toxischen Wirkungen von Thallium und Nikotin beschäftigt. Ein mit Hilfe von Nikotin im Jahr 1850 verübter Mord gilt unter Fachleuten als Geburtsstunde moderner forensischer Toxikologie.
Zum ersten Mal konnte damals ein biologisches Gift posthum wissenschaftlich nachgewiesen und der Mörder durch die Rechtsmedizin überführt werden. Agatha Christie waren beide Fälle bekannt. Die genaue Darstellung dieser (und anderer) Giftwirkungen erreiche bei ihr, so die Studie, fast Lehrbuchniveau. Hervorragend seien auch Agatha Christies Beschreibungen der Fehleinschätzungen von Ärzten. Thalliumvergiftungen sind nämlich zunächst in ihren äußerlichen Symptomen kaum von einer Grippe zu unterscheiden. Erst im Endstadium der Vergiftung könne man auf etwas anderes als Grippe schließen.
Doch Agatha Christies Giftmordrepertoire beschränkte sich nicht nur auf Thallium und Nikotin, sondern war breitgefächert. Die Autorin konnte die Opfer von ihren literarischen Mördern auch mit Chlor, Arsen, Morphin, Strychnin, Salzsäure, Blausäure oder Oxalsäure fachgerecht zu Tode bringen lassen.
Frank Bertemes
Teil 2 in unserer morgigen Ausgabe
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